Heckmann: Versagt die Politik im Kampf gegen den Rechtsextremismus, oder sind die Mittel der Politik ohnehin beschränkt und aus der Mitte der Gesellschaft kommt zu wenig Widerstand? Gibt es überhaupt ein spezifisch ostdeutsches Problem mit den Rechten, oder verdeckt diese Behauptung nur den Umstand, dass es das Problem im Westen genauso gibt? - Der Angriff auf indische Staatsangehörige im sächsischen Mügeln hat diese Fragen wieder aufgeworfen, aber auch international schlägt der Fall weiter Wellen.
Es ist noch nicht lange her, da stand eine andere Stadt in Ostdeutschland im Brennpunkt: Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Eine Gruppe Rechtsradikaler hatte dort im Juni eine Theatergruppe überfallen und deren Mitglieder teils krankenhausreif geschlagen. Einer der Schauspieler hatte für seine Rolle eine Irokesenfrisur getragen. Die Rechten waren deshalb davon ausgegangen, dass es sich bei der Gruppe um Linke handeln würde. Auch damals wurden Vorwürfe laut, die Polizei habe nur zögerlich reagiert und Tatbeteiligte zunächst laufen lassen. - Am Telefon ist jetzt der Sozialwissenschaftler Professor Rainer Neugebauer. Er ist Mitglied des Bürgerbündnisses für ein gewaltfreies Halberstadt. - Herr Neugebauer, heute ist es 15 Jahre her, dass das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen brannte. Seitdem reißt die Kette an rechtsradikalen Übergriffen nicht ab. Nun also Mügeln. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Wolfgang Böhmer sprach von einer fremdenunfreundlichen Grundstimmung in Ostdeutschland. Ist das eine zutreffende Beschreibung?
Neugebauer: Ich denke das ist eine zutreffende Beschreibung, aber das ist eine Beschreibung, die wir vielfach auch im Westen in kleinen Städten finden. Bei diesen Vorfällen hat man ja immer das Gefühl - und ich habe das in Halberstadt nachvollziehen können - von medialer Enteignung. Wenn dann die Medien kommen und was hören wollen oder Fragen stellen, ist es im Osten schlimmer als im Westen.
Ich denke so genau weiß das glaube ich gar keiner. Was man weiß ist, dass wir hier in Ostdeutschland relativ wenig Ausländer haben, eine relativ hohe Zahl von auch gewaltsamen Vorfällen gegen Ausländer. Was mir eigentlich Sorge macht - und das wird auch an dem Beispiel Mügeln zumindest wieder teilweise deutlich -, dass die erste Reaktion der Verantwortlichen immer doch das Abwiegeln ist.
Heckmann: Der Bürgermeister von Mügeln Gotthard Deuse hat einen rechtsradikalen Hintergrund ja quasi ausgeschlossen und in seiner ersten Reaktion gesagt, in der Stadt gebe es kein Problem mit Rechten. Es ist also immer noch so, dass das Problem verharmlost wird?
Neugebauer: Ich denke vielfach wird es immer noch verharmlost, wenn man auf der einen Seite weiß, dass in Mügeln wie ja jetzt auch durch die Medien gekommen ist knapp 10 Prozent NPD-Wähler da sind. Möglicherweise gibt es keine große organisierte rechte Szene, aber etwas, worauf ja die zivilgesellschaftlichen Akteure und auch diejenigen, die sich in den entsprechenden Gremien damit beschäftigen, immer wieder hinweisen: wir wissen eben, dass rechtsextreme Einstellungen weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet sind, latent, bis zu 30 bis 40 Prozent Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus. Wenn man das dann weiß und wenn man das dann hört, dass dort die Inder gejagt worden sind, dass es "Ausländer raus"-Rufe gegeben hat, dann halte ich es zumindest für fahrlässig, wenn nicht gar abwiegelnd, wenn man dann sagt nein, bei uns gibt es so etwas nicht und das sind Leute, die von außerhalb kommen.
Heckmann: Ist das auch die Begründung oder die Erklärung für den Umstand, dass zunächst gesagt wird, dass es sich hier möglicherweise gar nicht um einen rechtsradikalen Vorfall gehandelt hat, obwohl eben diese "Ausländer raus"-Rufe zu hören gewesen sind? Ist das ein Zeichen dafür, dass eine solche Parole eben gar nicht als rechtsradikal wahrgenommen wird, sondern in der Mitte der Gesellschaft als konsensfähige These gilt?
