Es ist ein strahlend schöner Wintertag, und das frühere Bürgerbüro von Susanne Schaper in der Chemnitzer Zietenstraße präsentiert leer und lichtdurchflutet. Ein typisches Ladengeschäft in einem stattlichen Eckhaus im Chemnitzer Stadtteil "Sonnenberg". Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass mehrere der großen Schaufensterscheiben beschädigt sind. An der Fassade oberhalb der Fenster kleben dunkle Farbflecke mit langen Spritzern.
"Wir stehen jetzt hier vor der Fassade, eine eingeschlagene Scheibe sehen wir hier. Das ist jetzt der letzte Angriff gewesen?"
"Nee, das war der Vorletzte. Der letzte Angriff ist hier um die Ecke, da sehen sie den Scheibeneinwurf, da ist die Scheibe nicht ganz durchgegangen und es war so ein 1,80 Meter Durchschnitt großes Hakenkreuz quasi über meine Beschriftung hier gemalt."
Susanne Schaper, Jahrgang 1978, ist gelernte Krankenschwester. Seit 2009 macht Sie für ihre Partei Die Linke als Fraktionschefin im Stadtrat Politik, seit der letzten Landtagswahl 2014 hat sie zudem einen Sitz im Landesparlament. Dort ist sie zuständig für die Sozial- und Gesundheitspolitik sowie den Tierschutz. Auch durch ihr Zutun wird die drittgrößte sächsische Metropole seit einigen Jahren Rot-Rot-Grün regiert. Leidenschaftlich tritt die 38-jährige zierliche Blondine ein für Frieden und gegen rechtsextremistische Umtriebe. Das ist in der Stadt bekannt und findet nicht nur Beifall:
Jubelbekundungen auf den Internetseiten der rechten Szene
"In den 17 Monaten hatte ich mehr als 20 Anschläge auf mein Büro, wovon ich aber nicht alles angezeigt habe. Das reichte von toten Tieren über Hundefäkalien bis Scheibeneinschlagen. Verfassungsfeindliche Symbole an die Scheiben geschmiert, also Hakenkreuze, mein Konterfei wurde ersetzt durch die Überschrift "Zecken", dann wurden mit Christbaumkugeln, die gefüllt waren mit einer Lackfarbe, die Sie hier sehen, die ganze Fassade und das Büro beschmissen, also es war einfach ein unerträglicher Zustand. Hinzu kamen natürlich noch E-Mails und Pöbeleien."
Für sie sei die Grenze zum Rechtsterrorismus längst überschritten, sagt Schaper, und lässt erkennen, dass sie sich nicht ausreichend geschützt fühlt. Genützt haben ihre Anzeigen bei der Polizei wenig, die Verfahren wurden eingestellt, Bekennerbriefe gab es nicht, wohl aber Jubelbekundungen im Netz auf den einschlägigen Seiten der rechtsgerichteten Szene in den sozialen Netzwerken, als diese noch geöffnet waren. Seit linksgerichtete autonome Aktivisten auf der linken Web-Seite "Indymedia" kürzlich Privatadressen, sowie umfangreiche Informationen über einzelne Mitglieder des im Kiez ansässigen, so genannten "rechten Plenums" veröffentlicht haben, sind viele dieser Profile gelöscht. Geblieben sind unzählige einschlägig verbotene Schriftzüge an Häuserwänden im Kiez, so auch am ehemaligen Bürgerbüro von Susanne Schaper:
"Hier sehen Sie einen Schriftzug, der mittlerweile durchgestrichen ist aber noch nicht weg, 'NS und ein Herz', das soll also heißen 'I love Nationalsozialismus' und das ist das; der ganze Sonneberg wurde mit solchen Schriftzügen überzogen, unter anderem auch 'NS-Zone', also sollte die 'national befreite Zone' darstellen. Das heißt, diese Gruppe, die sich hier sozusagen etabliert hat, versucht hier wie ein räudiger Hund ihr Revier zu markieren."
Sprengstoff-Anschlag auf ein alternatives Kulturzentrum
Susanne Schaper will sich nicht einschüchtern lassen, dennoch musste sie das Büro in der Zietenstraße räumen, der Vermieter hat gekündigt. Die Suche nach neuen Räumen in ihrem Viertel gestaltet sich schwierig.
Auch in der Chemnitzer Stadtverwaltung richten sich sorgenvolle Blicke auf den Sonnenberg. Der parteilose Ordnungsbürgermeister Miko Runkel weiß um die Brisanz der aktuellen Entwicklung. Erst Anfang November gab es einen Sprengstoff-Anschlag auf ein alternatives Kulturzentrum mit Szene-Lokal im Kiez, das zum Tatzeitpunkt ein Stück über die NSU-Morde im Programm hatte.
"Wir wissen, dass der Sonnenberg schon immer etwas problembehaftet war, schon Schwierigkeiten hat mit der rechten Szene. Wir haben das Thema auf dem Schirm und versuchen etwas dagegen zu tun. Das Thema gibt es unterschwellig schon längere Zeit und ist natürlich im Laufe dieses Jahres schon etwas eskaliert."
Der Sonnenberg, eines der größten noch erhaltenen Gründerzeitviertel Europas, ist heute ein sozial schwaches Viertel mit relativ hohem Ausländeranteil und hohem Leerstand. Das ergebe größere Freiräume und weniger soziale Kontrolle, konstatierte kürzlich der Chemnitzer Politikwissenschaftler und Extremismus-Experte Tom Thieme, in einem Zeitungsinterview. Das machten sich bestimmte Gruppen zunutze und versuchten, ein rechtsorientiertes Milieu im Viertel zu schaffen. Der Sonnenberg sei keine "No-go-Area für Migranten", betont der Politologe, aber es habe hier schon immer rechte Strukturen gegeben. Diese reichten hinein bis hinein in die Fan-Szene rund um den Chemnitzer Fußballclub.
"Der Sonnenberg ist ziemlich rechts angehaucht"
Und die Bürger im Kiez? Was sagen Sie zu dem offensichtlichen Bestreben der rechtsgerichteten Neo-Nazis, durch Einschüchterung die soziale Kontrolle über den Sonnenberg zu erhalten? Wie bewerten sie die Anschläge auf das Bürgerbüro der Linken-Politikerin Schaper?
"Ich finde es nicht in Ordnung, aber ich kümmere mich da auch gar nicht so drum. Ich fahre früh morgens hier weg und komme dann irgendwann wieder." - "Aber empört Sie das?" - "Ja, na sicher, es empört mich schon, ich meine, Linke hin, Linke her, na ja, aber das sind alles Menschen, soviel dazu, Danke-Schön."
"Ja ich finde das ethisch verwerflich, die Menschenwürde da anzutasten, das gehört sich einfach nicht, egal ob da ein Politiker wohnt, ein Arzt oder Müllwagenfahrer, das sollte man nicht machen, ich finde, das hat keiner verdient."
"Ja, also ich will mich da nicht weiter dazu äußern." - "Warum, nicht? Also als Bürger hat man doch auch eine Meinung?" "Ja, aber… Sie wissen ja, das war falsch gewählt, hier auf dem Sonnenberg, der Sonnenberg ist ziemlich rechts angehaucht."
Susanne Schaper will nicht weichen, doch ganz so unbeschwert wie früher ist sie nicht mehr: "Ja, das arbeitet schon an einem und man muss sich im Prinzip immer wieder aufs Neue sagen, dass man Haltung zeigen muss!"