Die Stimmung ist angespannt. Der Oberste Militärrat Ägyptens gibt dem Land eine Übergangsverfassung, in der die Macht des Präsidenten beschnitten, die eigene hingegen gestärkt wird. Willkür statt Recht? Die amerikanische Regierung mahnt die Generäle, die Macht abzugeben. In Syrien sind die UN-Militärbeobachter abgezogen, die Gewalt eskaliert. Darf, soll, muss sich die Staatengemeinschaft einmischen oder nicht?
"Eine solche Pflicht ist noch nicht Bestandteil des geltenden Rechts, aber das ist eine Tendenz dahin, weil man sagt, dass in dem Moment, wo ein Gewaltherrscher schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, verdient er keinen Schutz. Und die internationale Gemeinschaft, das heißt Staaten und andere, vielleicht NGOs, machen sich auch verantwortlich durch Nichtstun. Und das ist ja auch so. Wer wegschaut, ist auch in gewisser Weise verantwortlich, jedenfalls moralisch. Aber das rechtlich handhabbar zu machen, ist sehr schwierig. Und diese Interventionen sind auch und waren auch immer Vorwand, um geostrategische Ziele zu verwirklichen und sind immer missbrauchsanfällig gewesen. Deswegen wird auch unter diesem neuen Konzept der Schutzverantwortung klar gesagt: Militärisches Eingreifen nur mit Ermächtigung des Sicherheitsrates. Und eine solche fehlt zum Beispiel jetzt in Syrien."
Hochaktuell waren die Diskussionen in diesem Jahr auf dem Akademientag in Hannover zum Thema "Recht und Willkür" – zum Beispiel über humanitäre Interventionen zum Schutz der Menschenrechte. Anne Peters, Professorin für Völker und Staatsrecht an der Universität Basel und Präsidentin der European Society of International Law, analysierte in ihrem Vortrag zu "Recht und Politik" aktuelle Herausforderungen. Warum, so eine Frage aus dem Publikum, greift die Staatengemeinschaft denn in Libyen ein und in Syrien nicht? Eine willkürliche politische Entscheidung?
"Das, was rechtlich relevant ist, ist, dass auf Zivilisten geschossen wurde. Und groß angelegte Angriffe mit schweren Waffen auf die Zivilbevölkerung sind rechtlich gesehen sogenannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das lag in beiden Staaten vor, selbst wenn insgesamt der politische Kontext noch unterschiedlich sein mag. Dieser Aspekt ist aus juristischer Sicht gleich, und normalerweise würden gleiche Situationen auch gleiche rechtliche Reaktionen erfordern. Denn sonst ist es ja gerade Ungleichbehandlung und damit Willkür."
Juristisch gilt es, Recht und Willkür auseinanderzuhalten. So versteht nicht nur Anne Peters die Debatte.
"Die Essenz von Gerechtigkeit ist auch die Gleichbehandlung, die nicht-willkürliche Behandlung. Willkür heißt, dass man einfach machen kann, was man will. Und Recht setzt Standards."
"Das Mittelalter hatte ein ganz anderes Verständnis von Willkür. Und dem kommt man näher, wenn man sich das Wort genauer anguckt. In Willkür steckt ja der Wille - das Wollensmoment – und eben auch die Kür. Kür heißt ja wörtlich Wahl oder Auswahl, wie bei den Kur-Fürsten oder bei der Kür eines Herrschers zum Beispiel. Das Mittelalter gerade in der Gestalt von Stadtrechten, aber auch von Satzungen etwa von Kaufmannsgilden hat mit Willkür das umschrieben, was etwa diese Stadt oder diese Kaufmannsgilde für sich selber als Recht gesetzt hat: zum Beispiel bestimmte Marktordnungen, Kleiderordnungen, Verpflichtungen der Kaufleute in ihrer Gilde und so weiter. Willkür war eigentlich das selbstgegebene Recht und hatte insofern ein starkes Moment der Selbstbestimmung."
