Erst sollen sie den Gefangenen zu Boden gebracht und an den Händen gefesselt, dann auf ihn eingetreten und eingeschlagen haben. Es ist einer von drei Fällen aus dem Juli 2018, bei denen ausländische Gefangene in der JVA Dresden misshandelt worden sein sollen. Die mutmaßlichen Täter: Justizvollzugsbeamte und -beamtinnen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat im August – rund zwei Jahre nach den Vorfällen – sechs Mitarbeiter der JVA Dresden angeklagt. Der Hauptvorwurf lautet gefährliche Körperverletzung im Amt.
Die Extremismusbekämpfung hinter Gittern konzentrierte sich lange auf die Gefangenen. Doch zunehmend wird deutlich, rechtsextremistische Fälle gibt es auch unter JVA-Bediensteten.
Der Justizvollzugsbeamte Kersten H. ist wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an einem rechtsextremen Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz im Jahr 2016 angeklagt. Wie der "Tagesspiegel" und das Stadtmagazin "Kreuzer" berichteten, arbeitete der Angeklagte danach noch jahrelang weiter in der JVA Leipzig – in der unter anderem Mitglieder der rechtsterroristischen "Gruppe Freital" inhaftiert waren.
Heike Kleffner ist Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Sie verweist darauf, wie eingebettet JVA-Bedienstete im Leipziger Fall in gewaltbereite Neonazi-Netzwerke waren – und auf die Anzahl der Beschuldigten im Dresdner Fall.
"Es ist wirklich wichtig zu sehen, dass es sich eben nicht um Einzelfälle und Einzeltäter handelt, sondern um Netzwerke in und außerhalb der Justizvollzugsanstalten."
Chatgruppen mit "problematischen Inhalten"
Auch in anderen Bundesländern sind Justizvollzugsbedienstete mit rechter Gesinnung aufgefallen. In Berlin etwa wurde erst im März dieses Jahres ein Angestellter der Jugendstrafanstalt angeklagt und verurteilt. Thomas K. hatte Drogen und Handys ins Gefängnis geschmuggelt, doch das waren nicht die einzigen Anklagepunkte, erklärte die Pressesprecherin des Gerichts, Lisa Jani, nach dem ersten Verhandlungstag.
"Und zwar soll er offen sichtbar seine Tätowierungen in der Jugendstrafanstalt getragen haben und auch bei einem Festival. Auf den Tätowierungen soll das Plattencover einer rechtsgerichteten Band abgebildet sein und da sollen eine Art SS-Runen so abgebildet sein."
Die Band heißt "Kahlkopf" und das Tattoo erstreckt sich über beide Innenseiten von K.s Unterarmen. Unauffällig ist anders.
Ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Justiz spricht von "Einzelfällen in der Vergangenheit". Hinweise auf rechtsextreme Netzwerke lägen der Behörde nicht vor. Er rechne allerdings damit, so der Sprecher, dass es auch unter Justizvollzugsbeamten und -beamtinnen Chatgruppen gebe, in denen problematische Inhalte geteilt würden.
Solche Chatgruppen können ein zentrales Element rechtsextremer Netzwerke sein, sagt Mathias Wörsching von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.
"Die diese Ideologie teilen, verbinden sich miteinander und schicken sich die ganze Zeit entsprechende Inhalte wie Bilder, Symbole, Filme und so weiter hin und her. Oder bestärken sich gegenseitig in der Ideologie, möglicherweise bis zu dem Punkt, wo sie sich auch anstacheln, dazu, weitergehend im Sinne dieser Ideologie tätig zu werden und dabei auch ihre Möglichkeiten als Angestellte im Justizvollzug und anderen staatlichen Strukturen zu nutzen."
Undurchsichtige Datenlage
Gibt es solche Netzwerke auch in anderen Bundesländern? Der Deutschlandfunk hat bei den 16 Landesjustizministerien nachgefragt, wie häufig in den vergangenen zehn Jahren eine problematische politische Einstellung bei Justizvollzugsbeamten und -beamtinnen bekannt geworden sei. Ein Ergebnis der Recherche: Die Datenlage dazu ist undurchsichtig. Denn systematisch erfassen das nur wenige Bundesländer.
In Baden-Württemberg wurden demnach seit 2010 zehn Justizvollzugsbeamten und -beamtinnen im Zusammenhang mit ihrer politischen Einstellung angeklagt. In Sachsen wurden im gleichen Zeitraum insgesamt 14 Disziplinarverfahren eingeleitet, weil sich Beamten und Beamtinnen möglicherweise nicht "durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen", wie es das Beamtenstatusgesetz vorschreibt. Und in Hessen sind laut dem dortigen Justizministerium mindestens sieben Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Tatsächlich dürfte die Zahl der Vorfälle und Verfahren vielerorts höher liegen, denn Daten zu Disziplinarverfahren müssen laut Gesetz nach einigen Jahren gelöscht werden.
"In staatlichen Strukturen existieren Probleme"
In Berlin zumindest will man nun genauer erfassen. Der Berliner Justizsenator, Dirk Behrendt von den Grünen, hat Mitte August ein neues Meldesystem eingeführt. Anstatt wie bisher lediglich außergewöhnliche Fälle zu melden, sollen nun alle Vorfälle "demokratiefeindlicher Tendenzen" gemeldet werden. Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten und die Opposition sind empört, sprechen von einem "Spitzelsystem". Rechtsextremismusexperte Wörsching von der Mobilen Beratung kann diese Kritik nicht nachvollziehen:
"Denn nach all den öffentlich gewordenen Missständen und Zuständen der jüngsten Vergangenheit ist unserer Ansicht nach klar, dass in staatlichen Strukturen Probleme existieren und dass diese Probleme angegangen werden müssen. Und die Berichtspflicht vom Justizsenator Behrendt kann jetzt ein Schritt dazu sein, überhaupt mal ein Bild zu gewinnen von den Verhältnissen im Justizvollzug, die bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden haben und bislang sozusagen noch ein unbekanntes Feld in dieser Hinsicht darstellen."
Hinweise auf rechte Netzwerke hinter Gittern werden bislang vor allem als Nebenprodukt anderer strafrechtlicher Ermittlungen öffentlich. Ein Grund dafür sei, dass inhaftierte Menschen, die von rassistischer Gewalt betroffen sind, von externer Hilfe und Unterstützung meist abgeschnitten seien, sagt Rechtsextremismusexpertin Heike Kleffner:
"Und gleichzeitig ist es natürlich ein maximales Ausgeliefertsein und die Angst vor weiterer Repression, vor weiteren Schikanen bis hin offensichtlich zu körperlicher Gewalt ist hoch."