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Rechtschreibreform
Waffenruhe im Wörterkrieg

"Menschenverachtendes Massenexperiment", "staatlich verordnete Legasthenie" - die Vorwürfe gegen die neue Rechtschreibung wogen schwer. Sie gilt nun seit August 2006. Ein jahrelanger Kulturkampf ging der Einführung voraus, sogar das Bundesverfassungsgericht musste sich damit beschäftigen. Doch: Die Regeln gelten nicht überall.

Von Monika Dittrich |
    Nach der Einführung der Rechtschreibreform an einer Berliner Schule.
    Nach der Einführung der Rechtschreibreform an einer Berliner Schule. (picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene)
    Manch einer findet, dass die deutsche Sprache einem leidtun kann. Wobei gleich zu klären wäre, wie "leidtun" überhaupt geschrieben wird. In zwei Wörtern, und Leid groß? Oder klein und auseinander? Oder klein und zusammen? Man kann so etwas im Wörterbuch nachschlagen, im Internet recherchieren, oder man wählt die Nummer der Duden-Sprachberatung. Kostenpflichtig, versteht sich.
    Telefon, Freizeichen, dann: "Duden-Sprachberatung, Kunkel, guten Tag."
    Fünf studierte Germanisten beantworten hier an jedem Werktag durchschnittlich 150 Fragen zu Zweifelsfällen der deutschen Sprache. Also, wie schreibt man "leidtun"? Melanie Kunkel weiß Rat:
    "Bei leidtun hat sich sehr viel verändert, das ist im Laufe der Zeit noch einmal verändert worden in der Rechtschreibung. Und heute schreiben wir "leidtun" zusammen, und in Fügungen wie "Sie tut uns leid" muss "leid" immer klein geschrieben werden."
    Da könnte einem die deutsche Sprache tatsächlich leidtun, immerhin hat sie bei diesem Begriff schon viel aushalten müssen. Erst klein und auseinander, dann "Leid" groß und auseinander, jetzt also klein und zusammen.
    "Frau Kunkel, ich habe da noch so einen Satz: "Er hatte vor, mit ihr spazieren zu gehen." Spazieren zu gehen zusammen oder auseinander?"
    "Ja, das wird auch häufig gefragt in unserer Sprachberatungshotline! Also in Ihrem Beispiel: Er hatte vor, mit ihr spazieren zu gehen, wird 'spazieren zu gehen' in drei Wörtern geschrieben, weil spazieren gehen auch getrennt geschrieben wird, nach der neuen Rechtschreibung. In Fällen, in denen der Infinitiv zusammenzuschreiben ist, zum Beispiel bei zurückkommen, wird auch zusammen geschrieben, wenn ein ‚zu‘ hinzukommt. Also so etwas wie: Ich plane, um fünf Uhr zurückzukommen."
    Wer also schon weiß, welche Wörter zusammengeschrieben werden, dem ist mit dieser Regel geholfen. Alle anderen dürften allerdings an der komplizierten Getrennt- und Zusammenschreibung gelegentlich verzweifeln. Dabei hätte doch alles so viel einfacher werden sollen – mit der Rechtschreibreform. Doch Ausnahmen, Unterregeln und Varianten gibt noch immer ziemlich viele, weiß Melanie Kunkel, die auf einige Jahre Erfahrung in der Sprachberatung zurückblicken kann:
    "Also natürlich werden uns weiterhin viele Fragen zur Rechtschreibung gestellt. Insgesamt haben wir aber den Eindruck, dass die Diskussion um die Rechtschreibreform stark nachgelassen hat und die Regeln heute insgesamt gut angenommen worden sind."
    Kompromiss nach jahrelangem Streit
    Wer hätte das gedacht – nach dem erbitterten Kulturkampf, den sich Befürworter und Gegner der Reform einst geliefert hatten. Vor zehn Jahren beendeten die Kultusminister den Buchstabenkrieg mit einer Art Waffenstillstand: Sie stimmten einer überarbeiteten neuen Rechtschreibung zu. Reform ja, aber nicht so weitgehend, wie ursprünglich geplant. Es war ein Kompromiss nach jahrelangem Streit.
    "Also in dem Bereich der Rechtschreibreform ist es immer hochemotional zugegangen."