Horst Dreier, Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Was angesichts der kritischen Ereignisse im arabischen Raum so klar getrennt scheint – Recht im Gegensatz zu Willkür – zerfällt mit Blick in Philosophie, Rechts- oder Begriffsgeschichte in einen unerwarteten Fassettenreichtum:
"Kant gibt in seiner Metaphysik der Sitten vielleicht die am häufigsten zitierte Definition von Recht überhaupt, indem er sagt: Recht ist der Inbegriff derjenigen Bedingungen, unter der die Willkür des Einen mit der Willkür des Anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann. Das heißt: Recht hat es mit dem Ausgleich und der Regulierung unterschiedlicher Willküräußerungen zu tun. Und Willküräußerungen im Sinne von Kant sind Handlungen, nach dem eigenen Willen – wodurch auch immer dieser eigene Wille motiviert ist."
Die Verwendung und Bedeutung von Worten in der Sprache des Rechts – nirgends ist sie besser zu erforschen als in einem Wörterbuch - zum Beispiel im Deutschen Rechtswörterbuch, das seit 1897 fortgeschrieben wird, heute an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
"Ziel der Väter, zu denen namhafte Juristen, Sprachwissenschaftler der Zeit gehört haben, war, die Sprache des alten Rechts zu sammeln, um damit das aktuelle Recht um 1900 zu verbessern."
Das historische Wörterbuch ist ein Schatz für Kultur-, Sprachwissenschaftler oder Kunsthistoriker, sagt der Leiter der Forschungsstelle Andreas Deutsch. In ihm finden sich auch unerwartete Wortbedeutungen aus Zeiten, in denen Willkür noch Recht war. So hatte etwa der Ausdruck "oben schwimmen" einen grausigen rechtlichen Kontext:
"Wenn eine Hexe überführt werden sollte, dann hat man ja einen Test gemacht im 17. Jahrhundert, vor allen Dingen die sogenannte Hexenprobe. Und wenn, sie mit den Händen und Beinen gebunden ins Wasser geworfen, nach unten absank, dann war sie keine Hexe. Aber wenn sie oben schwamm, war sie der Hexerei überführt. Also "oben schwimmen" ein rechtliches Wort."
Zwölf Langzeitforschungsprojekte zum Thema "Recht und Willkür" stellte die Akademieunion an der Leibniz Universität Hannover vor. Wie allein des Kaisers Wille im Mittelalter Recht setzte, kann man in den Monumenta Germaniae Historica nachlesen. MGH ist die Abkürzung für das seit 1816 andauernde Unterfangen, mittelalterliche Quellentexte aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation für die weitere Erforschung wissenschaftlich aufzubereiten. Forschungsstellen sind an allen Akademien der Union. In Berlin werden zum Beispiel die Kaiserurkunden ediert. Mathias Lawo ist Mitarbeiter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:
"Es gibt im Mittelalter keine geschriebene Verfassung, sondern alles spielt sich in Einzelakten ab oder häufig auch mündlich. Und die Kaiserurkunden geben eben den Willen des Herrschers zu erkennen. Daneben gibt es kurfürstliche Willebriefe. Die sieben Kurfürsten, die den Herrscher wählen, sind praktisch die nächste Ebene. Die geben zu besonders wichtigen Urkunden des Kaisers ihre Zustimmung."
Willkürentscheidungen, wie wir sie heute verstehen, gab es selbstverständlich auch. Gekoppelt an Gefälligkeiten zum Beispiel.
"Meistens gibt es Bittsteller, die zum Kaiser kommen, dann auch für die Urkundenausstellung bezahlen müssen, und je nachdem ob der Kaiser dem geneigt ist - und da ist der Kaiser auch keineswegs nur selbst dran beteiligt, wir haben durchaus auch Dokumente, wo die Kanzlei mehr oder weniger deutlich zu erkennen gibt, der Aussteller möge aber doch bitte finanziell etwas mehr tun, wenn er diese Urkunde haben wolle."
