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Rechte Gewalt in Deutschland
Speit: Man scheut sich, über rechte Einstellungen zu reden

Rechte Gewalt wird nach Einschätzung des Rechtsextremismusexperten Andreas Speit unterschätzt. Deutschland verschließe mit Blick auf Rechtsextremismus die Augen vor dem eigentlichen Problem, sagte er im Dlf: die Stimmung in der Mitte der Gesellschaft, die anfälliger für rechte Parolen werde.

Andreas Speit im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der Journalist und Extremismusforscher Andreas Speit
    Der Journalist Andreas Speit sieht eine große Radikalisierung der rechte Szene in Deutschland (Horst Galuschka/dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: Acht Männer hat der Generalbundesanwalt in dieser Woche in Untersuchungshaft nehmen lassen. Sie stehen unter Verdacht, eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet zu haben. Sie nennen sich "Revolution Chemnitz", sind zumeist den Behörden bereits bekannte Rechtsextreme, Neonazis, Hooligans, und sie hatten sich zusammengeschlossen, weil sie gemeinsam den Umsturz planen wollten: Angriffe auf Andersdenkende, auf PolitikerInnen, Journalisten, Fremdaussehende. Ihre Pläne schmiedeten sie per Messenger, wo die Behörden mitlasen, nachdem sie einen der Gruppe schon Mitte September festgesetzt hatten. Dort planten die Männer etwas für den 3. Oktober, den gestrigen Tag der deutschen Einheit. Doch dieses Risiko wollten die Behörden nicht eingehen und setzten die Männer fest.
    Eine Gruppe, die sich einreiht in Deutschlands rechtsterroristische Geschichte von NSU, Oldschool Society und Gruppe Freital? Darüber möchte ich jetzt mit Andreas Speit sprechen. Er ist Journalist und setzt sich seit vielen Jahren mit der rechtsextremen Szene in Deutschland auseinander. Guten Morgen.
    Andreas Speit: Einen schönen guten Morgen.
    Büüsker: Herr Speit, nach der Festnahme der Männer haben viele Beobachter gesagt, dass die sich ermutigt fühlen durch den aktuellen politischen Diskurs, durch die Ereignisse wie die in Chemnitz mit rechtsradikalen Demonstrationsteilnehmern, mit Dingen, die im Diskurs inzwischen sagbar sind, die es vorher nicht waren. Teilen Sie diese Einschätzung?
    Speit: Ja. Ich befürchte, dass wir diese Einschätzung wirklich teilen müssen, weil wir in den letzten Jahren erleben konnten, dass dieses gesamte Milieu sich enorm radikalisiert hat. Es ist nicht nur das Sag- und Wählbare weiter nach rechts verschoben worden, sondern der Druck in diesem Milieu ist auch gestiegen, jetzt zuzuschlagen. Und wir erleben auch wirklich, dass mehr und mehr überlegt wird, mit anderen Mitteln diesen Kampf weiterzuführen.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, Druck gestiegen, das heißt, da bildet sich auch innerhalb dieser Vereinigungen ein Bedürfnis, etwas zu verändern?
    Speit: Ja. Der Gruppe wird ja auch vorgehalten, dass sie beispielsweise auch die Geschichte Deutschlands ändern wollten, und das mit Gewalt. Wir wissen nicht genau, was sie bisher geplant haben am 3. Oktober, aber offensichtlich waren die Sicherheitskräfte so in Sorge, dass sie eingeschritten sind und diese Gruppe aufgehoben haben. Sie hat ja selbst gesagt, der NSU wäre für sie eine Kindergarten-Vorschulgruppe. Da ahnt man, was da in den Köpfen dieser Menschen langsam getickt hat.
    "Eine ganz geballte Mischung von Hass und Wut"
    Büüsker: Aber Kindergarten-Vorschulgruppe, den Umsturz planen, das klingt ja alles auch ein kleines bisschen nach testosterongeladenen Maulhelden.
    Speit: Es sind auf alle Fälle Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Das trifft natürlich schon, dass da so ein Tonfall angeschlagen wird. Aber wir wissen auch, dass dort nicht allein geredet wird, sondern dann auch losgegangen wird. Wir haben das auch immer wieder auf der Straße, auch gerade in Chemnitz, aber auch in Köthen erleben können, dass da eine ganz geballte Mischung von Hass und Wut da ist, die sich auch entladen kann, und hier merkt man ja auch, dass diese Mischszenen, wo Expertinnen und Experten seit Jahren vor warnen, dass die wirklich sich enorm radikalisiert haben und dann auch mal zu Übergriffen ganz spontan bereit sind, oder offensichtlich Anschläge auch planen.
    Büüsker: Nun wurden bei diesen Männern bislang keine Schusswaffen gefunden. Aber wie einfach wäre das für solche Personen, sich tatsächlich Schusswaffen zu besorgen?
    Speit: Das wissen wir auch aus dem NSU und auch aus anderen rechtsterroristischen Vereinigungen. Wenn die Waffen haben wollen, dann bekommen sie die. Das ist gar nicht so schwer, wie man sich das vorstellt. Es wurde ja auch in ihrer Chat-Gruppe unter anderem diskutiert, ob man 800 Euro zusammenbekommt, um eine Pistole zu kaufen. Da sieht man, wie eng das miteinander verwoben ist.
    Büüsker: Die Polizei hat hier recht schnell reagiert, bevor Schlimmeres passieren konnte. Lernen die Behörden dazu?