    Gerhard Augst ist Sprachwissenschaftler, emeritierter Professor für Germanistik. Ohne ihn hätte es die Rechtschreibreform vielleicht nie gegeben: Denn er gehörte zu den Pionieren, die sich für eine grundlegende Vereinfachung der deutschen Orthografie engagierten.
    "Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass das normale Wissen, das ein Mensch in acht oder neun oder zehn Schuljahren erwerben kann, dass das ausreicht, um die Rechtschreibung zu beherrschen."
    Er habe nicht geahnt, in welch ein Wespennest er mit seinen Vorschlägen stechen würde, welche Hasstiraden er sich würde anhören müssen. Augst holt einen verblassten Zettel aus seiner Jackentasche, auf dem er die schlimmsten Vorwürfe in gestochen scharfer Handschrift notiert hat.
    "Das wäre ein menschenverachtendes Massenexperiment. Oder der Dichter Hans Magnus Enzensberger hat von der Mafia gesprochen. Oder die Rechtschreibreform sei eine staatlich verordnete Legasthenie. Also, Sie sehen, mit welchen Schleudervokabeln da gearbeitet wurde. Und da musste man schon ein ziemlich dickes Fell haben."
    Seit zwanzig Jahren trage er diesen Zettel immer bei sich, wie zur Mahnung, selbst sachlich zu bleiben. Es ist ihm anzumerken, dass die Kritiker ihn auch persönlich getroffen haben. Interviews wollte er eigentlich gar keine mehr geben.
    Gerhard Augst, heute 76 Jahre alt und verwitwet, lebt in Biebertal, einem kleinen Ort in Hessen in der Nähe von Gießen.
    Zum Gespräch in seinem Wohnzimmer mit antiken Möbeln und großen Fenstern in den Garten serviert er Kaffee und Gebäck, und die anfängliche Skepsis, sich noch einmal im Radio zur Rechtschreibreform zu äußern, ist verflogen. Im Gegenteil, in jedem seiner Sätze ist zu hören, dass Gerhard Augst noch immer überzeugt ist von der Rechtschreibreform. Einfacher wollte er das Schreiben machen, auch und insbesondere für Kinder aus Familien mit geringer Bildung. So wie er selbst eines war: Augst wuchs auf einem Bauernhof im Westerwald auf. Hochdeutsch habe er erst in der Volksschule gelernt, seine erste Fremdsprache, wie er sagt. Aus dieser Erfahrung wuchs seine politische und wissenschaftliche Motivation: Die Rechtschreibung sollte keine Barriere mehr sein, kein Hindernis beim sozialen Aufstieg, kein Distinktionsmerkmal der Eliten.
    "Ich bin nun total dagegen, dass man die Rechtschreibung benutzt, um seine humanistische Bildung zu zeigen."
    In den 70er Jahren tat er sich mit Germanisten aus der Bundesrepublik, der DDR, der Schweiz und aus Österreich zusammen. 1980 gründeten sie den "Internationalen Arbeitskreis für Orthografie". Die reformwilligen Wissenschaftler fanden Gehör in der Politik: 1987 formulierten das Bundesinnenministerium und die Kultusministerkonferenz den Auftrag, ein neues Regelwerk zu entwerfen. Augst leitete damals die Kommission für Rechtschreibfragen beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und war damit eine Art Reform-Chef. Der erste Vorschlag der Wissenschaftler war radikal: Kaiser mit ei, Boot mit einfachem o; Augst wollte außerdem die gemäßigte Kleinschreibung, also Großbuchstaben nur am Satzanfang und bei Eigennamen. Die Reaktionen waren niederschmetternd.
    "Ja, ganz furchtbar, sie sind also wirklich über uns hergefallen, es hat eine riesige Diskussion gegeben."
    Der Entwurf wurde also überarbeitet, entschärft und neu verhandelt – ohne dass die Öffentlichkeit größere Notiz davon nahm. Hier setzen die Kritiker an: Die Reform sei hinter verschlossenen Türen durchgedrückt worden, lautete ihr Argument.