Korruption an Stelle von Gleichbehandlung und Recht finden auch die Papyrologen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste in ihren über 2000 Jahre alten Quellen aus Ägypten. Als der große ägyptische Aufstand gegen die griechische Dynastie der Ptolemäer das Land erschütterte, dokumentieren die Papyri unsichere Gesetzgebung in einer andauernden politischen Krise. Die Papyrologin Charikleia Armoni:
"Es betrifft einen langjährigen Rechtsstreit zwischen zwei Gruppen von Leichenbestattern. Nicht jeder hatte das Recht, ein solches Institut zu betreiben, sondern man brauchte eine Erlaubnis von der Regierung. Und die beiden Gruppen, die streiten sich 20 Jahre lang um das Recht, in einer Region Leichen zu mumifizieren. Und sie schreiben Eingaben an verschiedene Instanzen in der Region, aber auch in der Hauptstadt Alexandrien. Und da kommen auch Fälle von Bestechung, von verschiedenen staatlichen Stellen, Polizisten und so weiter vor. Also das ist zum Schluss ein echt rundes Bild des Alltags."
Alltag zwischen Willkür und Recht, wie er offenbar für alle Zeiten gilt - und in einer ganz bestimmten Hinsicht sogar gelten sollte. Der Rechtsphilosoph Horst Dreier führte auf dem Akademientag die kritische Betrachtung des Willkür-Begriffs bis zum deutschen Grundgesetz:
"Der Freiheitsbegriff der Grundrechte des Grundgesetzes ist in der Tat ein Freiheitsbegriff, der strikt formal gefasst ist und der 'Freiheit zur Beliebigkeit' zulässt, der gewissermaßen individuelle Willkür zulässt. Das ist die Konsequenz eines liberalen Freiheitsbegriffes, dem zur Folge der einzelne Grundrechtsträger und niemand anderes darüber entscheidet, ob und wie er von seinen Grundrechten Gebrauch macht. Da gibt es keinen besseren und keinen schlechteren und keinen guten und keinen bösen, sondern da gibt es nur einen Grundrechtsgebrauch. Und zu welchen Zwecken man von dem Gebrauch macht, ob das törichte und egoistische, ob das Gemeinwohl förderliche sind, darauf kommt es für die Zulässigkeit dieser Freiheitsausübung nicht an. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, auf den man mal hinweisen könnte, denn ganz so einfach ist das Thema Recht und Willkür eben doch nicht, obwohl es zunächst möglicherweise so scheinen kann."
"Eine solche Pflicht ist noch nicht Bestandteil des geltenden Rechts, aber das ist eine Tendenz dahin, weil man sagt, dass in dem Moment, wo ein Gewaltherrscher schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, verdient er keinen Schutz. Und die internationale Gemeinschaft, das heißt Staaten und andere, vielleicht NGOs, machen sich auch verantwortlich durch Nichtstun. Und das ist ja auch so. Wer wegschaut, ist auch in gewisser Weise verantwortlich, jedenfalls moralisch. Aber das rechtlich handhabbar zu machen, ist sehr schwierig. Und diese Interventionen sind auch und waren auch immer Vorwand, um geostrategische Ziele zu verwirklichen und sind immer missbrauchsanfällig gewesen. Deswegen wird auch unter diesem neuen Konzept der Schutzverantwortung klar gesagt: Militärisches Eingreifen nur mit Ermächtigung des Sicherheitsrates. Und eine solche fehlt zum Beispiel jetzt in Syrien."
Hochaktuell waren die Diskussionen in diesem Jahr auf dem Akademientag in Hannover zum Thema "Recht und Willkür" – zum Beispiel über humanitäre Interventionen zum Schutz der Menschenrechte. Anne Peters, Professorin für Völker und Staatsrecht an der Universität Basel und Präsidentin der European Society of International Law, analysierte in ihrem Vortrag zu "Recht und Politik" aktuelle Herausforderungen. Warum, so eine Frage aus dem Publikum, greift die Staatengemeinschaft denn in Libyen ein und in Syrien nicht? Eine willkürliche politische Entscheidung?
