Archiv

Rechtsextreme in der Bundeswehr
"Alle Fakten liegen eigentlich offen"

Jährlich gebe es Hunderte rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr, analysiert Militärhistoriker Detlef Bald. Und schlussfolgert im DLF: "Für mich ist das ein Sympathie-Milieu, das solche terroristischen, rechten, völkisch-rechtsradikalen Ereignisse erst ermöglicht." Der eigentliche Skandal sei, dass viel zu viele weggeschaut hätten.

Detlef Bald im Gespräch mit Ute Meyer |
    Soldaten sind am 4. Mai 2017 in Berlin auf dem Weg ins Bundesverteidigungsministerium.
    Soldaten auf dem Weg ins Bundesverteidigungsministerium: Hätte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen früher etwas ändern müssen? (dpa / picture alliance)
    Ute Meyer: Wie wahrscheinlich ist es, dass es tatsächlich in der Bundeswehr eine rechte Terrorzelle gibt? Und wie weit verbreitet ist rechtes Gedankengut in der Bundeswehr? Darüber möchte ich sprechen mit Detlef Bald. Er ist Militärhistoriker und war lange Zeit an Forschungsinstituten der Bundeswehr beschäftigt. Herr Bald, für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass sich tatsächlich in der Bundeswehr eine rechte Terrorzelle gebildet hat?
    Detlef Bald: Ja, das sind Nachrichten, die die Alarmglocken schrillen lassen müssten. Es ist Gott sei Dank ein Alarmsignal für alle, in der Öffentlichkeit wie die, die mit der Bundeswehr zu tun haben, für all die vielen rechten, rechtsextremen, grenzwertigen Ereignisse, die die Bundeswehr seit langem begleiten. Denn wir haben, seit wir zurückdenken können, jedes Jahr 150 bis weit über 200 rechtsextreme Vorfälle, die im Bericht des Wehrbeauftragten als solche genannt werden, mit Beispielen von "Heil Hitler" Rufen und Hitler-Gruß und dergleichen mehr.
    Jetzt kann man sich fragen, Moment, was heißt das? Für mich ist das ein Sympathie-Milieu, das solche terroristischen, rechten, völkisch-rechtsradikalen Ereignisse erst ermöglicht. Ohne so ein Milieu würde es das Radikalste nicht geben können.
    "Hunderte von Vorfällen, die seit Jahren vorhanden sind"
    Meyer: Das heißt, wir haben es hier nicht einfach nur mit ein paar hoch kriminellen Außenseitern zu tun, sondern wir müssen den Blick richten auf ein weitreichenderes rechtes Milieu in der Bundeswehr?
    Bald: Ja, das ist natürlich schon ein wichtiger Faktor, es auch so zu benennen. Seit vor fast 20 Jahren der Bundestag sich mit einem Untersuchungsausschuss mit rechtsradikalen Fällen beschäftigt hat, haben wir ununterbrochen diese hohe Zahl von Vorkommnissen. Und jetzt kommt es: Weder die Minister, noch die Abgeordneten, noch die oberste militärische Führung haben das zum Anlass genommen, dieses verbreitete Erscheinungsbild (unter der Hand, nicht ganz in der Öffentlichkeit) zu untersuchen, und das ist eigentlich der Skandal. Wenn jetzt Einzelne sich hinstellen und zeigen nur auf die Frau von der Leyen, das ist ein bisschen billige Suppe, die sie da kochen. Aber tatsächlich kann man auch sagen, Frau von der Leyen hätte vor zwei Jahren da schon mal hinschauen können.
    Aber ganz wichtig ist: Es sind Hunderte von Vorfällen, die seit Jahren vorhanden sind und solche Subversionsstrategien, wie wir sie jetzt in den Einzelfällen dieser Terroristen sehen, erst ermöglichen.
    Meyer: Das heißt, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat eigentlich Recht, wenn sie ein Haltungsproblem bei der Bundeswehr beklagt – diese Äußerung, für die sie ja viel Kritik eingesteckt hat?
    Bald: Ja, da kann man sogar sagen, das ist eine sehr freundliche Umschreibung. Denn wenn Sie sich überlegen: In einer Kaserne gibt es solche Zeichnungen an der Wand und alle Leute gehen daran vorbei, sprich das ganze Offizierskorps sieht es, und keiner meint, es anmerken zu müssen und als Problem vor Ort untersuchen zu können, noch es nach oben weiterzumelden, da stimmt was nicht.
    Das heißt, das sind diese stillschweigenden Zustimmungen, die tatsächlich da sind. Das muss keine echte Sympathie für Rechtsradikales sein, aber es ist das Stillschweigende für Akzeptieren, für Annehmen und am Ende für Legitimieren.