Neugebauer: Das ist zumindest möglich bei vielen Leuten, die dieses Argument dann mittragen. Wenn man bei den entsprechenden Umfragen hört, dass etwa bis zu 40 Prozent der Bürger auch in Ostdeutschland, wenn sie gefragt werden, meinen, wir haben viel zu viele Ausländer hier und die würden uns die Arbeitsplätze wegnehmen und so weiter, auf der anderen Seite dann die Zahlen der realen Ausländer etwa in Ostdeutschland sieht, die zum Teil unter zwei Prozent liegen, dann wird das deutlich, dass das eine weit verbreitete Einstellung ist und dass dann möglicherweise so Stammtischparolen gar nicht mehr als anstößig empfunden werden. Das ist sehr gefährlich.
Heckmann: Gibt es eine fehlende öffentliche Ächtung für Rechtsextremismus in Ostdeutschland?
Neugebauer: Ich denke in einigen Bereichen gibt es inzwischen diese Ächtung des Rechtsextremismus. Ich denke der erste Schritt, den viele schon getan haben, ist in den Verwaltungen, bei der Polizei, bei der Staatsanwaltschaft, in den Vereinen, dass sie gesagt haben, wir haben wirklich ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Man muss sich erst mal dazu bekennen. Das darf aber kein wohlfeiles Bekenntnis sein, sondern es müssen dann auch Taten folgen. Taten folgen heißt, es müssen unter Umständen Gelder für soziale und kulturelle Vereinsförderung bereitgestellt werden. Es müssen Gelder für Streetworker bereitgestellt werden. Es müssen die Bundesmittel für die zivilgesellschaftlichen Initiativen bereitgestellt werden, besser verteilt werden und so weiter. Da hapert es dann eben noch. Wenn jemand zusammengeschlagen wird, dann sind die Verantwortlichen natürlich auch immer am Krankenbett, aber wenn es dann darum geht, auch dafür Geld und auch Personal abzustellen, dann wird es schon wieder schwieriger.
Heckmann: Herr Neugebauer, der Zentralrat der Juden in Deutschland hat gesagt, in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus habe sich praktisch nichts verändert in den letzten Monaten. So jedenfalls Generalsekretär Kramer gegenüber der NET-Zeitung. Unterstützer und Förderer der rechtsextremen NPD nähmen weiter zu und die etablierten Parteien seien unfähig, das Problem Rechtsextremismus zu lösen. Würden Sie dem zustimmen?
Neugebauer: Bei dem letzten Punkt hoffe ich hat der Frank Kramer Unrecht, aber was ich auch sehe ist, dass es keine koordinierte Strategie gegen Rechts gibt. Etwa das Bundesprogramm, was ja die zivilgesellschaftlichen Initiativen über Netzwerk Courage unterstützt hat, ist zwar etwas aufgestockt worden, aber es ist ausgeweitet worden auf das gesamte Bundesgebiet. Zweitens wird verteilt jetzt über die Kommunen, so dass also diejenigen, die vor Ort gegen den Rechtsextremismus praktisch arbeiten, darunter leiden.
Nehmen Sie das Beispiel Wurzen. Das liegt zwischen Mügeln und Leipzig. Dort gibt es das Netzwerk für demokratische Kultur. Die mussten jetzt schon wieder eine Stelle einstreichen, weil das Geld nicht mehr so fließt. Ich weiß nicht, ob das bei allen Akteuren, auch bei den lokalen Akteuren der politischen Parteien schon angekommen ist, dass man so einfach damit nicht mehr umgehen kann.
Heckmann: Gehören dazu auch härtere Strafen, wie jetzt von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt und Brandenburg gefordert?
Neugebauer: Ich bin nicht dafür, das Strafgesetz zu verschärfen. Ich bin auch ein Gegner des NPD-Verbotes. Wofür ich bin, dass bei Straftaten das Strafmaß ausgeschöpft wird, dass etwa auch die Gerichtsbarkeit zum Beispiel den rechtsextremen Hintergrund überhaupt erst mal zur Kenntnis nimmt, was ja vielfach in Sachsen-Anhalt nicht passiert ist. Das Problem muss auch bei der Staatsanwaltschaft und bei der Richterschaft als das anerkannt werden, dass der Rechtsextremismus etwas ist, was die Demokratie, was die Gesellschaft, was auch einfach die Lebenswürdigkeit dieser Gesellschaft bedroht.
