Der aktuelle Fall in Nordrhein-Westfalen zeigt: Rechtsextreme Netzwerke bei der Polizei sind kein Einzelfall. Doch was folgt daraus und wie reagieren Menschen, die sich von rechtsradikalen Polizistinnen und Polizisten bedroht fühlen müssen?
Memet Kilic, Vorsitzender des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates und Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, sagte im Deutschlandfunk, dass im internationalen Vergleich die deutsche Politik zwar "ziemlich gut" da stehe, es aber tatsächlich schwarze Schafe gebe. Eine bundesweite wissenschaftliche Studie hält er für den richtigen Weg, denn nur, wer die Art und den Umfang der Probleme kenne, könne auch die geeigneten Maßnahmen ergreifen.
Rainer Brandes: Sehen wir gerade nur die Spitze des Eisberges?
Memet Kilic: Ich befürchte, weil selbst Herr Reul, der Innenminister von NRW, zugeben müsste, dass er von seinen früheren Aussagen Abstand nehmen muss und diese Dinge nicht mehr als Einzelfall darstellen darf. Ich erinnere mich merkwürdigerweise an meinen Disput mit dem damaligen Innenminister Otto Schily im Jahr 2000 bei der BKA-Herbsttagung, wir haben vor 20 Jahren über diese Themen in dieser Art und Weise diskutiert. Ich muss mit Erschrecken feststellen, dass wir sehr wenig vorangekommen sind.
"Im internationalen Vergleich stehen wir mit unserer Polizei ziemlich gut da"
Brandes: Angenommen, Sie würden jetzt Opfer einer Straftat werden, können Sie sich noch vertrauenswürdig an die Polizei wenden?
Kilic: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen, im internationalen Vergleich stehen wir mit unserer Polizei ziemlich gut da. Ich würde das auch tun, aber es gibt tatsächlich schwarze Schafe. Ein Rechtsstaat darf in drei Kernaufgabenbereichen keine Rassisten und keine Verfassungsfeinde tolerieren, deren Zahl muss null sein, es gibt kein Argument, das auch Spiegelbild der Gesellschaft, nämlich Bildung, Justiz und Sicherheitsbehörden. Die Rechtsradikalen sind waffen- und uniformaffin, das wissen wir, und die gehen in der Regel in diese Richtung. Deshalb muss man bei den Rekruten auf jeden Fall sehr, sehr aufmerksam schauen, dass die nicht in den Dienst kommen. Zweitens, man muss auch während der Dienstzeit die richtig beobachten, aber auch betreuen, dass die dann aufgrund ihrer Belastung, ihrer Klientel nicht zum Rassisten werden, weil sie frustriert sind.
Kilic: Institutionen stärken und Vielfalt zulassen
Brandes: Jetzt haben Sie gerade schon die Rekruten angesprochen. Es berichten ja auch Polizeiausbilder immer wieder, dass sie es erleben, dass Polizeianwärterinnen und -anwärter das N-Wort benutzen, dass sie offen eine rassistische Gesinnung zeigen. Was kann man denn tun, um zu verhindern, dass solche Menschen in den Polizeidienst kommen?
Kilic: Die deutsch-ungarische Philosophin Agnes Heller, die leider letztes Jahr verstorben ist, sagte einmal, dass Homo sapiens so ist, wie er ist, deshalb müssen wir die Institutionen stärken, damit wir uns gegen unsere eigene Schwäche schützen. Das heißt einmal, richtige Rekruten akquirieren, zweitens Demokratie- und Menschenrechtserziehung in der Polizeiausbildung besserstellen, und wir müssen auch Vielfalt bei der Polizei zulassen und befördern, aber nicht mit Migranten auch mit rassistischer Gesinnung – das gibt es auch, wir wollen das nicht wahrnehmen. Wir haben nichts gewonnen, wenn wir Islamisten und Rassisten mit Migrationshintergrund in die Polizei nehmen. Dann müssen wir die Betreuung der Polizistinnen und Polizisten in schwierigen Einsätzen in und aber auch danach ein bisschen betreuen, damit aus Frustration kein Rassismus wird. Wir müssen unabhängige Beschwerdestellen bei den Landesparlamenten errichten, die aber nicht in die Regierung eingegliedert sind. Wir müssen auch wissenschaftliche Studien endlich zulassen und bundesweit durchführen, und vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Polizei und Zivilgesellschaft sind erforderlich.
Studie müsse "muss bundesweit geschehen"
Brandes: So eine wissenschaftliche Studie, die will Bundesinnenminister Horst Seehofer und auch seine CDU-Innenminister in den Ländern bisher nicht. Man kann ja auch sagen, was nützt so eine Studie, die Einstellungen ändern sich dadurch ja nicht.
