Der ehemalige hessische Polizist Rafael Behr ist Gast in der Evangelischen Akademie Frankfurt am Main. Die ist nicht allzu weit entfernt von der Polizeiwache, die hier bei manchen Anwohnern - vor allem solchen mit Migrationshintergrund - seit Jahren als die – Zitat: "Nazi-Wache" - galt. Dort soll eine Gruppe von Beamten in einer Internet-Chatgruppe rechtsextremes Gedankengut ausgetauscht haben.
Vom Computer dieser Wache sollen möglicherweise auch Morddrohungen gegen eine Rechtsanwältin mit türkischen Wurzeln ausgegangen sein. Die Ermittlungen laufen.
Zu wenig Aufklärung?
Rafael Behr hat einmal auf dieser Wache Dienst getan. 15 Jahre lang war er Polizist in Hessen. Heute leitet er als Soziologieprofessor die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit an der Akademie der Polizei Hamburg.
Für ihn ist der rechtsradikale Chat in Frankfurt am Main kein Einzelfall: "Es genügt mir nicht zu denken, das sind vier oder fünf in Frankfurt, die sind böse. Und 16.000 sind gut." Das sei zu kurz gegriffen, sagt der Soziologe. "In Hamburg sagen mir meine Studenten: Solche Whatsapp-Gruppen, nicht mit Nazi-Sprüchen, aber Gruppen, die man nicht nach außen trägt und die das Bild der Polizei nicht verbessern würden, wenn sie nach außen kämen, die gibt es in jeder Dienstgruppe."
Rafael Behr kritisiert, dass die Polizei bisher nicht den Anschein erweckt, als decke sie mögliche rechtsextreme Strukturen oder Hasskommunikation in den Polizeiwachen schonungslos auf: "Ich würde mich zum Beispiel sehr freuen, wenn der hessische Innenminister von sich aus sagen würde: Ich möchte gerne genau wissen, wie es da zugeht. Das möchte im Moment kein Innenminister genau wissen, wie viel Extremismus es in der Polizei gibt."
Diese Forschung müsse von der Polizei initiiert werden, so Behr: "So wie es in den 90er-Jahren bei den Republikanern war. Da haben die Innenminister gesagt: Wir wollen wissen, wie das ist, und haben die Forschung in Auftrag gegeben. Da ist auch etwas bei herausgekommen. Diese Stimmung der Offenheit, etwas zuzugeben, was nicht stimmt, die vermisse ich heute, nicht nur in Hessen."
Ressentiments im Auswahlverfahren
Als zu Beginn der 1990er Jahre mehrere Asylbewerberheime in Deutschland brannten, beriefen viele Polizeidienststellen sogenannte Migrationsbeauftragte. Heute ist der Islam- und Politikwissenschaftler Necati Benli Landesmigrationsbeauftragter der hessischen Polizei. Er berät Polizistinnen und Polizisten in soziokulturellen Fragen.
Necati Benli vergleicht die gesellschaftliche Situation insgesamt sowie die politische Stimmung speziell in der Polizei heute mit dem Beginn der 1990er-Jahre: "Haben wir denn tatsächlich einen vermehrten Rechtsruck? Oder war dazwischen vielleicht einfach nur eine friedliche Phase?"
Viele der Diskussionen, die heute geführt würden, habe es auch schon in den 90er-Jahren gegeben, sagt Benli: "Und eine Parallele stelle ich dann fest: Das ist die Zuwanderung. Nimmt die Zuwanderung zu, nimmt das Befremden auch zu." Da unterscheide sich die Polizei nicht allzu sehr von der Gesellschaft.
Allerdings werde heute schon bei den Eignungsauswahlverfahren für Polizeianwärterinnen und -Anwärter in der Regel sehr genau hingehört, ob es Ressentiments gebe, betont Eva Hertel. Sie leitet die Abteilung Nachwuchssicherung bei der Polizeiakademie Hessen: "Das ist schon vorgekommen, dass ein Bewerber im Gespräch zum Thema 'Kritik und Konfliktverhalten' sagt, im Übrigen hätte er auch ein Problem mit Menschen mit dunkler Hautfarbe."
Man könne sich das kaum vorstellen, so Hertel: "Jedem normal denkenden Menschen muss klar sein, was das für Konsequenzen hat. Natürlich haben wir diese Person nicht eingestellt. Das wurde dann in einem Feedback-Gespräch aufgearbeitet. Das ist eine sehr drastische Variante, die aber auch zeigt: Natürlich kann ich nur das bewerten, was jemand sagt. Sie können den Menschen nicht in den Kopf gucken."
Mit Fortbildungen und Vielfalt gegen Extremismus
Für Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg ist nicht das Auswahlgespräch der entscheidende Moment, um extremistische Tendenzen bei der Polizei zu bekämpfen. Die Fehler werden seiner Ansicht nach erst später gemacht: "Bis heute glaube ich, dass wir das große Problem nicht in den Auswahlen haben und in den Ausbildungen, in der Tat. Sondern die Probleme fangen an, wenn wir sie aus den Ausbildungen entlassen in die Praxis."
In Hamburg dauere es lange, bis Polizisten nach der Ausbildung die erste Fortbildung bekommen. "Da sind erst einmal fünf, sechs, sieben Jahre Praxis. Und diese Praxis kann prekär sein. Wenn Sie dann in einem Handlungsfeld sind, in einer Brennpunktwache in einer Metropolregion, und sie werden da nicht gut begleitet, kann es tatsächlich zu einer Veränderung kommen. Das ist keine Entschuldigung, und es ist auch kein Ersatz für eine Analyse."
Der Soziologe dämpft die Hoffnungen, mit mehr Migranten im Polizeidienst und auf Problemwachen wie in Frankfurt-Mitte könnten Fremdenhass und rechtsradikalem Gedankengut etwas entgegengesetzt werden.
Eva Hertel von der Polizeiakademie Hessen ist da etwas optimistischer. Auch die Frauen hätten die Polizei schon zum Positiven verändert - der Sexismus habe abgenommen:
"Wenn wir vielfältiger sind, ob das Frauen betrifft oder Menschen mit Migrationshintergrund, wenn ich buntere Dienstgruppen habe, führt das zu einer Sozialhygiene und einer Sprachhygiene. Ich habe viel öfter Gelegenheit festzustellen, ob das, was ich da sage, auch sozial adäquat ist. Und dann ist es wichtig, dass das nicht ein homogener Resonanzraum ist, der das genauso wieder zurückwirft. Sondern dass da jemand ist, der sagt: Moment, da hast Du mich jetzt persönlich mit getroffen. Denk doch mal nach! Und das sind genau die Sachen, mit denen wir dann wachsen werden. Weil viel früher das Feedback da ist: Das ist nicht in Ordnung!"