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Rechtsextremismus
Dortmund und der Umgang mit "SS-Siggi"

Siegfried Borchardt ist kein brauner Biedermann - er ist militanter Rechtsextremist. Nun sitzt er im Rat der Stadt Dortmund. Viele Bürger sind entsetzt über die Karriere von "SS-Siggi". Die erste Sitzung des neu gewählten Dortmunder Stadtrats fand unter Polizeischutz statt.

Von Manfred Götzke |
    Bürger halten in Dortmund (Nordhein-Westfalen) vor dem Rathaus während einer Demonstration Schilder gegen Rechtsextremismus hoch.
    Bürger demonstrieren vor dem Rathaus gegen den Einzug des Rechtsextremisten Siegfried Borchardt in den Stadtrat. (dpa picture alliance/ Caroline Seidel)
    Gut 200 Dortmunder stehen an diesem Mittwochnachmittag auf dem Friedensplatz, zwischen Publik-Viewing-Zirkus und Rathaus - und singen. Lieder gegen rechts. "Dortmund Bunt statt braun", "kein Fußbreit den Faschisten" steht auf ihren Bannern - sie demonstrieren gegen den neuen Ratsherrn der Stadt Dortmund. Siegfried Borchardt, in Dortmund seit Jahrzehnten bekannt als "SS-Siggi". Es sind heute mehr da als vor gut drei Wochen bei der Kommunalwahl-Party - doch diesmal werden auch 200 Bürger nicht verhindern können, dass der Neonazi in den Rat der Stadt einzieht. Denn er hat ein Mandat.
    "Es ist zum Fremdschämen, dass so ein Mensch, Siegfried Borchardt, im Rat der Stadt Dortmund sitzt. Das ist ein Imageverlust für die Stadt, das ist furchtbar."
    Petra Kameinski, ist nicht zum ersten mal auf einer Anti-Nazi Demo. Borchardts Partei will in ihrem Viertel die NRW-Zentrale eröffnen. Sie hält Borchardt für gefährlich.
    "Er ist mehrfach vorbestraft, war immer in verbotenen Kameradschaften, er ist radikal, das weiß man. Aber er will vor allem provozieren, Politik machen will er nicht."
    Siegfried Borchardt ist kein brauner Biedermann. Er ist bekennender Neonazi. Anfang der 80er-Jahre hat er die Borussenfront gegründet, eine rechte Hooligantruppe. Seitdem saß er mehrfach im Gefängnis: Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Volksverhetzung. Die Partei, für die er jetzt im Rat sitzt, deckt sich mit dem Nationalen Widerstand Dortmund - eine inzwischen verbotene militante Kameradschaft. Vor drei Wochen haben sie im Rathaus bereits Angst und Schrecken verbreitet – "Die Rechte" wollte die Kommunalwahlparty stürmen. Die Bürger konnten das gerade eben noch verhindern: Demonstrantin Sabine Fleiter hat mit anderen eine Kette gebildet, um die Rechtsextremisten abzuwehren:
    "Das war sehr bedrohlich, man hörte sie kommen, in Sekunden gab es eine Prügelei, es war ein Durcheinander. Das war rohe Gewalt, sowas habe ich noch nie erlebt."
    "Fühlen sich die Rechten so stark, dass sie sich so etwas trauen?"
    "Anscheinend ja - ich glaube sie waren so euphorisiert, von ihrem Sieg, dass sie absolut keine Angst haben zuzuschlagen."
    Am Ende warfen die Extremisten Flaschen, sprühten Pfefferspray. Zehn Bürger wurden verletzt.
    Ein Mann und eine Frau zeigen am 25.05.2014 vor dem Rathaus in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ein Schild mit der Aufschrift "Dortmund hat keinen Platz für Rechtsextremismus". Eine Gruppe von Männern aus dem rechten Umfeld hatten versucht, das Rathaus am Wahlabend zu stürmen, wurde daran aber von Bürgern gehindert.
