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Rechte Anschlagsserie in Berlin
Die Polizei ermittelt seit Jahren ohne Erfolg

In Berlin-Neukölln gibt es ein Problem mit rechtsmotivierten Anschlägen. Die Täter werden in der Neonazi-Szene vermutet. Ermittlungsgruppen zu den Anschlägen hat die Polizei bereits mehrfach eingerichtet. Doch die Aufklärungsquote liegt bisher bei null Prozent.

Von Panajotis Gavrilis |
Menschen bei einer Demonstration
Rund 2000 Menschen demonstrieren Ende Juni 2020 in Berlin-Neukölln gegen rechten Terror (Deutschlandradio/Gavrilis)
"Man sieht hier drei Leute. Sind vorbeigelaufen. Man sieht hier die Flamme, wie sie aufgeht. Und jetzt brennt das Auto."
Sulaiman Alsaka spielt auf seinem Handy ein Überwachungsvideo ab.
Es zeigt, wie ein weißer Transporter vor der syrischen Konditorei "Damaskus" in Flammen aufgeht. Zudem beschmierten Unbekannte die Hausfassade mit Nazi-Symbolen, SS-Siegrunen.
"Da stand so ein Double S-Zeichen und das Hakenkreuz auch."
Es war nicht das erste Mal, dass die Konditorei in der Neuköllner Sonnenallee zur Zielscheibe geworden ist. Sulaiman Alsaka spricht von sieben Angriffen, darunter immer wieder Nazi-Schmierereien auf der Schaufensterscheibe.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - das Dossier zum Thema (dpa / Martin Schutt)
Autos gehen in Flammen auf, Fenster werden beschmiert
Der 22-jährige Syrer macht eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, hilft nebenbei im Laden aus. 2014 war er mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen. Das Geschäft mit Baklava und arabischen Süßigkeiten läuft so gut, dass es mittlerweile drei Läden in ganz Berlin gibt. Doch das scheint nicht allen zu gefallen.
"Es tut mir richtig sehr leid, dass bis jetzt, 2020, solche Leute hier in Deutschland leben. Das geht ja nicht. Also man sieht auch, wie Deutschland sich verletzt durch den 2. Weltkrieg und durch rassistische Gedanken. Naja, die wiederholen das."
Eine Straße weiter, ein paar hundert Meter nur von der örtlichen Polizeiwache entfernt, steht Ferat Kocak. Der Linken-Kommunalpolitiker, der sich gegen rechts engagiert, zeigt auf ein asiatisches Restaurant. Auch hier wurden die Fenster unter anderem mit einem fast menschengroßen Hakenkreuz beschmiert. "Markierungen" nennt Kocak das und weiß, wohin das führen kann. Vor knapp zweieinhalb Jahren wurde sein Auto nachts angezündet. Es stand neben dem Haus seiner Eltern, dicht an einer Gasleitung. Es war Glück, dass er und seine Eltern überlebten.
"Wenn ich bei meinen Eltern übernachte, dann sehe ich die Flammen vor den Augen und bin dann wach, hellwach und halte im Prinzip Wache bis es hell wird draußen und dann kann ich erst schlafen. Ich wechsle ständig den Wohnort und versuche immer wieder neu meine Ruhe zu finden. Damit ich zumindest einschlafen kann, und somit am nächsten Tag nicht so fertig bin."
Menschen bei einer Demonstration
Vor der syrischen Konditorei gab es Ende Juni 2020 Solidaritätsbekundungen bei einer Demonstration gegen rechten Terror. (Deutschlandradio/ Gavrilis)
Kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsbehörden
Angst? Sei nach wie vor da, so Kocak und:
"Misstrauen in den Staat an sich bis hin sozusagen, dass es Nazistrukturen gibt, die mich sozusagen als Feind auserkoren haben und ich eigentlich auch nach Walter Lübcke mir vorstellen kann, dass um die Ecke jemand kommt und mir eine Kugel gibt."
Vertrauen in die Sicherheitsbehörden hat Kocak kaum noch.
Denn heute weiß er, dass sie den Anschlag auf ihn wohl hätten verhindern können. Der Berliner Verfassungsschutz und der Staatsschutz des Landeskriminalamtes hatten nämlich die beiden mutmaßlichen Täter auf dem Schirm und wussten, dass sie Kocak vorher ausspähten und verfolgten. Gewarnt hatten die Behörden Kocak dennoch nicht. Die Polizei räumte später Fehler ein.
