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Rechte Räume
Unscheinbar politisch

Wir laufen selbstverständlich an Straßennamen, Gebäuden und Plätzen vorbei - was wir nicht auf den ersten Blick sehen: Sie können politisch-ideologisch aufgeladen sein. Rechtsnationale Kräfte nutzen solche Orte, um Einfluss in Städten zu gewinnen. In Berlin klären Touren über die "rechte Räume" auf.

Von Christoph Schäfer |
Auf dem Bild ist die Außenfassade der Bibliothek des Konservatismus zu sehen
Die Bibliothek des Konservatismus (Christoph Schäfer)
"Wir fahren jetzt durch die Mohrenstraße. Es handelt sich hier natürlich um eine rassistische Fremdbezeichnung, die absolut nicht mehr in unsere Zeit passt."
Zur Mittagszeit im dichten Straßenverkehr in Berlin-Mitte. Eine Architektin spricht in ein Mikrofon. Sie sitzt neben dem Busfahrer, direkt vor der riesigen Frontscheibe. Ihren Worten lauschen knapp 40 Buspassagiere über Kopfhörer. Sie nehmen an einem dreistündigen Stadtspaziergang teil – zu rechten Räumen, organisiert von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachbereiche.
Im Stadtteil Charlottenburg steigen die Passagiere aus. Unter ihnen ist Tina Hartmann, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Bayreuth: "Rechte Räume können immer gebaut sein, und sie können symbolisch sein."
Hartmann referiert auf der Tour. Sie will transparent machen, wie sich rechte Ideologien im städtischen Raum verbreiten. Und betont: rechte Räume sind nicht immer äußerlich zu erkennen. "Ein Raum kann sehr konservativ aussehen und muss nicht zwangsläufig ein rechter Raum sein. Und umgekehrt - und das ist natürlich der spannenderer Fall – kann sich ein rechter Raum auch in einer dezidierten modernen Architektursprache bedienen."
Beispiel: Bibliothek des Konservatismus
Also ein modernes Gebäude sein. Die "Bibliothek des Konservatismus" zum Beispiel: ein verglastes Bürogebäude, mehrstöckig, das sich mit seiner Fassade nahtlos in die Reihe seiner benachbarten Bauten einfügt. Die Teilnehmer schauen abwechselnd zur Bibliothek. Dann zu Hartmann. Für sie ist die Bibliothek vereinnahmt von Rechtskonservativen - mit einem Ziel:
"Es geht darum, dass man wegkommt von dem Neonazi-Image. Weg von dem dumpfen Schlägertum. Hin zu einer Akademisierung. Und sich damit eben auch in die universitären Kreise öffnet."
Hinter dem Label "konservativ" verbirgt sich Hartmann zufolge aber eine nationale Ideologie.
Ein weiterer Schauplatz ist der Walter-Benjamin-Platz in Berlin-Charlottenburg. Verena Hartbaum, Architektin, klärt über seine Geschichte auf: "Wer sich mit Walter Benjamin bisschen beschäftigt hat, der weiß, dass er in seiner Berliner Kindheit, im 19. Jahrhundert, diese Gegend hier in Charlottenburg literarisch verarbeitet hat."
Antisemitisch aufgeladen
Walter Benjamin war ein jüdischer Schriftsteller. 1940 nahm er sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben. Der nach ihm benannte Platz ist grau betoniert, rund 100 Meter lang und symmetrisch. An beiden Seiten verlaufen hinter Säulen die Fronten von Cafés und Geschäften. Architektonisch verdeutlicht er laut Hartbaum die Ästhetik des Faschismus. Sie macht zudem auf ein Detail aufmerksam:
"Auf dem Platz befindet sich eingelassen, sehr, sehr zurückhaltend im Bodenbelag, eine Platte, die ein dezidiert antisemitisches Zitat enthält."
Darin enthalten ist das italienische Wort "Usura" – zu Deutsch: Wucher. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1936 von Ezra Pound, einem amerikanischen Dichter und Anhänger des italienischen Faschismus. Für Hartbaum ist das Zitat nicht kapitalismuskritisch, sondern antisemitisch aufgeladen. So ein Zitat auf einem Platz, der nach einem jüdischen Schriftseller benannt ist:
"Das hat natürlich schon Bombencharakter", findet sie. Sie weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Nur, dass es die Idee des zuständigen Architekten gewesen sein muss, den sie politisch nicht eindeutig einordnen kann.
Auf dem Walter-Benjamin-Platz endet der Stadtspaziergang. Die Gruppe löst sich schnell auf. Am Rand des Platzes sitzt die Studentin Lina Thürer. Von der Tour nimmt sie für sich selbst mit, "dass es vermutlich wahrscheinlich noch viel mehr Orte solcher Art gibt, wie die, die wir gerade angeschaut haben. Und man davon eigentlich gar nichts weiß."
Aber genau das gebe ihr den Ansporn mit offenen Augen durch Berlin zu gehen.