In Frankreich gegründet und mit dem Vorbild der Casa-Pound-Bewegung in Italien, fand die "Identitäre Bewegung" bald Anhänger in ganz Europa. In Deutschland wurde sie 2012 über Facebook bekannt, 2019 stufte sie der Verfassungsschutz als rechtsextrem ein. Dagegen versuchte die Bewegung zunächst per Gericht vorzugehen, hatte damit aber keinen Erfolg. Laut Verfassungsschutz hat die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IDB) aktuell 600 Mitglieder.
Wer steckt hinter den "Identitären"?
Die "Identitären" gelten unter den "Neuen Rechten" als die hippen Intellektuellen - sie verstehen sich selbst als elitäre Gruppierung und außerparlamentarische patriotische Jugendbewegung. Sie vermeiden plumpe Parolen und grenzen sich auch äußerlich vom martialischen Springerstiefel- und Bomberjacken-Skinhead-Millieu ab. In Deutschland ist ein harter Kern von meist sehr jungen, gut gekleideten und redegewandten Aktivisten aus der Mittel- und Oberschicht aktiv. Es handelt sich nicht um eine Massenvereinigung.
Als führender Kopf im deutschsprachigen Raum gilt der 31-jährige Martin Sellner, Chef der "Identitären" Österreichs. Sellner ist studierter Philosoph, Autor umstrittener Bücher und seit Teenager-Jahren eng mit der rechten Szene verwurzelt.
Er gehörte zunächst der schlagenden Verbindung Wiener Burschenschaft Olympia an und ist Mitglied weiterer Burschenschaften, für die er auch Artikel verfasste. AfD-Politiker Björn Höcke und Verleger Götz Kubitschek, Protagonist der "Neuen Rechten" in Deutschland, gehören zu seinem Bekanntenkreis. Zudem trat Sellner als Redner bei rechtspopulistischen Pegida-Demonstrationen in Dresden auf und hatte bis zu der Sperrung seines Accounts über 100.000 Follower auf Youtube.
Finanzierung
Die Gruppe finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Propagandamaterial (modische Kleidungsstücke mit einschlägigen Slogans) und über Spenden. Allein der charismatische und telegene Sellner erhielt in den ersten Monaten des Jahres 2018 über 20.000 Euro an Spendengeldern von etwa 250 Personen aus ganz Europa. Ein Großteil davon kam aus Deutschland, wie "Süddeutsche Zeitung", NDR, WDR und der Wiener "Standard" im Juni 2019 berichteten. Dem Rechercheverbund lagen die entsprechenden Kontoauszüge vor. 1.500 Euro davon hatte der spätere Christchurch-Attentäter an Sellner gespendet, berichtete der ORF.
Der Verfassungsschutz beobachtet in dem Verfassungsschutzbericht 2019 zudem Bemühungen der IBD, "durch Gründung von Wirtschaftsunternehmen auch finanziell von der Umsetzung identitärer Projekte zu profitieren".
Ideologie
Die Anhänger der "Identitären Bewegung" vertreten das Konzept des Ethnopluralismus, einer ethnisch homogenen "europäischen Kultur": Sie wollen ein "ethnisch reines" Europa und sie wollen verhindern, dass sich Völker mischen. Dieses Konzept der "Identität" sehen sie durch den Multikulturalismus, durch Zuwanderung und "Islamisierung" bedroht. Es geht ihnen dabei nicht um die Überlegenheit der eigenen "Rasse", sondern die angebliche Verteidigung der nationalen Identität.
Laut Verfassungsschutz zielt die IBD letztlich darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. "Die Ideologie der IBD verletzt die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde und das Demokratieprinzip." Damit seien die Positionen der IBD nicht mit dem Grundgesetz vereinbar: "Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der vorherigen Betätigung einiger Führungsaktivisten in rechtsextremistischen Organisationen stuft das BfV die IBD als rechtsextremistische Bestrebung ein."
Forscher warnen davor, dass die "Identitären" zum Bindeglied zwischen der Neuen Rechten, Pegida und der AfD werden könnten. Die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner sagte im Dlf: "Sie wollen das Sagbare und gesellschaftlich Akzeptierte nach rechts verschieben und so längerfristig auf die Politik Einfluss ausüben."
Ebner hält die "Identitäre Bewegung" für eine der gefährlichsten rechtsextremen Jugendbewegungen in Europa ," weil sie sich auch wirklich an die Zielgruppe ‚junge Menschen’ wenden und sich ganz gezielt auf Unis, Schulen und andere Orte, an denen sie junge Menschen treffen, spezialisiert haben."
Aktionen und Social Media
Die "Identitäre Bewegung" wurde vor allem über die Sozialen Netzwerke bekannt. Es gab Kochshows oder Dating-Apps für nationalistische Aktivistinnen und Aktivisten, eine Art "Tinder" für Rechtsextreme. Dabei wirken die Macher wie Youtube-Stars, wie smarte Influencer und sie wenden sich dabei an eine breite Zielgruppe – gerade auch an akademische, urbane Milieus. Sie schüren Angst vor Fremden, vor dem Verlust heimischer Kultur und Identität.
Durch aufwändig inszenierte, spektakuläre Aktionen im öffentlichen Raum, die an Greenpeace-Aktionen erinnern und auf verschiedenen Plattformen online gestellt werden, sollen Anhänger rekrutiert werden. Die bekanntesten Aktionen sind die Besetzung des Brandenburger Tors mit Anti-Flüchtlings-Transparenten (2016) und ein Jahr später unter dem Motto "Defend Europe", der (misslungene) Versuch, mit einem gecharterten Schiff an Libyens Küste Geflüchtete an der Reise nach Europa zu hindern. Das europaweite Netzwerk äußert sich durch diese gemeinsame Aktionen und gemeinsame ideologische Schulungen, Kampagnen-Workshops und Sporttrainings ("Sommeruniversität" in Frankreich).
Straftaten und Maßnahmen
Im Juli 2020 sperrte Twitter - zwei Jahre nach Facebook und Instagram - verschiedene Konten in Deutschland. Twitter erklärte, die gesperrten Konten hätten gegen die Richtlinien des Kurznachrichtendienstes in Bezug auf gewalttätigen Extremismus verstoßen. Außerdem seien die Inhaber der Konten an "illegalen Aktivitäten" beteiligt. Sie hätten sich auf Twitter terroristischen Organisationen oder gewalttätigen Extremisten angeschlossen oder diese gefördert. Auch der Youtube-Kanal und andere Konten von Martin Sellner sind inzwischen gesperrt worden.
Das Bundesinnenministerium berichtete auf eine parlamentarische Anfrage 2018, dass es zwischen April 2017 und August 2018 insgesamt 114 politisch motivierte Straftaten der "Identitären" gegeben habe. Dabei seien die "Identitären" vor allem durch Vandalismus - etwa das Anbringen von Aufklebern oder das Besprühen von Wänden - aufgefallen. In Einzelfällen sei es auch zu tätlichen Angriffen gekommen.
(Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung, Bundesamt für Verfassungsschutz, BMI, Bosch-Stiftung, Andreas Speit, Exit-Deutschland)