"Und das ist das, was uns Betroffene Sorgen macht. Es wird immer wieder aufgedeckt, Verbindungen zwischen Sicherheitsbehörden und Neonazis in Berlin: Die Kommunikation im Nazi-Jargon über ein Diensthandy, dann, dass ein LKA-Beamter sich mit einem der mutmaßlichen Täter in meinem Fall in einem Südneuköllner Café getroffen hat. Das sind alles Sachen, die Fragen aufwerfen."
Verbindungen zwischen Tätern und Polizei?
Eine weitere Frage, die er sich stellt: wie es sein kann, dass ein Polizist über eine Chatgruppe Kontakt zu einem der mutmaßlichen Täter gehabt haben soll. Um mögliche Verbindungen zwischen Polizei und mutmaßlichen Tätern herauszufinden, brauche es einen Untersuchungsausschuss, fordert Kocak.
Seit Jahren werden im Berliner Bezirk Neukölln Autos angezündet, Scheiben eingeschlagen, Hauswände mit Morddrohungen und Hakenkreuzen beschmiert, Moscheen bedroht, Menschen antisemitisch beleidigt.
Polizei will im Sommer 2020 Bericht vorlegen
Die Opfer engagieren sich meist gegen Rechtsradikalismus. Täter oder Täterinnen konnten bisher keine gefunden werden.Wo bleibt die Aufklärung? Und: Warum dauert es so lange? Anja Dierschke, Pressesprecherin der Polizei Berlin, zeigt sich zuversichtlich:
"Polizei Berlin schafft das, ja! Es ist nur eine sehr akribische Arbeit, eine langatmige Arbeit, um dann die Ermittlungen so beweissicher zu machen, dass die Justiz damit auch etwas anfangen und ihre Entscheidungen treffen kann."
Die Polizeisprecherin verweist auf eine Sonderermittlungsgruppe – nicht die erste – mit phasenweise über 100 Ermittlerinnen und Ermittlern.
Im Spätsommer will die Fahndungseinheit einen Abschlussbericht vorlegen. Insgesamt zählt sie mindestens 72 rechtsextremistische Straftaten, davon 23 Brandstiftungen. Dabei geht es um die Jahre 2013 bis 2019.
"Warum im Detail in dieser Serie von Straftaten noch keiner dingfest gemacht werden konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren."
Tatverdächtige sind teils seit Jahren bekannt
Bisher gibt es drei Tatverdächtige, zum Teil seit Jahren bekannte Neonazis. Darunter ein Ex-NPD-Funktionär und ein ehemaliger AfD-Bezirkspolitiker. Dass immer noch niemand zur Verantwortung gezogen wurde, verärgert auch den Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel.
"Es ist auch frustrierend, weil Sie kennen die Namen, Sie haben die schon zig Mal gesehen und Sie wissen, dass es durchaus plausibel sein könnte, dass diese Namen auch wirklich hinter den Taten stecken. Dann ist es umso frustrierender, dass man da nicht endlich Fakten schafft und sagt: Entweder das sind sie oder das sind sie nicht."
Neonazis erstellten eine "Feindesliste"
Hikel fordert die Generalbundesanwaltschaft dazu auf, die Ermittlungen zur Anschlagsserie zu übernehmen. Für sie liegen aktuell aber nicht ausreichende Anhaltspunkte vor, um aktiv zu werden.
Was Matthias Müller von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin" besonders besorgt: Die Verdächtigen sammelten über Jahre hinweg Daten zu Personen, die sie als politische Feinde ansehen. Die Liste umfasst immerhin etwa 500 Namen.
"Das ist sehr gefährlich. Das ist kein Hobby, das Neonazis haben. Irgendwelche Steckalben, Poesiealben zu sammeln von Menschen. Sondern sie tun es, um sie anzugreifen."
Die sogenannte "Feindesliste" liegt den Behörden seit Monaten vor, bisher wurden aber noch nicht alle Betroffenen informiert.
Proteste in Berlin-Neukölln
Ende Juni in Berlin-Neukölln: Etwa 2.000 Menschen ziehen vor die Damaskus-Bäckerei in der Sonnenallee, um sich solidarisch zu zeigen mit den Inhabern. Mitarbeiter der Konditorei bedanken sich und verteilen Baklava an die Demonstrierenden.
"Das gibt uns Kraft", sagt Sulaiman Alsaka. "Wir sind aus Syrien geflohen, haben schlimme Dinge erlebt".
Er und seine Familie wollen, dass die rechten Angriffe aufhören, die Täter oder Täterinnen endlich gefasst werden.
"Wir sagen: Es reicht für uns! Wir möchten nicht mehr sowas sehen. Wir werden Deutschland sowieso nicht verlassen, nein. Auch wenn es solche Fälle gibt. Weil die Mehrheit steht mit uns und die Mehrheit gewinnt immer."