    "Viele sind aufgerufen, was zu unternehmen"
    Meyer: Und wer muss dafür jetzt Verantwortung übernehmen? Sind es die Ausbilder, die Offiziere, der MAD, der Militärische Abschirmdienst, oder die Bundesverteidigungsministerin?
    Bald: Der MAD ist ja der Ort für extreme Fälle, für die äußersten Erscheinungsformen. Zunächst geht es darum, dass die historische Bildung, die politische Bildung, die historische Aufklärung dessen, was Wehrmacht ist und warum ein Anknüpfen nicht möglich ist, darum geht es.
    Viele sind aufgerufen, was zu unternehmen, sehr viele Offiziere, eine ganze Menge Generale, die Inspekteure natürlich auch, und nicht nur am Ende die Politik, sondern wir können froh sein, dass in irgendeiner, sagen wir mal so, hoffentlich beabsichtigten Formulierung die Ministerin hier Stellung bezogen hat.
    Meyer: Nun gibt es für die Bundeswehr einen durchaus umstrittenen Traditionserlass. Der besagt, dass die Verherrlichung der Wehrmacht, also auch Hakenkreuz-Symbole nicht erlaubt sind, dass es aber sehr wohl gestattet ist, Helme, Bilder, Fahnen und so weiter zu sammeln, weil es der Kenntnis der Militärgeschichte dient. Wenn ich Sie so anhöre, muss dieser Traditionserlass weg?
    Bald: Nein! Dieser Traditionserlass ist gewissermaßen der letzte Damm, der in dieser Hinsicht Reformer der Bundeswehr wie Helmut Schmidt mit seinem Minister Apel damals 1982 geschrieben hat.
    Dieser Erlass sagt nicht ausdrücklich, Du kannst Helme und sonstige Devotionalien der Wehrmacht sammeln. Das hat sich inzwischen so eingebürgert. Der Erlass – und das ist die Grundaussage – sagt, dass das Anknüpfen in Tradition zur Wehrmacht nicht möglich ist, weil diese Wehrmacht an Verbrechen beteiligt war, weil sie an Völkermord beteiligt war und sogar auch am Holocaust Teile der Wehrmacht beteiligt waren.
    "Da muss die Bundeswehr klare Position haben"
    Meyer: Aber dennoch scheint es ja zu passieren.
    Bald: Ja.
    Meyer: Überall werden Devotionalien entdeckt, die nicht alle historisch in Ausstellungen eingebettet sind, sondern einfach Dekoration, Bundeswehr-Folklore, verharmlost werden.
    Bald: Das ist, wenn Sie so wollen, jetzt die seit einigen Jahren bestehende Phase der Tradition der Bundeswehr. Früher gab es das in Traditionsräumen an allen Kasernen überall und da wurde ein Großteil dieser Gerätschaften gewiss halb offiziell, offiziös ausgestellt. Inzwischen hat die Bundeswehrführung gemerkt, das geht nicht, und hat gewissermaßen in Traditionsvereine, die privat getragen sind, diese Dinge in anderen Formen der Traditionsräume nun aufgestellt.
    Ich denke, es gehörte dazu, hier gründlich nachzudenken, in welcher Form so etwas politisch-ethisch möglich ist. Da muss die Bundeswehr klare Position haben, damit sie auch mit den befreundeten Nachbarnationen in der NATO in den Einsatz gehen kann.
    Meyer: Generalinspekteur Wieker durchsucht jetzt ja alle Kasernen auf Wehrmachts-Devotionalien. Ist das eine erste richtige Maßnahme?
    Bald: Das ist viel zu wenig. Das ist beinahe albern. Das ist eine Aufgabe seit Jahren, denn die Berichte des Wehrbeauftragten sind öffentlich. Das heißt, alle die Fakten liegen eigentlich offen. Wenn wir jetzt nicht diese im Moment terrorverdächtigen Ereignisse hätten, dann würde kein Mensch hierüber reden.
    "Die gebrochene Geschichte klar begründen"
    Meyer: Was muss denn passieren, dass die Bundeswehr weniger anfällig wird für rechte und rechtsextreme Gesinnungen?
    Bald: Man muss in der Ausbildung auf allen Stufen und Ebenen sehr klar in die Militärgeschichte schauen und dort muss klar begründet werden, warum ein Großteil dieser Militärgeschichte für Deutschland eine gebrochene Geschichte ist, weil so viel Unheil von deutschen Truppen, von deutschem Militär aus unternommen worden ist.
    Meyer: Detlef Bald war das, Militärhistoriker. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.