Kilic: Wenn man aber Problematik wissenschaftlich erfassen kann, kann man auch entsprechende Maßnahmen und Lösungen entwickeln. Ansonsten, wenn wir Problematik und Umfang nicht kennen, können wir auch passende Maßnahmen nicht entwickeln. Der von mir sehr geschätzte Bundesinnenminister kann auch gesichtswahrend von seiner Position tatsächlich abkommen und das ändern. Er hat ja seinerseits gesagt, jetzt nicht, aber jetzt merken wir schon, dass immer wieder merkwürdige Vorfälle vorkommen. Dann erwarte ich von ihm, dass er sagt, jetzt erst recht, nach all diesen Vorfällen. Wir können nicht den Ländern zur Verfügung stellen, ob die das durchführen wollen oder nicht. Was haben wir gewonnen, wenn in Berlin und von mir aus auch in NRW so eine Studie durchgeführt wird, aber in Sachsen nicht? Das muss bundesweit geschehen. Übrigens, in Nordrhein-Westfalen ist ja auch eine Polizeihochschule, Münster ist schon lange bereit, um so eine Studie durchzuführen. Das zu verhindern, ist nicht richtig.
Ich konnte am Anfang verstehen, dass der Bundesinnenminister sich schützend vor seine Polizei stellt, aber jetzt geht es nicht mehr darum, dass man Polizei schützt, sondern mit dieser Haltung schadet man der Polizei. Unsere Polizei ist weitgehend demokratisch und gut, das muss ich hier sagen, aber wenn wir so tun, als ob es sie nicht gäbe, dann werden die schwarzen Schafe gewinnen, unsere Polizei wird an Ansehen verlieren und an Autorität. Das wollen wir nicht.
Brandes: Aber wie gut können die Ergebnisse sein, die bei so einer Studie herauskommen, denn die Betreffenden werden ja wahrscheinlich nicht sagen, ja, klar, ich bin ein Rassist.
Kilic: Das stimmt, aber wissenschaftliche Studien haben auch sehr gute Methoden, die sozusagen zwischen den Zeilen lesen können. Wenn man sozusagen auch noch parallel eine anonyme Bewertung machen würde, kann auch einiges anders dastehen. Das müssen wir den Wissenschaftlern überlassen.
Das ersetzt natürlich auch nicht Verfassungsschutzmaßnahmen, überhaupt nicht, und deshalb muss man bei der Bundeswehr mit eigener Innenaufklärung arbeiten, aber auch bei der Polizei müssen Landesverfassungsschutzämter ein starkes Auge darauf haben. Aber lassen Sie erst mal die Wissenschaftler ihrer Arbeit nachgehen, schauen wir mal, ob das genügt oder nicht.
"Wer zu naiv für eine Chatgruppe ist, sollte nicht Polizist werden"
Brandes: Jetzt sagen ja mehrere Polizisten, die in NRW im Fokus der Ermittlungen sind, ja, wir haben bei diesen Chats mitgemacht, aber das war eigentlich eine Riesendummheit, wir teilen die Geisteshaltung dahinter gar nicht. Muss man Menschen nicht auch zugestehen, gerade wenn sie unter einem starken Gruppendruck stehen, dass sie auch mal was mitmachen, was sie hinterher dann bereuen?
Kilic: Ein starker Druck ist sicherlich ein Argument, wer in seinem Leben so was nicht gehabt hat, aber wie gesagt: Bei diesen drei Kernaufgabenbereichen des Staates holen wir keine naiven Leute. [Anmerkung der Redaktion: Kilic meint an dieser Stelle - Für denjenigen, der diesen Druck bisher nicht kannte] Wer zu naiv für so eine Chatgruppe ist, sollte auch nicht Polizist werden, sondern kann auch Kioskbetreiber sein von mir aus. Dann kann er weiter naiv vorgehen und dann später bereuen, wenn das rauskommt. Aber wer Polizeibeamter ist, darf diese Naivität nicht vorspielen, das werde ich keinem Polizisten abnehmen. Aber wenn es wirklich ein geringes Vergehen ist, muss man auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und schauen, ob tatsächlich jemand wieder auf den richtigen Pfad kommt, ob es ein kleines Versehen, eine kleine Verfehlung war. Und wenn diese Person wieder alles gut macht, ist es auch nicht in unserem Interesse, Polizistinnen, Polizisten vom Dienst zu suspendieren. Die Maßstäbe liegen bei Richterinnen und Richtern, Staatsanwälten, Bundeswehrangehörigen, Polizei ziemlich hoch, da dürfen keine Naiven ihre Dienste verrichten.
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