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Rechte Ausschreitungen in Chemnitz
Mehrere Verletzte, überforderte Polizei

Bei einer erneuten Demonstration Tausender Rechter in Chemnitz und einer Gegendemonstration wurden gestern Abend sechs Menschen verletzt. Die Polizei räumte ein, die Lage unterschätzt zu haben. Viele fühlen sich an die Pogrome zu Beginn der 90er-Jahre erinnert und beschuldigen die sächsische Politik, die seit Jahren keine Haltung zeige.

Von Bastian Brandau |
    Chemnitz: Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen.
    Chemnitz: Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen. (dpa-Bildfunk / Jan Woitas)
    Neonaziparolen hallen durch die Chemnitzer Innenstadt. Eine Kundgebung mit nach Schätzungen von Beobachtern mehreren Tausend Teilnehmern, angemeldet von einem extrem rechten Chemnitzer Bündnis wird von der Polizei auf ihrem Rundkurs begleitet. Angemeldet als Trauermarsch, um einem Mann zu gedenken, der am Sonntag in Chemnitz gewaltsam zu Tode gekommen war. Doch von Trauer ist wenig zu spüren, Teilnehmer der Kundgebung zeigen den Hitlergruß, beschimpfen Gegendemonstranten und die Polizei. Die Stimmung ist aggressiv. Gegenstände wie Flaschen fliegen, auch Böller werden gezündet.
    Gegen die Demonstration der Rechtsextremen stellen sich an diesem rund Tausend Menschen, die einem Aufruf des Bündnisses "Chemnitz Nazifrei" folgen. Es gibt nach Polizeiangaben mehrere Verletzte. Zwischenzeitlich fährt die Polizei Wasserwerfer auf, die Lage ist unübersichtlich und bleibt es auch nach dem offiziellen Ende der Kundgebung. Am Abend räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. Man habe mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl.
    Regierung verurteilt die Ereignisse
    Erst am späten Abend beruhigt sich die Lage zunächst wieder in Chemnitz, wo schon am Sonntag eine rechte Kundgebung durch die Innenstadt gezogen war, die bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Von Selbstjustiz, Intoleranz und Extremismus sprach Regierungssprecher Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz am Mittag mit Blick auf die Ereignisse am Sonntag in Chemnitz. Für all dies, so Seibert sei in Deutschland kein Platz.
    "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin."
    Es sei widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machten und zur Gewalt aufriefen, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU. Man lasse nicht zu, dass das Bild des Landes durch Chaoten beschädigt werde.
    Von einer "neuen Dimension der Eskalation" sprach Sachsens Innenminister Roland mit Blick auf den Sonntag in Chemnitz.
    "Wir haben eine Situation, die für mich und für viele andere unerträglich ist. Wir haben Spekulationen, wir haben Mutmaßungen, wir haben Falschmeldungen und regelrechte Lügen im Netz."
    Roland Wöller (CDU), Innenminister von Sachsen
    Roland Wöller (CDU), Innenminister von Sachsen (dpa/Monika Skolimowska)
    Haftbefehl gegen einen Syrer und einen Iraker
    Lügen und Falschmeldungen über die Hintergründe des gewaltsamen Todes eines 35-jährigen auf dem Chemnitzer Stadtfest in der Nacht zu Sonntag. In dem Fall hat die Staatanwaltschaft inzwischen Haftbefehl gegen zwei Tatverdächtige erlassen, einen Syrer und einen Iraker. Die Tat mache sie tief betroffen, sagte die Oberbürgermeisterin von Chemnitz Barbara Ludwig:
    "Es rechtfertigt aber nicht in irgendeiner Form, mit Gewalt auf dieses tragische Ereignis zu reagieren. Und schon gar nicht, sich gegenüber dem Rechtsstaat mit Gewalt zu äußern."
    Am Sonntagnachmittag waren rund 800 Menschen durch die Chemnitzer Innenstadt gezogen, bei einer nicht angemeldeten Kundgebung. Aufgerufen dazu hatte eine rechtsextreme Hooligan-Gruppierung. Aus der Gruppe waren rassistische Parolen gegrölt worden. Teilnehmer hatten Passanten angegriffen. Die Chemnitzer Polizeipräsdentin Sonja Penzel:
    "Die Ansammlung reagiert nicht auf Ansprachen der Polizei. Nur durch konsequentes Handeln war es den Kräften der Einsatzpolizei möglich, die Ansammlung zu lenken."
    Erinnerung an die 90er-Jahre
    Was der Polizei allerdings nur begrenzt gelang, da sie zunächst nicht mit ausreichen Einsatzkräften vor Ort gewesen war. Das hatte unter anderem die Linkspartei kritisiert.
    Die Mobilisierungswelle im Spektrum der extremen Rechten erinnere sie an die Pogrome zu Beginn der 90er-Jahre, sagte die sächsische Linken-Vorsitzende Antje Feiks. Bei der Staatsregierung und besonders der herrschenden CDU sollte die Dringlichkeit nunmehr ankommen: Das was in Chemnitz am Sonntag passiert ist, dürfe sich nicht wiederholen.
    Grünen-Vorsitzende Christin Melcher sprach von nahezu 1.000 Nazi-Hooligans, die marodierend durch Chemnitz zögen, Angst und Schrecken verbreiteten und Menschen jagten. Dies sei auch Wirkung einer sächsischen Politik, die seit Jahren keine Haltung zeige, sagte Christin Melcher, Vorsitzende der sächsischen Grünen. Die Staatsregierung müsse klarmachen, dass und wie sie solche Exzesse künftig verhindern wolle.