"Mein Rat an alle Kids in Brasilien: Lasst uns filmen, was in Euren Klassenzimmern passiert und es veröffentlichen. Eure Eltern und alle guten Menschen Brasiliens haben ein Recht zu erfahren, was diese angeblichen Lehrer Euch antun. Herzlichen Glückwunsch für diese Initiative - ich bezweifle, dass die Lehrer sich trauen, Euch anzuzeigen."
Der Mann, der mit einem Handyvideo Brasiliens Schüler auffordert, ihre Lehrer zu denunzieren, ist Jair Messias Bolsonaro. Ein pensionierter Militär, der im Oktober zu Brasiliens neuem Präsidenten gewählt wurde. Wenn er im Januar sein Amt antritt, will er die "Initiative" zur Chefsache machen: "Escola sem Partido", die "neutrale Schule", befreit von vermeintlichen linken Ideologien. Diese tarnten sich als "Kulturmarxismus", der mit den Themen Gender, sexuelle Aufklärung und progressive Kunst die traditionellen Familienwerte zerstört will, so die Theorie der neuen brasilianischen Rechten rund um Bolsonaro.
Linke: Ein Komplott der rechten Eliten
Der Kongress diskutiert bereits seit Monaten über die "Escola sem Partido". In jedem Klassenzimmer soll bald eine Warntafel mit den sechs Grundregeln angebracht werden. Der Lehrer darf nicht mehr einseitig seine politischen Ansichten äußern, Diskussionen über Gender-Fragen sowie Sexualunterricht sind vom Stundenplan zu nehmen. Zudem sei die religiöse Erziehung alleine den Eltern vorbehalten.
Mitte 2016 hatte Bolsonaros Stimme dazu beigetragen, die linke Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei im Parlament zu stürzen. Ihr Vorgänger, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, sitzt seit April wegen Korruption und Geldwäsche in Haft. Für Brasiliens Linke ist das ein Komplott der rechten Eliten. Doch für Bolsonaro ist der Sozialismus Schuld am vermeintlichen moralischen Verfall und dem wirtschaftlichen Niedergang Brasiliens. Der Ex-Militär sehnt sich nach den Zeiten der Militärdiktatur, die in den Sechziger und Siebzigerjahren die linke Opposition gewaltsam unterdrückte. Deren Folterer zählt er zu seinen Idolen, wobei er einst in einem Fernsehinterview beklagte, dass die Militärs nicht 30.000 Linke mehr umgebracht haben.
Ein Lehrer vergleicht Bolsonaro mit Hitler. Aufgenommen wurde das Handyvideo vor einigen Wochen heimlich von seinen Schülern. Unter dem Titel "Linker Lehrer rastet aus" wird es in sozialen Netzwerken derzeit tausendfach angeklickt. Obwohl die "Escola sem Partido" überhaupt noch nicht als Gesetz verabschiedet wurde, wirkt sie bereits an vielen Schulen Brasiliens. Und sogar an den Universitäten, sagt Giovanna Marafon, die an der Landesuniversität von Rio de Janeiro Lehrer für Grund- und Mittelschulen ausbildet.
"Meine Schüler, die bereits als Lehrer an Schulen arbeiten, haben Angst. Und wenn ich mit ihnen an der Universität über Gender-Fragen rede, trauen sich viele nicht, etwas zu sagen. Sie haben auch Angst, wenn ihre Schüler dieses Thema in den Schulen ansprechen."
Justiz hat ähnliche Initiativen gestoppt
Noch ist fraglich, ob der Kongress der "Escola sem Partido" zustimmen wird. Zudem drohen Klagen vor dem Obersten Gericht, denn der Maulkorb für Lehrer ist verfassungsrechtlich heikel. Die Justiz hat bereits Dutzende ähnlicher Initiativen in Kommunen und auf Länderebene gestoppt. An Brasiliens Schulen herrscht trotzdem Angst. Vor einigen Tagen veröffentlichte der Politiker Daniel Silveira von Bolsonaros Partei ein Video, in dem er der Direktorin einer Schule in Rio de Janeiro droht. Diese soll die Schüler linken Ideologien ausgesetzt haben.
"Ich werde alles durchleuchten lassen, was Sie als Schulleiterin bisher angeordnet haben. Hören Sie gut zu, Frau Direktorin, mit dem Kulturmarxismus und den parteilichen Schulen ist jetzt Schluss. Jeder Lehrer und Direktor wird bestraft, der die Jugendlichen mit der sozialistisch-kommunistischen Ideologie indoktriniert."
"Die Lehrer spüren, dass diese Bedrohungen real sind. Schüler sagen ihnen: Ich habe im Fernsehen gehört, dass das hier Indoktrination ist. Und Sie, Herr Lehrer, dürfen auch nicht mehr hier in der Schule über Gender-Fragen reden. Sowas führt zu Angst."
Brasiliens zukünftiger Bildungsminister hat bereits angekündigt, die Lehrpläne umarbeiten zu lassen. Die Militärdiktatur müsse endlich als positive und fortschrittliche Zeit dargestellt werden. Von einer ideologiefreien, neutralen Schule könne angesichts solcher Pläne nicht die Rede sein, meint der Philosoph Vladimir Safatle von der Universität Sao Paulo.
"Dahinter steckt etwas anderes. Sie wollen verhindern, dass an Schulen debattiert wird, sie wollen nicht, dass man Brasiliens Militärdiktatur kritisch darstellt. Sie wollen auch nicht über Gender-Fragen diskutieren - es geht nur um eine Zensur, damit ihre eigene Ideologie zur Hegemonie an den Schulen wird."