In der Kindheit lerne der Mensch das "erste System" kennen, das erste Herrschaftsverhältnis, sagte der Mediziner und Kinderarzt Herbert Renz-Polster im Dlf. Vom Kind her gehe es in den ersten Jahren um drei Fragen: Bin ich anerkannt, bin ich okay, bin ich sicher und geschützt und gehöre ich dazu, habe ich eine Heimat? "Das sind die Fragen, die Kinder uns die ganze Zeit stellen."
Wenn dies erfüllt werde, dann seien das Schutzfaktoren gegen äußere Verlockungen, die genau dieses Versprechen auch machen: "Zum Beispiel, du bist groß, weil du Deutscher bist."
Aber nicht jeder, der in seiner Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht habe, werde nachher Rechtspopulist - vom Kinderzimmer zum Erwachsenenleben gebe es viele Wege und Abzweigungen, sagte Renz-Polster. Man könne auch später weitere Erfahrungen machen, die dann vor solchen Ideologien schützten.
In der Kindheit werde aber unter Umständen eine Verletzlichkeit angelegt, die dazu führen könne, dass die Welt da draußen immer als feindlich wahrgenommen werde, das sei eigentlich der Blick der Rechtspopulisten. Um Kinder vor extremistischen Ideologien zu schützen, "müssen wir Kinder so behandeln, dass sie nicht in Not geraten, dass sie nicht das Gefühl haben, überfordert zu sein, dass sie mit ihren Bedürfnissen Anerkennung finden".
"Grüne Eltern haben grüne Kinder"
Auch bei den linken RAF-Terroristen habe es bei überraschend vielen "Beziehungsabbrüche" gegeben. "Wenn die Eltern Pfarrer waren, heißt das nicht, dass das eine intakte Erziehung war", sagte Renz-Polster. Die Forschung zeige, "dass bei allen gewaltbereiten, Gewalt anwendenden Extremisten, dass da in der Kindheit deutliche Belastungsfaktoren und Traumatisierungen vorliegen".
Der Einfluss der Eltern darauf, wie die Kinder später denken, sei enorm: 80 Prozent der konservativen Eltern hätten dann später auch konservativ wählende Kinder, bei grün-alternativen Eltern sei es sogar so, dass praktisch alle Kinder dann grün wählten.
Der Autoritarismus habe sich in der deutschen Geschichte erst langsam ausgewaschen, sei aber in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. "Wir haben die liberalste, die weltoffenste, auch weiblichste Gesellschaft, die wir je in Deutschland hatten", sagte Renz-Polster. Das komme daher, dass die Kinder nach und nach immer besser behandelt worden seien.
Jetzt, wo die Kindheit immer stärker institutionalisiert sei, müssten die Einrichtungen liefern - und zwar das, was es zur Persönlichkeitsentwicklung brauche: "Beziehungssicherheit, gute Orte, in denen sich die Kinder wohlfühlen, hier haben wir gemeinsam eine Heimat - das ist das, was Kinder suchen."
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