"Das, was rechtlich relevant ist, ist, dass auf Zivilisten geschossen wurde. Und groß angelegte Angriffe mit schweren Waffen auf die Zivilbevölkerung sind rechtlich gesehen sogenannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das lag in beiden Staaten vor, selbst wenn insgesamt der politische Kontext noch unterschiedlich sein mag. Dieser Aspekt ist aus juristischer Sicht gleich, und normalerweise würden gleiche Situationen auch gleiche rechtliche Reaktionen erfordern. Denn sonst ist es ja gerade Ungleichbehandlung und damit Willkür."
Juristisch gilt es, Recht und Willkür auseinanderzuhalten. So versteht nicht nur Anne Peters die Debatte.
"Die Essenz von Gerechtigkeit ist auch die Gleichbehandlung, die nicht-willkürliche Behandlung. Willkür heißt, dass man einfach machen kann, was man will. Und Recht setzt Standards."
"Das Mittelalter hatte ein ganz anderes Verständnis von Willkür. Und dem kommt man näher, wenn man sich das Wort genauer anguckt. In Willkür steckt ja der Wille - das Wollensmoment – und eben auch die Kür. Kür heißt ja wörtlich Wahl oder Auswahl, wie bei den Kur-Fürsten oder bei der Kür eines Herrschers zum Beispiel. Das Mittelalter gerade in der Gestalt von Stadtrechten, aber auch von Satzungen etwa von Kaufmannsgilden hat mit Willkür das umschrieben, was etwa diese Stadt oder diese Kaufmannsgilde für sich selber als Recht gesetzt hat: zum Beispiel bestimmte Marktordnungen, Kleiderordnungen, Verpflichtungen der Kaufleute in ihrer Gilde und so weiter. Willkür war eigentlich das selbstgegebene Recht und hatte insofern ein starkes Moment der Selbstbestimmung."
Horst Dreier, Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Was angesichts der kritischen Ereignisse im arabischen Raum so klar getrennt scheint – Recht im Gegensatz zu Willkür – zerfällt mit Blick in Philosophie, Rechts- oder Begriffsgeschichte in einen unerwarteten Fassettenreichtum:
"Kant gibt in seiner Metaphysik der Sitten vielleicht die am häufigsten zitierte Definition von Recht überhaupt, indem er sagt: Recht ist der Inbegriff derjenigen Bedingungen, unter der die Willkür des Einen mit der Willkür des Anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann. Das heißt: Recht hat es mit dem Ausgleich und der Regulierung unterschiedlicher Willküräußerungen zu tun. Und Willküräußerungen im Sinne von Kant sind Handlungen, nach dem eigenen Willen – wodurch auch immer dieser eigene Wille motiviert ist."
Die Verwendung und Bedeutung von Worten in der Sprache des Rechts – nirgends ist sie besser zu erforschen als in einem Wörterbuch - zum Beispiel im Deutschen Rechtswörterbuch, das seit 1897 fortgeschrieben wird, heute an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
"Ziel der Väter, zu denen namhafte Juristen, Sprachwissenschaftler der Zeit gehört haben, war, die Sprache des alten Rechts zu sammeln, um damit das aktuelle Recht um 1900 zu verbessern."
Das historische Wörterbuch ist ein Schatz für Kultur-, Sprachwissenschaftler oder Kunsthistoriker, sagt der Leiter der Forschungsstelle Andreas Deutsch. In ihm finden sich auch unerwartete Wortbedeutungen aus Zeiten, in denen Willkür noch Recht war. So hatte etwa der Ausdruck "oben schwimmen" einen grausigen rechtlichen Kontext:
"Wenn eine Hexe überführt werden sollte, dann hat man ja einen Test gemacht im 17. Jahrhundert, vor allen Dingen die sogenannte Hexenprobe. Und wenn, sie mit den Händen und Beinen gebunden ins Wasser geworfen, nach unten absank, dann war sie keine Hexe. Aber wenn sie oben schwamm, war sie der Hexerei überführt. Also "oben schwimmen" ein rechtliches Wort."
