
Mehr als 100 Vereine wurden in Deutschland bislang verboten. Die meisten davon stuft das Bundesinnenministerium als extrem rechts oder islamistisch ein. Manche Verbote zeigen starke Wirkungen, während andere schnell ausgehebelt werden. Woran liegt das?
Verschiedene rechtsextreme Vereine wurden bereits verboten
1964 wurde das Vereinsrecht der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht. Seitdem hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben mehr als 20 rechtsextremistische Organisationen verboten. Darunter sind zum Beispiel das Sammelbecken gewaltbereiter Neonazis namens Combat 18, die völkische, sektenähnliche Gruppierung Artgemeinschaft und die COMPACT-Magazin GmbH, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) als zentrales Sprachrohr der rechtsextremen Szene einstuft.
Große mediale Aufmerksamkeit erhielt am 19. September 2023 zudem das Verbot der Neonazi-Vereinigung Hammerskins Deutschland. Rund 700 schwerbewaffnete Polizistinnen und Polizisten hatten frühmorgens Wohnungen und andere Immobilien von 28 Vereinsmitgliedern durchsucht.
Die Hammerskins Deutschland gelten als heimlich agierende, international vernetzte Gruppierung und betrachten sich selbst als die Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Ihre Mitglieder waren an der Organisation von rechten Kampfsport-Events beteiligt und hatten eine herausgehobene Stellung bei der Organisation von Rechtsrock-Konzerten.
Blick zurück: In diesen Fällen zeigen Verbote Wirkung
Ehemalige Mitglieder verbotener Vereine machen sich strafbar, wenn sie die Vereinsaktivitäten weiterführen oder eine Ersatzorganisation gründen. Oftmals wird auch das Zeigen der Vereinssymbole untersagt, zum Beispiel auf Kleidung. Bereits Maßnahmen wie diese nehmen Aktivisten manchmal die Motivation, woanders weiterzumachen, sagt Politologe Christoph Kopke, der zu Verboten von extrem rechten Vereinen forscht.
Dieser Effekt, erklärt der Wissenschaftler, lasse sich an der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige” (HNG) zeigen. Bis zum Verbot 2011 war der Verein mit rund 600 Mitgliedern ein wichtiges neonazistisches Netzwerk in Deutschland, das rechte Strafgefangene im In- und Ausland unterstützte – u. a. durch Spenden. Ein vergleichbares Netzwerk konnte die extrem rechte Szene seit dem Verbot nicht mehr aufbauen, betont Kopke.
Dass auch Hausdurchsuchungen eine extremistische Organisation finanziell hart treffen können, zeigt das Beispiel der Hammerskins: Das Bundesinnenministerium geht davon aus, dass für die Produktion einer Rechtsrock-Schallplatte mit kleiner Auflage Kosten von 2.000 Euro anfallen. Der Gewinn von bis zu 10.000 Euro ist demnach in Immobilien der Hammerskins geflossen. Werden die Platten allerdings beschlagnahmt - wie geschehen -, bleiben die Mitglieder auf den Kosten sitzen und geraten in finanzielle Schwierigkeiten, erklärt Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs, der zu Rechtsrock forscht.
Ein weiterer Effekt der Durchsuchungen sind Zufallsfunde. Insbesondere Waffen werden dabei regelmäßig beschlagnahmt.
Wenn Verbote zu leicht umgangen werden können
Allerdings kommt es immer wieder vor, dass verbotene Vereine und Netzwerke in anderen Formen weiterleben. Ein Beispiel: Combat 18. Die Organisation war nach dem Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke von den Ermittlern noch stärker beobachtet und im Jahr 2020 verboten worden. Dennoch sollen sich vier Rädelsführer noch Jahre danach getroffen, weitere Mitglieder aufgenommen, Konzerte organisiert und CDs verkauft haben.
In Brandenburg wiederum haben Ermittler im Januar 2025 die Büroräume eines Staatsanwalts durchsucht, der laut Medienberichten die verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) weiterbetrieben haben soll. Das Verbot war schon 2009 wegen der „Wesensverwandtschaft“ der HDJ zum Nationalsozialismus – insbesondere mit der früheren Hitlerjugend – ergangen.

Und auch bei den Hammerskins hält Politikwissenschaftler Kopke die Wahrscheinlichkeit für gering, dass sich die teils langjährigen Kader der extrem rechten Szene derart von einem Verbot beeindrucken lassen, dass sie gänzlich von der Bildfläche verschwinden. Zwölf Mitglieder des Vereins haben bereits Klage gegen das Verbot eingelegt.
