Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung:
"Gerade mit dem Anfang von Pegida haben wir die Rolle von Facebook gesehen, die sie gespielt haben. Die Leute haben sich auf Facebook organisiert. Danach waren Facebook-Gruppen, Facebook öffentliche Seiten wohl das größte Mittel zur Mobilisierung. Wir haben jetzt aber gerade im Bezug zu Chemnitz und in letzter Zeit gesehen, dass die Kommunikation aus dem öffentlichen Raum zurückgeht."
Immer mehr auf Whatsapp
Ganz ähnliche Beobachtungen haben Michael Meyer-Resende und sein Team der NGO Democracy Reporting Global, kurz DRI, gemacht.
"Facebook ist immer noch sehr wichtig. Wir sehen allerdings eine Tendenz insgesamt, dass auf der ganzen Welt mehr und mehr Soziale-Medien-Aktion stattfindet in diesen geschlosseneren Gruppen. Whatsapp ist hier vor allem auffällig in vielen Ländern. Es passiert immer mehr auf Whatsapp. Und Facebook wächst ja nicht mehr so groß. Und Twitter ist dann wieder ein Spezialkanal, wo politisch Interessierte sich zeigen."
Aufmerksamkeit über Tweets und Bots
Die DRI beobachtete die soziale Kommunikation im Internet rund um die Bundestagswahl 2017 und die folgende Regierungsbildung. Dabei haben die Politikberater festgestellt, dass im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten etablierte Qualitätsmedien in Europa noch eine sehr starke Rolle spielen in den sozialen Medien.
"Wir haben aber festgestellt, dass es natürlich so Netzwerke gab, die vor allem rund um das Kanzlerduell dann unter dem Stichwort 'Verräterduell' ganz auffällig wurden, ganz viel getweetet haben, um da auf sich aufmerksam zu machen. Und wie soziale Medien oft funktionieren durch Verstärkung durch automatisierte Bots und so weiter, erregen die dann eine große Aufmerksamkeit und bilden dann plötzlich Trends, die rund um dieses Kanzlerduell auffällig war."
Falschmeldungen als Stütze der Mobilisierung
Gerade in der rechtsextremen Szene sind übertriebene Meldungen, aber vor allem auch Falschnachrichten und falsche Fakten als eine wichtige Stütze der Mobilisierung zu beobachten. Damit fielen auch einschlägig bekannte Personen der Szene auf, die sich zur Causa Chemnitz äußerten, beschreibt Netz-Analyst Miro Dittrich.
"Es wurde viel Wut geäußert. Durchweg wurde mit falschen Informationen gearbeitet. Diese drei größten Falschinformationen, die geteilt wurden, von 25 Messerstichen, von zwei Toten. Aber vor allem die Geschichte von der verhinderten Vergewaltigung, würde ich sagen. haben die Mobilisierung stark beeinflusst. Gerade die Erzählungen, die sie haben, von 'Männern müssen jetzt ihre Frauen schützen', was man in der Mobilisierung um 120dB, die Kampagne der Identitären Bewegung oder das Frauenbündnis Kandel gesehen hat, sind das sehr erfolgreiche Themen, Rechte zu mobilisieren."
Obwohl die Fakten schnell von Polizei und Medien richtiggestellt wurden, hielten sich die Narrative hartnäckig und wurden auf öffentlichen Plattformen wie Facebook fleißig weiter geteilt.
Mobilisierung auf Messenger-Diensten
Die Mobilisierung der Menschen allerdings, erfolge nur noch teilweise über soziale Netze. Messenger-Dienste wie Telegram und WhatsApp würden wichtiger.
"Diese privat organisierten Informations-, Interessensgruppen, Freundeskreisgruppen, dort ist es quasi unmöglich, Zugang zu bekommen. Und das wird auch einen starken Teil gemacht haben von der Mobilisierung, die wir gesehen haben. Dort gab es sehr wenige öffentliche Mobilisierung auch auf so Telegramm-Kanälen, sondern das lief mehr im privaten Kreisen."
Youtube: Populärer Tummelplatz für Hass
Eine öffentliche Plattform allerdings haben sowohl Miro Dittrich als auch Michael Meyer-Resende ausgemacht, die sich in den letzten Monaten und Jahren als populärer Tummelplatz für Hass, Propaganda und Falschinformation hervorgetan hat: Das Video-Portal Youtube.
"Eine große Rolle würde ich tatsächlich mittlerweile Youtube beimessen, die ich als eine der Radikalisierungsplattformen Nummer eins bezeichnen würde. Dort sehen wir sehr im politischen Bereich sehr viele Rechtsextreme und rechtspopulistische Videos, die dort quasi unwidersprochen stehen. Das hat man auch stark gesehen in den Suchergebnissen. Wenn man die Tage danach Chemnitz angegeben hat, gab es in den Top 10 Ergebnissen so ein bis zwei Beiträge von klassischen Medien, und sonst waren das entweder Russia Today oder rechtsextreme oder rechtspopulistische Kanäle."
Extremistische Inhalte mit hohen Klickzahlen
Ein Beispiel: Das Video eines Rappers, der der Identitären Bewegung nahe steht, schaffte es innerhalb von Stunden auf eine halbe Million Abrufe und stand gut 14 Stunden auf Platz eins der "Trending Charts" in Deutschland. Viele Besucher des Portals fanden das Video auf der Startseite. Michael Meyer-Resende sieht diese Entwicklung sehr kritisch.
"Extremistische Inhalte klingen ja interessant. Da kommen ja dann so Schlagzeilen wie: 'Es war alles ganz anders. Lasst euch nicht täuschen!' Und das bringt natürlich hohe Klickraten und das hält die Leute auf Youtube. Und dann gucken sie sich Werbung an. Das ist sie sozusagen die kommerzielle Idee dahinter von Youtube. Politisch ist die natürlich ganz gefährlich, weil viele Leute automatisch dann durch diese weiter Empfehlung immer mehr in diese extremistischen Inhalte abrutschen in Verschwörungstheorien und so weiter."