Heckmann: Der Sozialwissenschaftler Professor Rainer Neugebauer.
Es ist noch nicht lange her, da stand eine andere Stadt in Ostdeutschland im Brennpunkt: Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Eine Gruppe Rechtsradikaler hatte dort im Juni eine Theatergruppe überfallen und deren Mitglieder teils krankenhausreif geschlagen. Einer der Schauspieler hatte für seine Rolle eine Irokesenfrisur getragen. Die Rechten waren deshalb davon ausgegangen, dass es sich bei der Gruppe um Linke handeln würde. Auch damals wurden Vorwürfe laut, die Polizei habe nur zögerlich reagiert und Tatbeteiligte zunächst laufen lassen. - Am Telefon ist jetzt der Sozialwissenschaftler Professor Rainer Neugebauer. Er ist Mitglied des Bürgerbündnisses für ein gewaltfreies Halberstadt. - Herr Neugebauer, heute ist es 15 Jahre her, dass das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen brannte. Seitdem reißt die Kette an rechtsradikalen Übergriffen nicht ab. Nun also Mügeln. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Wolfgang Böhmer sprach von einer fremdenunfreundlichen Grundstimmung in Ostdeutschland. Ist das eine zutreffende Beschreibung?
Neugebauer: Ich denke das ist eine zutreffende Beschreibung, aber das ist eine Beschreibung, die wir vielfach auch im Westen in kleinen Städten finden. Bei diesen Vorfällen hat man ja immer das Gefühl - und ich habe das in Halberstadt nachvollziehen können - von medialer Enteignung. Wenn dann die Medien kommen und was hören wollen oder Fragen stellen, ist es im Osten schlimmer als im Westen.
Ich denke so genau weiß das glaube ich gar keiner. Was man weiß ist, dass wir hier in Ostdeutschland relativ wenig Ausländer haben, eine relativ hohe Zahl von auch gewaltsamen Vorfällen gegen Ausländer. Was mir eigentlich Sorge macht - und das wird auch an dem Beispiel Mügeln zumindest wieder teilweise deutlich -, dass die erste Reaktion der Verantwortlichen immer doch das Abwiegeln ist.
Heckmann: Der Bürgermeister von Mügeln Gotthard Deuse hat einen rechtsradikalen Hintergrund ja quasi ausgeschlossen und in seiner ersten Reaktion gesagt, in der Stadt gebe es kein Problem mit Rechten. Es ist also immer noch so, dass das Problem verharmlost wird?
Neugebauer: Ich denke vielfach wird es immer noch verharmlost, wenn man auf der einen Seite weiß, dass in Mügeln wie ja jetzt auch durch die Medien gekommen ist knapp 10 Prozent NPD-Wähler da sind. Möglicherweise gibt es keine große organisierte rechte Szene, aber etwas, worauf ja die zivilgesellschaftlichen Akteure und auch diejenigen, die sich in den entsprechenden Gremien damit beschäftigen, immer wieder hinweisen: wir wissen eben, dass rechtsextreme Einstellungen weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet sind, latent, bis zu 30 bis 40 Prozent Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus. Wenn man das dann weiß und wenn man das dann hört, dass dort die Inder gejagt worden sind, dass es "Ausländer raus"-Rufe gegeben hat, dann halte ich es zumindest für fahrlässig, wenn nicht gar abwiegelnd, wenn man dann sagt nein, bei uns gibt es so etwas nicht und das sind Leute, die von außerhalb kommen.
Heckmann: Ist das auch die Begründung oder die Erklärung für den Umstand, dass zunächst gesagt wird, dass es sich hier möglicherweise gar nicht um einen rechtsradikalen Vorfall gehandelt hat, obwohl eben diese "Ausländer raus"-Rufe zu hören gewesen sind? Ist das ein Zeichen dafür, dass eine solche Parole eben gar nicht als rechtsradikal wahrgenommen wird, sondern in der Mitte der Gesellschaft als konsensfähige These gilt?