    Speit: Ich bin da ein bisschen vorsichtiger, weil wir doch erleben müssen, dass es immer wieder auch Probleme in der Wahrnehmung rechter Gewalt gibt. Ich möchte hier nur noch mal an die Zahlen erinnern. Wir haben in der Bundesrepublik tatsächlich – man mag es gar nicht so sehr sagen – über 160 Personen, 169 Personen, die durch rechte oder rassistisch motivierte Täter umgekommen sind. Die offiziellen Zahlen liegen weit darunter. Da sieht man, dass man immer noch eine harte Auseinandersetzung hat über die Einschätzung rechter Gewalt. Und ein wenig habe ich auch den Eindruck, dass im kollektiven Gedächtnis, wenn wir von Terror reden, wir immer nur an die RAF denken. Einer der größten Anschläge bis heute ist immer noch von Rechtsextremen verübt worden beim Oktoberfest 1980 in München.
    Büüsker: Wie erklären Sie sich denn, dass diese rechte Gewalt nicht so gesehen wird?
    Speit: Ich befürchte tatsächlich, dass wir eine Scheu davor haben, über das zu reden, was auch in der Mitte der Gesellschaft präsent ist, nämlich die rechten Einstellungsmuster. Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ja gerade ergeben, dass 30,4 Prozent der Wahlberechtigten rechtspopulistisch eingestellt sind. Das heißt eigentlich, wenn wir über die Ursachen und die Motive für rechte Gewalt reden, wir natürlich auch über die Stimmung in der Mitte der Gesellschaft reden müssen, und ich habe hier ein wenig den Eindruck, das möchte man nicht so gerne. Man möchte dieses Zusammenspiel zwischen na ja, ich möchte mal ein bisschen was negativ über Ausländer sagen, aber dass das auch die Stimmung beeinflusst und auch Menschen motivieren kann, zu Taten zu schreiten, ist immer noch ein großes Tabu.
    Täter haben teils "überhaupt kein Unrechtsbewusstsein mehr"
    Büüsker: Das heißt, je mehr wir im politischen Diskurs es zulassen, dass schlecht über fremdländisch aussehende Menschen gesprochen wird, desto eher legitimieren wir rechte Gewalt?
    Speit: Ja. Ich habe das ganz oft in Prozessen auch erlebt, dass manches Mal rechte Schläger, um es mal ganz einfach zu sagen, vor dem Richter oder der Richterin sitzen, die dann eigentlich nur sagen, wieso, die anderen reden davon, wir haben zugeschlagen, und haben überhaupt gar kein Unrechtsbewusstsein mehr.
    Büüsker: Jetzt sagen ja viele, wieder mal Sachsen, weil diese Männer jetzt auch aus Chemnitz kamen. Nun haben wir aber auch gerade in Dortmund Bilder gesehen, wo Rechtsextreme bei einer Demo antisemitische Parolen gebrüllt haben und die Polizei gar nichts dagegen gemacht hat. Wird es der Sache gerecht, wenn man jetzt wieder auf den Osten zeigt?
    Speit: Wir haben bundesweit dieses Phänomen, aber tatsächlich muss man leider sagen, im Osten gibt es bestimmte Merkmale, die dazu führen, dass dort offensichtlich rechte Einstellungen anders ausgelebt werden. Und wenn ich diesen Satz sage, dann möchte ich das auch gleich wieder relativieren. Schauen wir uns beispielsweise Wahlbeteiligungen und Wahlergebnisse an, müssen wir sagen: Nein, der größte Wahlerfolg der AfD beispielsweise ist nicht in Sachsen-Anhalt mit 20,und Prozent gewesen, sondern in Baden-Württemberg mit 15,und Prozent. Wenn man sich die realen Zahlen anschaut, sieht man, dass dort wesentlich mehr Menschen die AfD gewählt haben.
    Büüsker: Was meinen Sie denn mit Merkmalen, die Rechtsextremes begünstigen?
    Speit: Wir haben leider in Sachsen seit etlichen Jahren eine Kultur des nicht Hinschauens zu rechter Gewalt, und das ist bisher auch in den Sicherheitsstrukturen nicht sehr aufgehoben worden. Natürlich hat es hier und da Änderungen gegeben und hier und da ist auch jetzt schnell reagiert worden, aber in der Fläche hat man doch den Eindruck, dass man in Sachsen immer noch der Meinung ist, sie hätten kein Problem mit rechtsextremer Gewalt. Das spiegelt sich dann auch in Aussagen in der Politik wieder und das ermutigt natürlich dieses Milieu auch.
    Büüsker: Schauen wir zum Schluss noch auf das Vernetzungspotenzial dieser Szene. Wie groß schätzen Sie das ein?
    Speit: Wir haben es ja gerade wirklich fast live erleben können, dass mit den neuen sozialen Netzwerken die Vernetzung enorm schnell ist, enorm gestiegen ist und man dann auch sehr schnell sich verabreden kann für Straf- und Gewalttaten. Tatsächlich sind die sozialen Netzwerke für diese Szene ganz zentral und wir haben auch immer wieder erleben dürfen, auch ganz konkret auf der Straße, dass wirklich diese Milieus sich gar nicht mehr so abgrenzen. Scheu und Scham ist wirklich gesunken, miteinander zusammenzuarbeiten. Das merkt man immer wieder.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.