Zwölf Langzeitforschungsprojekte zum Thema "Recht und Willkür" stellte die Akademieunion an der Leibniz Universität Hannover vor. Wie allein des Kaisers Wille im Mittelalter Recht setzte, kann man in den Monumenta Germaniae Historica nachlesen. MGH ist die Abkürzung für das seit 1816 andauernde Unterfangen, mittelalterliche Quellentexte aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation für die weitere Erforschung wissenschaftlich aufzubereiten. Forschungsstellen sind an allen Akademien der Union. In Berlin werden zum Beispiel die Kaiserurkunden ediert. Mathias Lawo ist Mitarbeiter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:
"Es gibt im Mittelalter keine geschriebene Verfassung, sondern alles spielt sich in Einzelakten ab oder häufig auch mündlich. Und die Kaiserurkunden geben eben den Willen des Herrschers zu erkennen. Daneben gibt es kurfürstliche Willebriefe. Die sieben Kurfürsten, die den Herrscher wählen, sind praktisch die nächste Ebene. Die geben zu besonders wichtigen Urkunden des Kaisers ihre Zustimmung."
Willkürentscheidungen, wie wir sie heute verstehen, gab es selbstverständlich auch. Gekoppelt an Gefälligkeiten zum Beispiel.
"Meistens gibt es Bittsteller, die zum Kaiser kommen, dann auch für die Urkundenausstellung bezahlen müssen, und je nachdem ob der Kaiser dem geneigt ist - und da ist der Kaiser auch keineswegs nur selbst dran beteiligt, wir haben durchaus auch Dokumente, wo die Kanzlei mehr oder weniger deutlich zu erkennen gibt, der Aussteller möge aber doch bitte finanziell etwas mehr tun, wenn er diese Urkunde haben wolle."
Korruption an Stelle von Gleichbehandlung und Recht finden auch die Papyrologen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste in ihren über 2000 Jahre alten Quellen aus Ägypten. Als der große ägyptische Aufstand gegen die griechische Dynastie der Ptolemäer das Land erschütterte, dokumentieren die Papyri unsichere Gesetzgebung in einer andauernden politischen Krise. Die Papyrologin Charikleia Armoni:
"Es betrifft einen langjährigen Rechtsstreit zwischen zwei Gruppen von Leichenbestattern. Nicht jeder hatte das Recht, ein solches Institut zu betreiben, sondern man brauchte eine Erlaubnis von der Regierung. Und die beiden Gruppen, die streiten sich 20 Jahre lang um das Recht, in einer Region Leichen zu mumifizieren. Und sie schreiben Eingaben an verschiedene Instanzen in der Region, aber auch in der Hauptstadt Alexandrien. Und da kommen auch Fälle von Bestechung, von verschiedenen staatlichen Stellen, Polizisten und so weiter vor. Also das ist zum Schluss ein echt rundes Bild des Alltags."
Alltag zwischen Willkür und Recht, wie er offenbar für alle Zeiten gilt - und in einer ganz bestimmten Hinsicht sogar gelten sollte. Der Rechtsphilosoph Horst Dreier führte auf dem Akademientag die kritische Betrachtung des Willkür-Begriffs bis zum deutschen Grundgesetz:
"Der Freiheitsbegriff der Grundrechte des Grundgesetzes ist in der Tat ein Freiheitsbegriff, der strikt formal gefasst ist und der 'Freiheit zur Beliebigkeit' zulässt, der gewissermaßen individuelle Willkür zulässt. Das ist die Konsequenz eines liberalen Freiheitsbegriffes, dem zur Folge der einzelne Grundrechtsträger und niemand anderes darüber entscheidet, ob und wie er von seinen Grundrechten Gebrauch macht. Da gibt es keinen besseren und keinen schlechteren und keinen guten und keinen bösen, sondern da gibt es nur einen Grundrechtsgebrauch. Und zu welchen Zwecken man von dem Gebrauch macht, ob das törichte und egoistische, ob das Gemeinwohl förderliche sind, darauf kommt es für die Zulässigkeit dieser Freiheitsausübung nicht an. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, auf den man mal hinweisen könnte, denn ganz so einfach ist das Thema Recht und Willkür eben doch nicht, obwohl es zunächst möglicherweise so scheinen kann."