    Zumindest verpflichteten sich am 1. Juli 1996 unter anderem Deutschland, Österreich und die Schweiz in der Wiener Absichtserklärung, die reformierte Orthografie einzuführen. Zu den bekanntesten neuen Regeln gehörte etwa das Doppel-S nach kurzem Vokal: Kuss, Fluss und Schluss also nicht mehr wie bisher mit Eszett, sondern mit Doppel-S. Außerdem sollten mehr Wörter getrennt geschrieben werden: zum Beispiel "Rad fahren" oder "kennen lernen". Fremdwörter wurden eingedeutscht, deutsche Wörter vereinfacht – zumindest nach Ansicht der Reformer.
    "Wir haben damals gesagt, Quäntchen: Da denkt doch jeder normale Deutsche und jedes Schulkind erst recht, das kommt von Quantum. Aber der Linguist oder Sprachhistoriker weiß natürlich, dass das nicht von Quantum kommt, sondern von Quintum, das Fünfte, also ist es gar kein ‚a‘ und Umlaut, und in der alten Rechtschreibung wurde es mit e geschrieben. Und wir haben dann gesagt, wir schreiben es mit ä, weil die Leute das eh so machen."
    Kurz vor dem Ziel ging der Protest erst richtig los
    Die Reform schien unter Dach und Fach zu sein, neue Wörterbücher waren gedruckt, tausende Schulen unterrichteten die neuen Regeln schon nach den Sommerferien 1996. Gerhard Augst und seine Reform-Kollegen sahen sich am Ziel. Doch es kam anders, denn der Streit ging jetzt erst so richtig los.
    "Die Rechtschreibreform ist überflüssig wie eine Warze am Fuß. Klein, aber schmerzhaft."
    Friedrich Denk, im Herbst 1996. Der damalige Deutsch-Lehrer an einem Gymnasium im oberbayrischen Weilheim wollte die neuen Orthografieregeln nicht akzeptieren und schon gar nicht unterrichten. In den folgenden Jahren sollte er zu einem der einflussreichsten Gegner der Reform werden. Und er genießt noch immer seinen Ruf als Rechtschreib-Rebell:
    "Ja, das war ich wohl. Da kann ich nichts dagegen machen, aber ich finde das fast einen Ehrentitel!"
    Kurz bevor die neue Rechtschreibung an seiner Schule in Weilheim eingeführt werden sollte, ging Denk auf die Barrikaden - seinen ersten großen Erfolg als Rechtschreib-Rebell feierte er auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 1996:
    "Und dann habe ein Flugblatt entworfen, das heißt "Stoppt die überflüssige, aber milliardenteure Rechtschreibreform" und bin auf die Buchmesse, habe dieses Flugblatt verteilt, zwei Pressekonferenzen gemacht und am letzten Tag der Buchmesse hieß es dann im Radio, dass Vargas Llosa den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen habe und dass mehr als einhundert deutschsprachige Schriftsteller und Professoren gegen die Rechtschreibreform protestieren."
    Denk ist heute ein agiler Studiendirektor im Ruhestand mit Wohnsitz Zürich. Die Kritik an der Rechtschreibreform ist ihm noch immer ein Herzensanliegen. Auf die Interviewanfrage reagierte er enthusiastisch – und statt sich von der Schweiz aus zum Gespräch zuschalten zu lassen, setzte er sich prompt in den Zug und erschien persönlich im Kölner Funkhaus. Wörterbücher hat er mitgebracht, Flugblätter von damals, Zeitungen, und einen schon etwas vergilbten Spiegel-Titel:
    "Damals im Spiegel, "Schwachsinn Rechtschreibreform, der Aufstand der Dichter", das habe ich damals ein bisschen mit organisiert. Das waren Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, Kempowski, alle waren dagegen."
    Weshalb sie auch alle Denks Frankfurter Erklärung gegen die Rechtschreibreform unterschrieben hatten. So auch der mittlerweile verstorbene Schriftsteller Siegfried Lenz, der sich im Oktober 1996 im Deutschlandfunk zu Wort meldete:
    Kritiker monierten ein Verflachen der Sprache
    "Wir alle wissen, dass jedes Wort seine Herkunft hat, dass jedes Wort seine Geschichte hat, und ich sehe nicht ein, dass wir dem Ziel, das wir alle haben – nämlich Sprache zu bewahren und zu erhalten – hier ein Opfer erbringen sollen, das praktisch nur darauf hinaus läuft, die Sprache zu verflachen."