    Dortmunder Bürger stellen sich am Abend der Kommunalwahl einer Gruppe von Rechtsradikalen entgegen, die versucht, das Rathaus zu stürmen. (dpa/ picture alliance / Bernd Thissen)
    Das Dortmunder Rathaus gleicht einer Festung
    Damit sich das nicht wiederholt, ist das Dortmunder Rathaus jetzt gesichert wie eine Festung. Mannschaftswagen der Polizei umringen den 80er-Jahre-Bau. Der Eingang zum eigentlich offenen Foyer ist mit Absperrgittern verstellt, wer an den zehn Sicherheitsleuten vorbei will, braucht eine Einladung:
    "Dieses Stadt werden wir verteidigen, gegen Rechtsextremismus und gegen jegliche Art von Gewalt."
    Drinnen feiert die Stadt noch vor der Ratssitzung ein "Demokratiefest". Eingeladen hat Hartmut Anders-Hoepgen, Sonderbeauftragter des Bürgermeisters für Vielfalt - eine Art oberster Kämpfer gegen Rechtsextremismus:
    "Wir werden nicht zulassen, dass man mit einem eigenen Sicherheitsdienst anrücken will, das hatten wir schon mal, das erinnert an SA-Methoden und das 25-Punkte-Programm der Rechten ist ja auch eine widerliche Reminiszenz an das 25-Punkte-Programm der NSDAP. Ich denke, ich brauche nicht zu sagen, was Anlass für diese Veranstaltung ist."
    Volkan Baran, Mitte 30, dunkle Brille, schütteres schwarzes Haar, schreitet ins Foyer, begrüßt seine Parteifreunde - er ist stellvertretender Fraktionschef der SPD in Dortmund - und hat mit seinen Ratskollegen schon abgestimmt, wie mit dem Rechtsextremisten Borchardt im Rat künftig umgegangen werden soll:
    "Ich werde ihn möglichst ignorieren, nicht auf Wortbeiträge reagieren - ich werde ihn nicht wahrnehmen, so lange er nichts Volksverhetzendes sagt."
    " Kann man die Partei verbieten?"
    "Ich hoffe - ich hoffe, dass das geprüft wird."
    "Schwein im Pferdestall"
    Der Mann, der all das ausgelöst hat, sitzt entspannt auf einer Steinbank vor dem Notausgang des Rathauses - hier wird der 60-jährige Neonazi gleich durch ein Spalier aus Polizisten und privaten Sicherheitskräften in den Rat einziehen. Schwarzes Hemd, Silber-Kettchen, Gehstock mit silbernem Totenkopfknauf. Neben ihm auf den Bänken seine weitaus jüngere Entourage, schmächtige Jungs mit kurz geschorenem Haar und neongelben T-Shirts "Weg mit dem NWDO Verbot" steht auf der Brust - weg mit dem Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund. Ein älterer Herr verwickelt Borchardt in ein Gespräch:
    "Was möchten Sie für die Stadt konkret tun?"
    "Für sozial schwache Deutsche mich einsetzen."
    "Nur Deutsche - woran wollen Sie das festmachen? Wenn jemand einen deutschen Pass hat und wie ein Ausländer aussieht?"
    "Sie zum Beispiel sind in Deutschland geboren. Wenn Sie als Schwein im Pferdestall geboren sind, dann sind Sie auch kein Rennpferd, sondern immer noch ein Schwein - so leicht lässt sich das feststellen."
    Um Punkt 15 Uhr eröffnet Oberbürgermeister Ullrich Sierau die konstituierende Sitzung des Dortmunder Rates. Der Saal ist komplett voll, ein Drittel der Besuchertribüne ist heute von Journalisten in Beschlag genommen:
    "Ich beglückwünsche im Grundsatz alle für ihr Amt, über Ausnahmen muss ich hier keine Worte verlieren."
    Die Ausnahme, Borchardt, hat seinen Platz hinten in der Mitte des Plenums, ein leerer Sitz trennt ihn von einem CDU-Ratsherrn. Bürgermeister Sierau lässt über einen Antrag zur Sitzordnung abstimmen - der NPD-Ratsherr wünscht, neben Borchardt sitzen zu dürfen. Abgelehnt. Dann werden noch die Stellvertretenden Bürgermeister gewählt. Das war's für heute.
    Anträge oder Wortmeldungen gibt es vom Ratsherrn Siegfried Borchardt nicht - nur einmal klatscht er als einziger lautstark - nach einer Meldung des NPD-Kollegen.