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Rechtsextremes Internetradio angeklagt

153 Liedtexte umfasst die Anklageschrift gegen das rechtsextreme "Widerstand-Radio", besonders professionell ist das Internetradio aufgetreten. Ende 2010 wurde es stillgelegt. Nun begann der Prozess gegen die Verantwortlichen.

Von Ludger Fittkau |
    10.30 Uhr heute Morgen, Saal 102 im Landgericht Koblenz. Sieben der elf Angeklagten, die erschienen sind, sind Frauen zwischen 20 und 30. Eine sieht mit feuerrot gefärbten Haaren aus wie eine Punkerin, auch die anderen sind auf den ersten Blick nicht als Neonazis erkennbar. Lediglich zwei Männer zeigen Glatze. Ein Dutzend Zuschauer sind gekommen: zwei, drei Frauen, die Mütter der Angeklagten sein könnten, ein paar Männer mit kahl geschorenem Kopf. Die begrüßen einen der Anwälte per Handschlag. Die Stimmung vor Prozessbeginn ist gelöst. Es wird gelacht, einige der Angeklagten plaudern munter mit ihren Verteidigern. Als der Prozess beginnt, fehlt noch einer der Moderatoren des Neonaziradios. Eine seiner Ex-Radiokolleginnen sagt, sie habe mit ihm telefoniert, er habe, so wörtlich "sein Fahrgeld versoffen" und sei deswegen nicht vor Gericht erschienen. Nach kurzer Beratung entscheidet das Gericht, die Verhandlung trotzdem fortzusetzen.

    Es werden mehrere Ermittler des Bundeskriminalamtes als Zeugen vernommen, was die Angeklagten ohne sichtliche Regung verfolgen. Das BKA hatte 2010 nach Hinweisen des Verfassungsschutzes das Programm des "Widerstand-Radios" rund um die Uhr mitgeschnitten und die Telefone von insgesamt 23 Moderatoren und Verwaltern des Radios abgehört. Ende 2010 wurde es dann nach einer bundesweiten Razzia stillgelegt. Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes:

    "Wir haben eine Vielzahl von Liedtexten festgestellt, die von ihren Inhalten so unglaublich sind, so antisemitisch, so menschenfeindlich sind, rassistisch sind, in denen der Holocaust geleugnet wird oder gut geheißen wird, wo Ausländer und Juden verächtlich gemacht werden und wo zu Gewalt gegen diese auch aufgehetzt wird. Unvorstellbar, was dort über das Internet verbreitet worden ist. Häufig werden dann eingängige Melodien benutzt, um die Zuhörer zum Mitsingen dieser volksverhetzenden Texte zu bewegen."

    153 dieser Liedtexte sind in die Anklageschrift aufgenommen worden, die deshalb dick wie ein Telefonbuch ist. Die BKA-Beamten berichten, der Server des Radios habe in den USA gestanden. Es habe ein Führungstrio gegeben, das man schnell ausgemacht hatte. BKA-Chef Ziercke:

    "Es gibt da einen Superadministrator an der Spitze des Radios, der auch der Gründer war; zwei weitere Administratoren, die als Stellvertreter auftraten. Deren Aufgabe war unter anderem die Anmietung und Bezahlung des Servers sowie die Erteilung von Zugriffsrechten auf bestimmte Inhalte des Internetauftritts. Dann gibt es weitere Administratoren, die sich um Chaträume der Internetseiten kümmern."

    Ein Zeuge berichtet, alle Moderatoren des Neonaziradios hätten Mitgliedsbeiträge bezahlt, um den Betrieb zu gewährleisten. "Teamspeak" – so nannten die braunen Funker eine regelmäßige Audiokonferenz im Internet, alle Moderatoren mussten daran teilnehmen. 135.000 Zugriffe auf die Website des Senders seien im Ermittlungszeitraum gezählt worden, so ein Zeuge.

    Wie viele Menschen wirklich das Radio regelmäßig gehört hätten, sei schwer zu sagen. Vielleicht seien es nur 100 gewesen, vielleicht mehr. Klar ist: In den rechten Internetforen waren die Reaktionen auf das "Widerstand-Radio" sehr positiv. Der Sender bot auch eine "Partnerbörse" für die rechtsextreme Szene an und druckte Fan-T-Shirts. Das Bundeskriminalamt betont, dass man das "Widerstand-Radio" deswegen in den Blick genommen habe, weil es ein besonders professionell gemachtes Internetradio gewesen sei. Insgesamt habe es zu Ermittlungsbeginn im Januar 2010 rund 20 rechtsextreme Internetprogramme gegeben. Das "Widerstand-Radio" habe bisweilen auch Moderatoren von anderen Sendern abgeworben. Doch nach den Razzien gegen die Macher im vergangenen Herbst seien einzelne andere rechtsradikale Internetkanäle schnell verstummt, sagte BKA-Chef Jörg Ziercke damals:

    "Und wenn dieses Signal in der Szene angekommen ist und das erkennen wir, weil zwei weitere Radios ihren Sendebetrieb eingestellt haben, dann werten wir das als Erfolg und werden diesen Weg weitergehen."

    Die Fans des rechtsradikalen Radios werden auch dieses Jahr ohne Weihnachtsgrüße vom "SS-Engel" und dem "Nazi-Bären" auskommen müssen. Der Prozess in Koblenz geht in der ersten Januarwoche weiter.