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Rechte Gewalt in den USA
Kulturkampf ums Erinnern

Die Zusammenstöße in Charlottesville offenbaren nach Ansicht des Historikers Simon Wendt zwei konkurrierende Interpretationen der US-Geschichte. An den Rand gedrängte weiße Rassisten fühlten sich nach dem Wahlsieg Donald Trumps als US-Präsident ermutigt, ihre Version der Vergangenheit wieder viel stärker publik zu machen.

Simon Wendt im Gespräch mit Michael Köhler |
    Ein Demonstrant setzt in Charlottesville Pfefferspray gegen einen Teilnehmer einer Gegendemonstration während einer Kundgebung von Rechtsextremisten ein.
    Ein Demonstrant setzt in Charlottesville Pfefferspray gegen einen Teilnehmer einer Gegendemonstration während einer Kundgebung von Rechtsextremisten ein. (dpa-Bildfunk / ZUMA Wire / Pacific Press / Michael Nigro)
    Michael Köhler: Wir sprechen jetzt weniger über die fehlende Anteilnahme des amerikanischen Präsidenten für die Opfer nach der rechten Gewalt in Charlottesville, sondern den Kampf über Symbole und Erinnerung neurechter Bewegung in den USA.
    Wir wollen also nicht über Amerikas Rechtsextreme, die sich in Virginia versammelten sprechen, nicht über Fackeln, Hakenkreuze und Hitler-Gruß, sondern über die Macht der Geschichte und Symbole. Simon Wendt ist Junior-Professor für Amerikastudien an der Goethe Uni Frankfurt am Main. Er hat über Krieg, Heldentum in den USA und das Civil Rights Movement gearbeitet. Gegendemonstranten, die für ein liberales, weltoffenes, multikulturelles Amerika stehen, werden gejagt. Geht es dabei auch um das Gedenken an die Wurzeln der USA und die richtige Erinnerung an den Bürgerkrieg?
    Der Bürgerkrieg und "ein bestimmtes Weltbild"
    Simon Wendt: Die Erinnerung an den Bürgerkrieg ist sicherlich nach wie vor heiß umkämpftes Thema, und hier kommt es natürlich darauf an, wen man fragt. Speziell in den Südstaaten gibt es natürlich große Bevölkerungsteile, die nach wie vor glauben, dass die Erinnerung an den Bürgerkrieg wachgehalten werden muss, aber aus einer ganz speziellen Perspektive, nämlich der Perspektive der Konföderierten Staaten von Amerika. Das bedeutet, dass damit natürlich auch ein bestimmtes Weltbild einhergeht, das die Sklaverei gutheißt beziehungsweise nicht stark kritisiert und auch mit der Rassentrennung und der Unterdrückung von Afroamerikanern einhergeht, und das, sage ich mal, steht in einem Konkurrenzverhältnis zu einer jüngeren Interpretation dieses Themas, die speziell von Historikerinnen und Historikern vorangetrieben wurde, die es natürlich viel kritischer betont, die Unterdrückung betont, die negativen Konsequenzen der Sklaverei, und diese zwei miteinander konkurrierenden Versionen der Vergangenheit beziehungsweise Interpretationen der Vergangenheit sind speziell jetzt in den letzten Tagen wieder zum Vorschein gekommen.
    Köhler: Das ist interessant: Die Erinnerung soll wachgehalten werden, und um die wird gestritten. Amerikas Rechte demonstriert ihre Stärke gerade, gibt vor, gegen den geplanten Abbau beispielsweise einer Statue von Robert Lee zu protestieren. Dazu muss man wissen, das war ein Held im Amerikanischen Bürgerkrieg, einer der wichtigsten Generäle in der von Ihnen gerade erwähnten konföderierten Armee. Er kämpfte für den Erhalt der Sklaverei im Süden. Um diese, um andere Statuen auch wird gestritten. Ist das also, Herr Wendt, ein Kulturkampf auch ums Erinnern?
    Unterdrückung von Afroamerikanern lange nicht erwähnt
    Wendt: Ganz eindeutig. Es geht darum, welche Erinnerung zur offiziellen Erinnerung deklariert wird. Für sehr, sehr lange Zeit war die offizielle Erinnerung tatsächlich eine solche, die die Unterdrückung von Afroamerikanern gar nicht mal erwähnt hat, die auch nicht das rassistische Weltbild des alten Südens infrage gestellt hat, und im Rahmen des Wahlkampfes von Donald Trump und seines Wahlsieges fühlt sich eine Gruppe von weißen Rassisten, die eigentlich schon an den Rand gedrängt worden waren, ermutigt, ihre Version der Vergangenheit wieder viel stärker publik zu machen, und das ist tatsächlich, was wir gerade im Augenblick sehen.
    Köhler: Herr Wendt, wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Symbole wie etwa die alte Kriegsflagge oder so etwas scheinbar Altmodisches, wovon wir in diesen Tagen vermehrt hören, nämlich Reiterstandbilder?
    Was es bedeutet, Amerikaner zu sein
    Wendt: Solche Statuen und ganz besonders die konföderierte Flagge des alten Südens sind ganz wichtige Symbole, an denen tatsächlich verhandelt wird, was es bedeutet, Amerikaner zu sein, wer dazugehört, wer nicht dazugehört, und wenn man diese weißen rassistischen Gruppen, die sogenannte Alt-Right und ähnlich gelagerte Gruppen fragt, dann gehört in Amerika tatsächlich nur die weiße Bevölkerung dazu, speziell alteingesessene Weiße, die schon seit Jahrhunderten in Amerika leben, während Minderheiten – und da geht es sowohl um Einwanderer als auch um Afroamerikaner – nicht dazugehören beziehungsweise nicht dieselben Rechte haben sollten wie weiße Amerikaner.
    Köhler: Also sind das Ausschließungssymbole.
    Wendt: Das sind Ausschließungssymbole, die deswegen natürlich speziell in den Augen vieler Afroamerikaner täglich ihnen vor Augen führen, dass sie nach wie vor Bürger zweiter Klasse sind in den USA.
    "Eine Reihe von Normen und Werte vermischen sich"
    Köhler: Die Erinnerung an Generäle und Helden der Südstaaten sind Zeichen wofür noch, für soldatische Tugenden, für Mannhaftes, für Rassismus als Staatsdoktrin?
    Wendt: Ja, es vermischen sich hier natürlich eine Reihe von Normen und Werte, die betont werden, unter anderem auch eine bestimmte Vorstellung von männlichem Mut, das aber eben tatsächlich eine Qualität ist, die speziell weißen Soldaten zugeschrieben wurde, und heutzutage geht es letztendlich darum, wie geht man damit um – entfernt man entweder dieser Statuen und versucht, diese Erinnerung praktisch zu tilgen oder aber fügt man andere Statuen hinzu, und da gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen auch in Virginia. Das heißt also, in Virginia wird jetzt darüber diskutiert, diese Statue von Robert Lee zu entfernen. In New Orleans, Louisiana, wurden schon Statuen entfernt, während in anderen Staaten einfach zusätzliche Statuen hinzugefügt wurden, unter anderem Statuen, die an die Sklaverei erinnern oder aber auch an afroamerikanische Soldaten, die für die Union gekämpft haben, und was wir in Virginia im Augenblick sehen, ist wirklich der Versuch, die progressive Erinnerung, die wir seit der Bürgerrechtsbewegung sehen, zurückzudrängen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.