    "Da wurden verschiedene Wörter regelrecht abgeschafft, zum Beispiel das Wort wohlbekannt. 'Dieser Herr ist mir wohlbekannt', das heißt: Ich kenne ihn gut. Wenn ich sage 'Dieser Herr ist mir wohl bekannt', dann heißt das, ich kenne ihn vermutlich. Das sollte in Zukunft nur noch getrennt geschrieben werden, das heißt, da ging ein Teil der Bedeutungsmöglichkeiten verloren."
    Die Reform verhunze die deutsche Sprache, sei überflüssig und viel zu teuer – ein gutes Geschäft höchstens für Schul- und Wörterbuchverlage, so Friedrich Denks Argumente. Mit dem Reformer Gerhard Augst geriet er damals so manches Mal aneinander:
    "Jeder der wollte, muss man sagen, konnte sich über diese Reform unterrichten. – In denen das Wesentliche nicht drin stand, in der Broschüre! – Ach das ist doch Unsinn! – Die Getrenntschreibung – Ach Du lieber Gott! – Das ist doch Unsinn. – Die Getrennt- und Zusammenschreibung steht in allen Entwürfen drin."
    Sogar das Bundesverfassungsgericht musste sich 1998 mit der Rechtschreibung befassen – es erklärte die Einführung der reformierten Regeln per Kultusministererlass für die Schulen allerdings für rechtmäßig. Doch Denk und auch andere Reformgegner wie etwa der Germanistikprofessor Theodor Ickler oder der Verleger Matthias Dräger ließen nicht locker.
    Sie versuchten, die Rechtschreibreform mit Volksbegehren zu kippen, sie publizierten, diskutierten, und gewannen immer mehr Anhänger.
    Rettende Maßnahmen
    150.000 Mark habe er allein in die Kampagnen gegen die Rechtschreibreform investiert, sagt Friedrich Denk. Nicht ohne Erfolg. Er scharte Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten hinter sich, aber auch viele Bürger, die in Umfragen immer wieder mehrheitlich angaben, die alte Rechtschreibung beibehalten zu wollen. Zeitungen und Verlage, die die neuen Schreibregeln zunächst eingeführt hatten, kehrten reihenweise zur traditionellen Orthografie zurück. Das Chaos war perfekt. Die Rechtschreibreform schon fast tot – da blieb nur eine verzweifelte Notoperation.
    "Gut, manche bleiben nur am Leben, wenn sie notoperiert werden. Also die Politik und die Ministerpräsidenten der Länder haben dieses Gemurre und diesen Unmut vieler Bevölkerungskreise wohl aufgenommen und gesagt, das kann doch wohl so nicht bleiben, wir haben andere Sorgen."
    Erinnert sich Hans Zehetmair, ehemaliger Kultus- und Wissenschaftsminister in Bayern. Er war es, der die Rechtschreibreform retten sollte. Dazu gründeten die Kultusminister 2004 den Rat für deutsche Rechtschreibung, und Zehetmair übernahm den Vorsitz. Es war keine Aufgabe, um die sich jemand gerissen hätte.
    "Wenn einen alle Länder bitten, das zu richten, dann ist es auch eine Ehrenpflicht, dass man sich dafür opfert."
    Zehetmair opferte sich – und ihm gelang tatsächlich ein diplomatisches Kunststück. Er verhandelte mit Gegnern und Befürwortern der Reform, schlichtete, versöhnte, suchte nach Lösungen, denen alle zustimmen konnten. Am Ende präsentierte der Rat einen Vorschlag, der manche Reformregel rückgängig machte, aber längst nicht jede. Prominentestes Beispiel für die erhaltenen Reformregeln ist wohl das Doppel-S nach kurzem Vokal. In einigen Fällen gab es eine ganz neue Lösung, wie beim "leidtun". Es war der Kompromiss, dem die Kultusminister vor zehn Jahren zustimmten und den auch die Ministerpräsidenten kurze Zeit später billigten. Darauf ist Zehetmair stolz. Er hat aber auch eine Lehre gezogen: Der Staat soll die Sprache in Ruhe lassen.
    Die Folgen der Rechtschreibreform
    "Ich gebe nach wir vor zu, dass das kein Thema ist für die Politik und ich habe auch gesagt, man sollte niemals mehr den Fehler machen, dass die Politik die Orthografie mitbestimmen will."