Darum gelingt es manchen Vereinen, trotz Verbots weiterzumachen
Verschiedenste Umstände erleichtern es Vereinen manchmal, ihre Arbeit auch nach einem Verbot weiterzuführen.
Geringer Meldungsdruck durch den Verfassungsschutz
Die Linken-Politikerin und Rechtsextremismus-Expertin Martina Renner glaubt, dass Vereinsverbote oft am Verfassungsschutz scheitern. Zwar werde in der Regel ein mögliches Verbot nach Vereinsgesetz durch den Verfassungsschutz vorbereitet, der auch das entsprechende Material zusammenstelle, sagt Renner. Allerdings bleibe dann oft der zweite Schritt aus – also, dass vom Verfassungsschutz eine Schnittstelle zu den Staatsanwaltschaften geschaffen werde, die einen strafrechtlichen Prozess anstoßen könnten. „Wenn das unterbleibt – und das unterbleibt sehr häufig –, dann verpufft es“, sagt Renner.
Anders als Strafverfolgungsbehörden sind Verfassungsschutzämter nicht dazu verpflichtet, Straftaten zu verfolgen. Stattdessen können sie auch von einer Anzeige absehen, um ihre Quellen in der extrem rechten Szene zu schützen und dadurch weiterhin nutzen zu können.
Parteien dienen als Refugium
Um trotz Verbots weitermachen zu können, haben Mitglieder mancher Vereine in der Vergangenheit eine weitere Strategie angewandt: Sie flüchten unter das Dach einer Partei. Denn die Hürde für ein Parteiverbot ist in Deutschland wesentlich höher als für ein Vereinsverbot.
So stellte ein bekannter Hammerskin-Musiker schon rund ein halbes Jahr nach dem Verbot das Projekt Heimat.Kultur.Werk unter dem Dach der völkisch-nationalistischen Partei “Die Heimat” vor. Mittlerweile ist er stellvertretender Vorstand dieser Partei.
Geringes Tempo der Justiz
Manchmal dauert es sehr lange, bis es zu einem Vereinsverbot kommt. Bereits im Jahr 2000 – als das Neonazi-Netzwerk Blood and Honour verboten wurde – kam die Frage nach einem Verbot der Hammerskins auf. Bis zu einer Umsetzung hat es knapp 23 Jahre gedauert.
Verbotskandidaten werden indirekt vorgewarnt
23 Jahre – das ist viel Zeit, um sich als betroffener Verein auf ein mögliches Verbot vorzubereiten, sagt Christoph Kopke. Mancherorts würden solche Vorhaben sogar vorab diskutiert. „Es gibt Bundesländer, die das vorher gerne groß innenministeriumsmäßig ankündigen“, so der Politikwissenschaftler.
Nach langer öffentlicher Diskussion und Parlamentsdebatten dürfe man sich nicht wundern, wenn die Polizei bei späteren Durchsuchungen nichts Belastendes mehr finden könne. Kopke: „Da ist keine Vereinskasse mehr da, die Sachwerte wurden zur Seite geschafft.“
Zu wenig Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern
Dass der Föderalismus nicht selten zum Ermittlungshindernis werden kann, beklagt beispielweise Rechtsrock-Forscher Thorsten Hindrichs. Schließlich seien rechtsextreme Netzwerke zum Teil über sieben Bundesländer verteilt. „Für Ordnungs- und Sicherheitsbehörden ist das dann häufig ein Problem, länderübergreifend etwas auf die Beine zu stellen“, sagt der Musikwissenschaftler.
Zu wenig internationale Abstimmung
In Deutschland verbotene Vereine können im Ausland mitunter einfach weiter tätig sein. Beispielsweise zeigten sich deutsche Hammerskins in Schweden ganz offen mit ihren Vereinssymbolen – zu sehen auf Fotos, die das Recherche-Team Exif veröffentlicht hat. Die Aufnahmen stammen aus dem August 2024, also fast ein Jahr nach dem Verbot der Gruppierung in Deutschland. Eine der zuständigen Staatsanwaltschaften hat dem Deutschlandfunk auf Anfrage mitgeteilt, dass das Verbot nur für Deutschland gelte.
Mit Recherchen von Timo Stukenberg, jma