"Ich merke schon, dass sich die Lebensqualität im Viertel stark zum Negativen verändert hat. Es entstehen andere Bewegungsmuster, man bewegt sich nicht mehr so frei im Raum, man ist mit Gestalten konfrontiert, die man ansonsten nicht in seinem Wohnumfeld haben möchte, ja die Lebensqualität hat sich schon negativ verändert."
David Brümmer ist ein stämmiger Mann, Erzieher und lebt in Halle. In direkter Nachbarschaft zum Hausprojekt der Identitären Bewegung, Wohnsitz rechter Aktivisten der Gruppe Kontrakultur Halle. Ein vierstöckiger Gründerzeitbau, bunt verschmiert durch Farbbeutel-Attacken. Erst vor 10 Tagen gab es einen Angriff durch Vermummte mit Pflastersteinen und Buttersäure.
Anwohner fühlen sich permanent beobachtet
Jetzt haben sich die Anwohner der Adam-Kuckhoff-Straße – die liegt inmitten eines lebendigen Uni-Viertels und in direkter Nachbarschaft zum Steintor-Campus der Universität Halle-Wittenberg – zu einer Bürgerinitiative zusammen geschlossen. Tenor: "Wir wollen keine Rechtsextremen in unserer Nachbarschaft. Wer andere ausgrenzt, kann für sich keine gute Nachbarschaft beanspruchen".
"Sie bedrohen, sie stehen provozierend da, sie überschreiten Grenzen, das ist einfach sehr unangenehm im Umgang."
Am Haus sind Kameras angebracht, es wird alles aufgezeichnet. Man fühle sich permanent beobachtet, sagt Brümmer noch. Der 40-Jährige sitzt in der Wohnung von Norbert Bischoff, einem Ex-SPD-Minister, der nickt. Man sei durch das Auftreten der rechten Aktivisten in der Adam-Kuckhoff-Straße eingeschüchtert. Die Straße wurde nach einem Publizisten benannt, den die Nazis in Plötzensee umgebracht haben.
"Wenn man die Frage stellt, hast Du Angst? Natürlich hat man ein mulmiges Gefühl. Aber da ich weiß, dass das ihre Strategie ist, zwinge ich mich ganz doll dazu, zu sagen: nein, ich werde denen immer widersprechen …"
Rechte laden zum Gedankenaustausch
Etwa 120 Anwohner unterschiedlichster politischer Couleur, darunter Künstler, Angestellte, Studenten, Handwerker, auch Geschäftsinhaber haben den Offenen Brief mitunterzeichnet. Ausgangspunkt ist eine Wurfsendung der Rechtsaktivisten, indem sie zum Gedankenaustausch über "Tabus" wie Einwanderung und Identität einladen, wie es heißt. Theologe Norbert Bischoff schüttelt den Kopf, man wolle sich von den rechten Aktivisten deutlich distanzieren.
"Das Wichtigste ist, ich hoffe, dass alle dort wohnen bleiben. Denn das wär ja ein Sieg derer, die sagen, jetzt haben wir mit unserer Art vertrieben. Und setzen uns vielleicht dort fest."
Einer der Bewohner des Hauses in der Adam Kuckhoff Straße ist der aus Bremen stammende Mario Müller, ein studierter Politologe. Seine Examensarbeit hat er nach eigenen Angaben über kulturrevolutionäre Strategien der Neuen Rechten geschrieben. Rechtsextremismus-Experten zufolge, begann Müller seine Karriere im Umfeld militanter Neonazis, bei den Autonomen Nationalisten.
Mischung aus Burschenschaftler und Hipster
"Ich kann es nicht verstehen, warum sich andere durch das Projekt bedroht fühlen. Und dieses Haus ist jetzt in der Vergangenheit, in den letzten drei Monaten sieben Mal durch Linksextremisten angegriffen worden. Ich verstehe das also daher nicht, dass sich jemand von unserem Haus bedroht fühlen kann", sagt Mario Müller, Jahrgang 1988. Er ist eine Mischung aus Burschenschaftler und Hipster: Zurück gegeltes Haar, Schnurrbart, milchig-blaue Augen, gerader Blick. "Wir arbeiten und leben hier. Wollen politisch, kulturelle, soziale Veranstaltungen bieten, um der herrschenden Kultur des Selbsthasses in Deutschland eine identitäre Gegenkultur gegenüberzustellen."
Einige mit rechter Vergangenheit
Das Haus will eine Art Hipster-Club für die rechte Tinder-Generation sein. Erst kürzlich hat man einen App-Workshop veranstaltet, für eine rechte Dating-App, die demnächst auf den Markt kommen soll. Klingt so, als ob keiner der Bewohner ein Wässerchen trüben könne. Das dass aber nicht der Fall ist, zeigt die Vergangenheit so mancher Bewohner. Aktivist Mario Müller gesteht:
"Es gibt natürlich einige von uns, die ein rechte Vergangenheit haben im nationalistischen Lager und diese Vergangenheit nach einigen Jahren hinter sich gelassen haben, eben begründet aus einem Selbstreflexionsprozess heraus, sich der Identitären Bewegung angeschlossen haben und neue Wege gegangen sind."
