Nach dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz (seit 2013) soll ab dem Schuljahr 2026/2027 auch der bundesweite Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule in Kraft treten.
Damit soll eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern erreicht werden, denn der Übergang von Kita zur Schule stellt viele Familien vor Herausforderungen: Der Unterricht endet mittags, der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz erlischt aber bisher mit Eintritt in die Schule - und der Bedarf an Ganztagsangeboten zur Grundschule ist nicht gedeckt.
Bisher wird etwa die Hälfte der 2,8 Millionen Grundschulkinder in Deutschland ganztags betreut. Das Bundesfamilienministerium rechnet aber mit einem deutlich höheren Bedarf von schätzungsweise 75 bis 80 Prozent.
In einigen Bundesländern wie Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es bereits einen Rechtsanspruch. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern gibt es daher eine dichte Ganztagsbetreuung von bis zu 90 Prozent. In Westdeutschland fehlen aber Hunderttausende Plätze - Schätzungen gehen von 600.000 bis 800.000 neuen Plätzen aus.
Mit einem verlässlichen Betreuungssystem gibt es zukünftig für Eltern mehr Planbarkeit - eine Pflicht, das Angebot anzunehmen, gibt es nicht. Der Rechtsanspruch soll für Kinder gelten, die ab dem Sommer 2026 eingeschult werden. Er gilt für mindestens acht Stunden lang werktags in den vier Grundschuljahren - und mit höchstens vier Wochen Schließzeit. Betreuung findet somit auch in den Ferien statt. Offene und gebundene Ganztagsschulen sowie Horte können den Rechtsanspruch erfüllen.
Zunächst haben alle Kinder der ersten Klassenstufe den Rechtsanspruch. Er wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Ab August 2029 haben dann alle Grundschulkinder der Klassen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung.
Mehr Chancengleichheit für Kinder
Die Kinder profitieren von Bildungsangeboten am Nachmittag und individueller Förderung über den Unterricht hinaus. Laut Familienministerium könne somit der Bildungserfolg unabhängiger von der sozialen Herkunft gemacht werden. Bessere Bildungs- und Teilhabechancen verbesserten somit die Chancengleichheit. Mit dem Infrastrukturausbau werde zudem ein konjuntureller Impuls ausgelöst, auch um den Herausforderungen der Coronakrise zu begegnen.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ergänzt: "Es hat sich gezeigt, wie wichtig verlässliche Betreuung ist. Und für mich als Bildungsministerin ist natürlich der Aspekt, mehr Zeit für Bildung zu haben, ein ganz wichtiger. Wir haben mehr Möglichkeiten, Sprachangebote zu machen. Wir haben mehr Möglichkeiten, auch kulturelle Interessen und damit auch Talente und Leistungsfähigkeiten schon im Ganztag in der Grundschule ganz anders zu fördern, als wir das vorher hatten."
Laut einem Gutachten des Deutschen Institit für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag des Bundesfamilienministeriums profitieren vom Ausbau der Ganztagsbetreuung auch Arbeitgeber und Staat: Die Erwerbstätigkeit und das Erwerbsvolumen von Müttern steigt demnach um bis zu sechs Prozentpunkte. Familien erzielen dadurch ein höheres Einkommen und sind seltener auf staatliche Unterstützung angewiesen. Auch die Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen steigen deutlich.
Das war das größte Streitthema: Die Bundesländer hatten vom Bund eine deutlich stärkere Beteiligung an den Investitions- und den späteren Betriebskosten gefordert: Wenn der Bund den Rechtsanspruch schaffe, solle er sich auch maßgeblich beteiligen. Sie stoppten das Vorhaben im Bundesrat. Erst im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat konnte man sich einigen. Die Länderkammer muss nun noch offiziell zustimmen.
Bund trägt bis zu 70 Prozent der Investitionskosten
Der nun erzielte Kompromiss sieht unter anderem vor, dass Finanzhilfen des Bundes auch für die Erhaltung bereits bestehender Betreuungsplätze und nicht nur für die Schaffung neuer Plätze gewährt werden. Das ist wichtig für Länder wie Thüringen, die schon viel investiert haben: Auch sie sollen auf den Topf zugreifen können - etwa für Sanierungen - wenn sonst Plätze wegfallen würden. Wie bereits zugesagt, beteiligt sich der Bund nun mit bis zu 3,5 Milliarden Euro an den geschätzt 7,5 Milliarden Euro Investitionskosten - also etwa für Baumaßnahmen an den Grundschulen.
Diese können zu Beginn mit einer Förderung 70:30 eingesetzt werden, das heißt, zu Beginn trägt der Bund bis zu 70 Prozent der Investitionskosten. "Über diesen Verhandlungserfolg haben sich die Länder sehr gefreut", sagte Dlf-Hauptstadtkorrespondent Jürgen König. "Das erlaubt gerade den finanzschwachen Ländern, mit den Maßnahmen schneller voranzukommen."
"Es ist ein großer Schritt nach vorne im Vergleich zu heute. In Schleswig-Holstein machen wir es nicht, weil uns das Geld fehlt. Wir brauchen die Bundesmittel, um voranzukommen", sagte Monika Heinold, Finanzministerin von Schleswig-Holstein, im Dlf. Nun seien die Länder gezwungen, ihre Finanzplanung zugunsten von Bildung und Familie umzugestalten.
Die laufenden Betriebskosten betragen nach Angaben von Heinold rund 4,5 Milliarden im Jahr, an denen der Bund sich langfristig mit 1,3 Milliarden Euro beteiligen will - 300 Millionen mehr als zunächst zugesagt. Mit dem Geld soll vor allem auch der Betreuungsberuf finanziell aufgewertet werden.
Kritik an der Finanzierung kommt vom Deutschen Städtetag. "Bund und Länder machen mit dem Rechtsanspruch ein großes Versprechen, aber finanziell bleibt eine gewaltige Lücke von mehreren Milliarden Euro", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Diese dürfte nicht an die Kommunen weitergereicht werden. "Es wird für die Kommunen äußerst schwierig werden, qualifiziertes Personal für die Ganztagsangebote für zusätzlich rund eine Million Grundschulkinder zu finden."
Auch der Städte- und Gemeindebund zweifelt an der Machbarkeit: "Mit einem Rechtsanspruch auf dem Papier ist im Zweifel den Eltern nicht geholfen, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort leider anders aussehen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Funke Mediengruppe. Die Länder seien gefordert, die Ausbildungskapazitäten für die Ganztagsbetreuerinnen und Ganztagsbetreuer umgehend massiv auszuweiten.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) kritisiert das späte Inkrafttreten des Rechtsanspruchs. Die Politik habe "wertvolle Zeit verstreichen lassen", so Präsident Adolf Bauer. "Jetzt müssen endlich mit Hochdruck die Bedingungen geschaffen werden", forderte er.
Quellen: Gudula Geuther, Jürgen König, BMFSFJ, dpa, afp, og