    Ein Eingeständnis, das der Reformgegner Friedrich Denk sehr begrüßt. Es reicht ihm nur nicht. Wenn die Reform schon nicht mehr rückgängig zu machen sei, dann solle man in den Schulen doch wenigstens parallel auch die alte Schreibung wieder gelten lassen. Die Reform ist in seinen Augen ohnehin gescheitert:
    "Das Versprechen, dass die Schüler weniger Fehler machen, hat sich nicht bewahrheitet. Es werden heute mehr Fehler gemacht."
    Die Studienlage zu dieser Frage ist allerdings nicht ganz eindeutig – sowohl Gegner als auch Befürworter der Reform werden in der Forschung Ergebnisse finden, durch die sie sich bestätigt fühlen.
    So zeigen einige Erhebungen, dass Schüler heute tatsächlich mehr Rechtschreibfehler machen als vor der Reform. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Orthografie in den Schulen weniger intensiv geübt wird als früher. Zugleich ist nachweisbar, dass Kinder heute origineller schreiben und insgesamt mehr Worte benutzen.
    Dass die Rechtschreibreform für Verwirrung gesorgt hat, lässt sich kaum von der Hand weisen. Noch vor einigen Jahren sagten in einer Umfrage die meisten Bundesbürger, sie wüssten bei vielen Wörtern nicht mehr, wie sie geschrieben werden. Das könnte auch an den vielen zulässigen Varianten liegen. Oder an den Computern, die einem per Autokorrektur das Nachdenken über die richtige Schreibung abnehmen. Gerhard Augst, der Reform-Pionier, kann darin nichts Schlechtes erkennen:
    "Ich denke, dass die Reform eines bewirkt hat, dass die Leute etwas lockerer mit dieser Rechtschreibung umgehen."
    Viele Linguisten sind ohnehin überzeugt: Die Sprache ist robust. Sie hält vieles aus.
    Sprache im Internet und in den sozialen Medien
    "Also die Rechtschreibreform kann man jetzt wirklich mal abhaken. Die digitale Revolution ist natürlich ein viel stärkerer Faktor und hat eine viel größere gesellschaftliche Relevanz als irgendeine Rechtschreibreform."
    Sagt Peter Schlobinski, Professor für Germanistik an der Universität Hannover und Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Sprache. Zu Schlobinskis Forschungsgebieten gehört die Sprache im Netz – also die Frage, wie Leute bei Twitter, Facebook oder in E-Mails schreiben. Rechtschreibregeln werden dann oft vernachlässigt; wichtiger sind Smileys und Abkürzungen. Linguisten sprechen von Substandard-Orthografien. Da entstünden auch ganz neue Möglichkeiten des Schreibens, sagt Schlobinski:
    "Also da zu experimentieren und auch abzuweichen vom Standard, auf unterschiedliche Zeichensystem zurückzuweichen, das Verbinden mit Fotos, mit einer Bildinformation, was wir nennen Multimodalität, das führt natürlich dazu, dass es einen kreativen Umgang mit den unterschiedlichen Formen gibt und das ist durchaus positiv."
    Zumal Schüler offenbar unterscheiden können, wo korrekte Rechtschreibung verlangt wird und wo sie die Regeln eher locker handhaben können:
    "Es gibt zwei Untersuchungen, eine aus der Schweiz, eine aus den USA, die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler durchaus in der Lage sind, normgerecht zu schreiben einerseits eben in der Schule und andererseits entsprechend abzuweichen, wenn sie einen Tweet schreiben, eine SMS oder bei Whatsapp."
    Schlobinski, der selbst in E-Mails grundsätzlich alles klein schreibt, kann sich über die Rechtschreibreform nicht mehr aufregen.
    "Die Klage, dass früher alles besser war, auch was die Schreibung betrifft, die kennt man sehr lange. Ich will mal daran erinnern, als die Comics damals aufkamen und so Wörter wie 'Stöhn, Ächz', da war das auch schon der Niedergang des sprachlichen Abendlandes. Und wenn man sieht, wie das alles eingearbeitet wurde in das deutsche System, das hat auch nicht zum Niedergang der Rechtschreibung geführt."
    Die neue Rechtschreibung gilt seit dem ersten August 2006 in der ganzen Bundesrepublik. Wem das leidtut, der sei daran erinnert, dass die amtlichen Regeln nur in Schulen und Behörden gelten. Anderswo darf jeder schreiben, wie er will.