Neugebauer: Das ist zumindest möglich bei vielen Leuten, die dieses Argument dann mittragen. Wenn man bei den entsprechenden Umfragen hört, dass etwa bis zu 40 Prozent der Bürger auch in Ostdeutschland, wenn sie gefragt werden, meinen, wir haben viel zu viele Ausländer hier und die würden uns die Arbeitsplätze wegnehmen und so weiter, auf der anderen Seite dann die Zahlen der realen Ausländer etwa in Ostdeutschland sieht, die zum Teil unter zwei Prozent liegen, dann wird das deutlich, dass das eine weit verbreitete Einstellung ist und dass dann möglicherweise so Stammtischparolen gar nicht mehr als anstößig empfunden werden. Das ist sehr gefährlich.
Heckmann: Gibt es eine fehlende öffentliche Ächtung für Rechtsextremismus in Ostdeutschland?
Neugebauer: Ich denke in einigen Bereichen gibt es inzwischen diese Ächtung des Rechtsextremismus. Ich denke der erste Schritt, den viele schon getan haben, ist in den Verwaltungen, bei der Polizei, bei der Staatsanwaltschaft, in den Vereinen, dass sie gesagt haben, wir haben wirklich ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Man muss sich erst mal dazu bekennen. Das darf aber kein wohlfeiles Bekenntnis sein, sondern es müssen dann auch Taten folgen. Taten folgen heißt, es müssen unter Umständen Gelder für soziale und kulturelle Vereinsförderung bereitgestellt werden. Es müssen Gelder für Streetworker bereitgestellt werden. Es müssen die Bundesmittel für die zivilgesellschaftlichen Initiativen bereitgestellt werden, besser verteilt werden und so weiter. Da hapert es dann eben noch. Wenn jemand zusammengeschlagen wird, dann sind die Verantwortlichen natürlich auch immer am Krankenbett, aber wenn es dann darum geht, auch dafür Geld und auch Personal abzustellen, dann wird es schon wieder schwieriger.
Heckmann: Herr Neugebauer, der Zentralrat der Juden in Deutschland hat gesagt, in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus habe sich praktisch nichts verändert in den letzten Monaten. So jedenfalls Generalsekretär Kramer gegenüber der NET-Zeitung. Unterstützer und Förderer der rechtsextremen NPD nähmen weiter zu und die etablierten Parteien seien unfähig, das Problem Rechtsextremismus zu lösen. Würden Sie dem zustimmen?
Neugebauer: Bei dem letzten Punkt hoffe ich hat der Frank Kramer Unrecht, aber was ich auch sehe ist, dass es keine koordinierte Strategie gegen Rechts gibt. Etwa das Bundesprogramm, was ja die zivilgesellschaftlichen Initiativen über Netzwerk Courage unterstützt hat, ist zwar etwas aufgestockt worden, aber es ist ausgeweitet worden auf das gesamte Bundesgebiet. Zweitens wird verteilt jetzt über die Kommunen, so dass also diejenigen, die vor Ort gegen den Rechtsextremismus praktisch arbeiten, darunter leiden.
Nehmen Sie das Beispiel Wurzen. Das liegt zwischen Mügeln und Leipzig. Dort gibt es das Netzwerk für demokratische Kultur. Die mussten jetzt schon wieder eine Stelle einstreichen, weil das Geld nicht mehr so fließt. Ich weiß nicht, ob das bei allen Akteuren, auch bei den lokalen Akteuren der politischen Parteien schon angekommen ist, dass man so einfach damit nicht mehr umgehen kann.
Heckmann: Gehören dazu auch härtere Strafen, wie jetzt von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt und Brandenburg gefordert?
Neugebauer: Ich bin nicht dafür, das Strafgesetz zu verschärfen. Ich bin auch ein Gegner des NPD-Verbotes. Wofür ich bin, dass bei Straftaten das Strafmaß ausgeschöpft wird, dass etwa auch die Gerichtsbarkeit zum Beispiel den rechtsextremen Hintergrund überhaupt erst mal zur Kenntnis nimmt, was ja vielfach in Sachsen-Anhalt nicht passiert ist. Das Problem muss auch bei der Staatsanwaltschaft und bei der Richterschaft als das anerkannt werden, dass der Rechtsextremismus etwas ist, was die Demokratie, was die Gesellschaft, was auch einfach die Lebenswürdigkeit dieser Gesellschaft bedroht.
Heckmann: Der Sozialwissenschaftler Professor Rainer Neugebauer.