Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Elisa Gutsche. Sie ist Politikberaterin aus Berlin. Sie ist ganz in der Nähe von Heidenau, in Pirna, aufgewachsen. Frau Gutsche, wenn Sie die Berichte über Fremdenfeindlichkeit lesen, wenn Sie die Fernsehbilder sehen, überrascht Sie das eigentlich, was da gerade in Ihrer Heimat los ist?
Elisa Gutsche: Nein, Herr Heinrich. Das tut es leider überhaupt nicht. Als ich das am Wochenende gehört habe, war ich total schockiert, und als ich die Bilder gesehen habe, sogar noch ein Stückchen mehr schockiert und erst mal ein paar Tage lang relativ sprachlos, bis ich meine Sprache zurückgefunden habe und mich an meine eigene Jugend und mein eigenes Aufwachsen in der Nähe von Heidenau erinnert habe und auch an Erfahrungen, an Momente, die von Gewalt seitens Neonazis und gewalttätigen Rechten geprägt waren.
"Die Polizei hat erst sehr spät reagiert"
Heinrich: Schildern Sie doch mal ein Beispiel.
Gutsche: Ein Beispiel wäre, als wir in der zehnten Klasse campen waren an einem See mit einer größeren Gruppe mit 15 bis 20 Leuten und auf einmal eine Truppe von gewaltbereiten Neonazis aufmarschiert ist, die ja dann in ihrer schieren Masse allein schon sehr furchteinflößend wirken und versucht haben, uns in einen Streit zu verwickeln. Und die Stimmung war total aggressiv und angespannt. Die haben dann auch versucht, Freunde von mir direkt anzusprechen und zu beleidigen, und ich habe einfach nur da gesessen und versucht, die Polizei anzurufen, die erst nach mehrmaligen Anrufen überhaupt reagiert hat und viel, viel später endlich dann doch jemand vorbeigeschickt hat, die dann aber nichts Besseres zu tun hatten, als unsere Fahrräder zu kontrollieren, anstatt diese Rechten zu verfolgen und diesem Vorgang irgendwie nachzugehen. Es gab immer wieder solche Erlebnisse.
Oder in der Kleinstadt, in der ich groß geworden bin, in Pirna, gab es eine Party-Reihe, die vor allem von Jugendlichen und Kids der alternativen Szene frequentiert wurde, wenn man es so will. An den Tagen, an denen das war, in den Nächten, in denen das war, sind auch immer Nazis durch die Stadt patrouilliert in Autos und haben gezielt versucht, da Kids aufzumischen.
Gefährliche Mischung: Perspektivlosigkeit, Frustration und Unkenntnis
Heinrich: Aus Ihrer Sicht, was denken Sie denn? Woher kommt denn dieser Hass? Sachsen muss relativ wenige Flüchtlinge selber aufnehmen, es gibt kaum Ausländer dort. Woran liegt das denn?
Gutsche: Ich denke, es liegt genau daran. Ich glaube, es gibt eine relativ große Angst vor dem Unbekannten. Deswegen gibt es auch keinen Zugang dazu und kein Verständnis dafür. Wenn man sich einfach mal anguckt, gegen was Pegida hetzt und gegen was sich diese Vorurteile alles richten, das zeugt meines Erachtens alles von Unkenntnis und von einem relativ kleinen, engstirnigen Weltbild. Daran liegt das, denke ich, auch an einem gewissen Frustrationsgrad innerhalb der Bevölkerung, innerhalb der Jugend, an dem Faktor Perspektivlosigkeit. Ich glaube, das sind alles Dinge, die da mit reinspielen.
Heinrich: Jetzt haben Sie es schon angesprochen. Sie selbst sind schon vor zehn Jahren gegangen. Eine Million Menschen haben Sachsen seit 1990 verlassen, wie viele Hochqualifizierte eigentlich. Kann man denn aus Ihrer Sicht sagen, die, die noch da geblieben sind, das ist der braune Bodensatz?
Gutsche: Nein. Das würde ich so auch nicht sagen. Auf gar keinen Fall. Viele Leute, die da geblieben sind, engagieren sich heute mehr noch als vor zehn Jahren. Da hat sich mittlerweile viel, viel getan. Sie engagieren sich für die Geflüchteten, engagieren sich für ihren Heimatort Pirna, was an sich ja auch ein sehr liebenswertes Städtchen ist, und versuchen, da was zu tun, und schaffen das auch. Aber es gibt halt immer wieder dieses destruktive Element von diesen mehreren hundert Nazis in ihrem geschlossenen Weltbild, die agitieren, die die Leute einfangen, die es nicht besser wissen oder nicht besser wissen wollen, und die einfach in ihrem geschlossenen Weltbild handeln. Vielleicht gibt es in Sachsen im Gegensatz zu anderen Bundesländern noch mal andere, festgefahrenere Strukturen, aber auf alle Fälle haben sich in den letzten zehn Jahren Strukturen herausgebildet, die das bekämpfen, die da engagiert gegen eintreten, auch mit Hilfe der lokalen Politik, die da viel mehr Sensibilität ausgeprägt hat. Das ist auf alle Fälle wichtig.
"Auch den Fokus auf diese Menschen richten"
Heinrich: Jetzt ist es ja nicht nur die lokale Politik, die darauf aufmerksam geworden ist. In den letzten Tagen hat sich ja viel Politikprominenz versammelt, von Merkel bis Gabriel. Die Leute, die sich da jetzt engagieren, bekommen die aus Ihrer Sicht eigentlich genügend Unterstützung von Staates Seite?
Gutsche: Ich denke, soweit ich das jetzt von Berlin aus beurteilen kann, ohne wirklich einen Einblick in die Strukturen zu haben, aber mit den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, würde ich sagen, von lokaler Seite her ja. Von Seiten der sächsischen Landesregierung kann ich das nur schwer beurteilen, offen gesagt. Ich würde aber sagen, dass es wichtig ist, auch den Fokus auf diese Menschen zu richten und ein Klima der Unterstützung für diese Menschen zu schaffen und auch zu zeigen, was die eigentlich für eine gute und wichtige Arbeit leisten, und das hervorzuheben.
Heinrich: Bleiben wir mal bei denen, die sich engagieren. Ganz kurz zum Schluss, Frau Gutsche. Was kann man denn am besten tun, um genau diesen Leuten zu helfen?
Gutsche: Man kann spenden, zum Beispiel an die Aktion Zivilcourage in Grimma, oder an das Alternative Kultur- und Bildungszentrum, das AKuBiZ in Pirna. Das sind zwei Initiativen, die sich vor Ort seit Jahren engagieren und einbringen, und man kann Geld spenden, Zeit spenden, Fördermitgliedschaften eingehen. Man kann einfach die gute Nachricht verbreiten, dass es die Initiativen vor Ort gibt, die was tun, und den Leuten einfach den Rücken stärken.
Heinrich: Über die rechte Gewalt in Sachsen, aber auch über die, die sich vor Ort engagieren - das war Elisa Gutsche. Sie ist aufgewachsen in der Nähe von Heidenau, in Pirna. Heute ist sie Politikberaterin in Berlin. Frau Gutsche, vielen, vielen Dank für das Gespräch.
Gutsche: Vielen Dank, Herr Heinrich.
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