Alte Bewegung unter neuem Logo
Die Distanzierung von der rechten Szene sei Taktik, sagt der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich. Die Identitäre Bewegung sei eine alte Bewegung unter einem neuen Logo. Thematisch gehe es um den sogenannten "ethnokulturellen Erhalt Europas", gegen einen Austausch der eigenen Bevölkerung durch Einwanderer.
"Die Identitären sind so etwas wie ein Nukleus, einer sich im Aufwind verstehenden neuen rechten Bewegung, ein Baustein für die Neue Rechte in Deutschland und Europa."
"Keimzelle einer rechten RAF"
Und man verstehe sich als "Regime-Changer", sagt der Wiener Martin Sellner, einer der Köpfe der Identitären. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist ihnen ein Dorn im Auge, weshalb der Verfassungsschutz die Identitären beobachtet. Den Angaben zufolge gibt es in ganz Deutschland etwa 300 Identitäre, 50 leben in Sachsen-Anhalt, ein halbes Dutzend im Hallenser Hausprojekt in der Adam-Kuckhoff-Straße.
Politikwissenschaftler Johannes Varwick sieht darin gar die Keimzelle einer rechten RAF: "Ich will Links und Rechts jetzt nicht vergleichen und das waren ganz andere Themen, aber der Befund scheint mir doch ein vergleichbarer zu sein. Dass sich eine kleine Minderheit als intellektuelle Vorhut einer breiteren Bewegung versteht und sich dann weiter radikalisiert. Und für diese Radikalisierung sehe ich schon Anzeichen bei der Identitären Bewegung und deswegen muss man sehr, sehr aufpassen auf diese Bewegung."
Das wichtigste Projekt im deutschsprachigen Raum
Widerspruch, sagen Rechtsextremismus-Experten, wie David Begrich. Er konzediert dem Hallenser Projekt aber einen Modellcharakter. Und für die Identitären ist es derzeit das wichtigste Projekt überhaupt im deutschsprachigen Raum.
"Dafür hat man sich in ganz Europa nach Referenzmodellen umgeguckt, wo könnte man sich kulturelle und soziale Praxen abgucken und ist bei der italienischen neofaschistischen Casa Pound Bewegung fündig geworden. Das sind in der Regel junge Leute, die sozusagen soziale Zentren von rechts aufbauen wollen und eine Lebenspraxis verbinden mit einer politischen Praxis auf der Straße. Und das können wir bei den Identitären in Halle auch sehen."
AfD-Abgeordnetenbüro im Identitären Haus
Eigentümer des Hauses ist die im hessischen Bad Nauheim beheimatete Titurel-Stiftung. Als einer der Strippenzieher im Hintergrund gilt der Verleger Götz Kubitschek aus Schnellroda, im Süden Sachsen-Anhalts. Künftig will er ein Büro seines Verlages mit einem streng rechten Programm in das rechte Hallenser Hausprojekt verlegen. Auch eine Werbeagentur und die 2015 gegründete Initiative EinProzent unterhalten dort Räumlichkeiten. Letzteres ist eine Art rechte NGO, sie wirbt und finanziert Aktionen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Und trotz eines Unvereinbarkeitsbeschlusses der AfD mit der Identitären Bewegung, hat der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider im Hallenser Haus der Kontrakultur kürzlich ein Büro eröffnet. Für Sachsen-Anhalts AfD-Landeschef André Poggenburg kein Problem und er erklärt seine Lesart der Dinge.
"Ein Abgeordneter darf sich sein Büro suchen, wenn er denn ein Angebot bekommen hat. Das kann man schon voneinander trennen. Also man kann aber versuchen, es nicht voneinander trennen zu wollen. Aber man kann das schon voneinander trennen. Und Sie müssen davon ausgehen, vielleicht war eben die Bereitschaft des Hauseigentümers dort größer, als die Bereitschaft anderer, einem AfD-Abgeordneten dort ein Büro zu ermöglichen."
Denn AfD-Abgeordnete hätten es immer noch schwer, Vermieter für Büros zu finden, ergänzt Poggenburg noch.
Eingeschüchtert und wehrhaft
Die Anwohner sehen sich an den Rand gedrängt, sind sichtlich ernüchtert, eingeschüchtert. Um sich gegenseitig den Rücken zu stärken, um nicht allein zu stehen, um sich gegen fremdenfeindliche Ressentiments zu wehren, hat man einen Offenen Brief geschrieben. Café- und Kneipenbesitzer sind aufgefordert, die Rechten nicht zu bedienen. Wegziehen, sagt Anwohner David Brümmer mit blitzenden Augen, das komme für ihn auf keinen Fall in Frage.
"Nein, auf keinen Fall. Nein, da sollen bitte erst andere Leute wegziehen."