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Rechtsextremismus in der Bundeswehr
"Die ganze Gesellschaft ist ein Stück weit radikaler geworden"

Der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller sieht den Rechtsnationalismus in Deutschland auf dem Vormarsch. Dies erkläre auch die vermehrten Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr, sagte Müller im Dlf. Der Nachrichtendienst MAD habe bei der Aufklärung keine glückliche Figur gemacht.

Alexander Müller im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Soldaten der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) gehen über das Kasernengelände in Calw
Der MAD ging beim Kommando Spezialkräfte bereits 2019 nach eigenen Angaben 363 Verdachtsfällen im Bereich Rechtsextremismus nach (picture alliance/ dpa/ Franziska Kraufmann)
Der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller sieht den Rechtsnationalismus in Deutschland auf dem Vormarsch. Dies erkläre auch die vermehrten Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr, sagte Müller im Dlf. Der Nachrichtendienst MAD habe bei der Aufklärung keine glückliche Figur gemacht.
Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Christof Gramm, wird abgelöst. Er werde im gegenseitigen Einvernehmen im kommenden Monat ausscheiden und in den einstweiligen Ruhestand versetzt, teilte das Verteidigungsministerium in Berlin mit. Dem MAD war in der Vergangenheit vorgeworfen worden, zu zögerlich gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr vorzugehen. Laut Ministerium gehört es zu den Aufgaben des MAD, extremistische Tendenzen frühzeitig zu erkennen und die handelnden Personen sowieso mögliche Netzwerkstrukturen vollständig zu identifizieren und aufzudecken. Alexander Müller, Obmann der FDP im Verteidigungsausschuss des Bundestags, fordert genauere Informationen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zum Fall Gramm.
Das Kommando Spezialkräfte KSK der Bundeswehr bei der Aufstellung nach einer Vorführung am Tag der Bundeswehr beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen AusbZSpzlOp in Pfullendorf vor dem Aufklärungs- und Gefechtsfahrzeug AGF Serval. Am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf werden unter anderem Spezialkräfte der Bundeswehr ausgebildet. Anlässlich des Tag der Bundeswehr am 15. Juni 2019 hat der Standort für die Öffentlichkeit seine Tore geöffnet. Unter anderem zeigte das Kommando Spezialkräfte eine Geiselbefreiung mit Unterstützung von zwei Helikoptern Airbus H145M SOF. Die III. Inspektion des Ausbildungszentrum Spezielle Operationen zeigte mit EGB-Kräften Fallschirmjäger mit erweiterter Grundbefähigung das Eindringen in ein Gebäude und die Festsetzung einer Person sowie Übungen aus dem militäri
Bundeswehr-Elitetruppe - Wie groß ist der Rechtsextremismus im KSK?
Nach einer Kette von rechtsextremen Vorfällen im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eine Reform der Einheit angekündigt. Ein Überblick.
Japser Barenberg: Die Grünen sagen, die Enlassung von Christof Gramm war unausweichlich. Stimmen Sie zu?
Alexander Müller: Das weiß ich nicht. Ich habe Herrn Gramm kennengelernt im Verteidigungsausschuss. Mir sind keine direkten Vorwürfe gegen seine Amtsführung bekannt. Er hat wohl einen dicken Patzer sich geleistet. Das ist jetzt nicht ihm unmittelbar zuzuschreiben, aber der Leiter seiner Abteilung Auswertung hat sich wohl mit Interna der Ermittlungen abgestimmt, mit KSK-Soldaten, die ja eigentlich Ziel der Aufklärung waren. Das geht gar nicht. Das ist der einzige Vorwurf, den ich kenne. Ob man ihn dafür entlassen muss, entzieht sich jetzt auch meiner Kenntnis. Ob er darüber wusste und wie lange er darüber wusste, das muss man schauen. So offensichtlich sehe ich das nicht, aber er scheint ja auch einverstanden gewesen zu sein. Das Verteidigungsministerium sagt, das ist im gegenseitigen Einvernehmen, dass er geht.
Bundeswehrsoldaten der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) trainieren am in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) den Häuserkampf und eine Geiselbefreiung
KSK-Soldaten wurden vor Durchsuchung gewarnt
Einem MAD-Offizier wird vorgeworfen, Informationen über Ermittlungen verraten zu haben. Es ging um eine Durchsuchung bei der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK und um Verbindungen zum rechtsextremen Soldaten Franco A.
Jasper Barenberg: In dieser Erklärung aus dem Verteidigungsministerium wird auch klar, dass die Ministerin würdigt, was Christof Gramm an Veränderungen im MAD auf den Weg gebracht hat, gerade wenn es um den Rechtsextremismus und die Ausmaße in der eigenen Truppe geht. Die Ministerin hat die Fortschritte im Kampf gegen den Rechtsextremismus gelobt. In Ihren Augen ist das doch noch begründungspflichtig, warum es jetzt einen personellen Neuanfang an der Spitze des MAD geben soll?
Müller: Ja, wie gesagt, ich kenne diesen einen Vorwurf. Wir wissen natürlich auch, dass diese rechten Netzwerke ein Problem in der Truppe sind, und zwar auch schon ein längeres Problem. Ob Herr Gramm mehr oder besser hätte arbeiten können, entzieht sich unserer Kenntnis, weil wir keine konkreten Vorwürfe gegen ihn kennen. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass die Ministerin unzufrieden ist, weil dieses Thema uns im Verteidigungsausschuss immer wieder beschäftigt.
Christof Gramm, Präsident des Militärischen Abschirmdienstes MAD
Christof Gramm, Präsident des Militärischen Abschirmdienstes MAD (imago/Jens Schicke)
"MAD hat keine glückliche Figur gemacht"
Barenberg: Aber erwarten Sie jetzt noch weitere Erklärungen von der Ministerin? So klingen Sie jedenfalls.
Müller: Mir ist jetzt nicht plausibel, warum sie sich von einem Tag auf den anderen überraschend entschieden hat, ihn jetzt loszuwerden. Da würde ich schon von ihr noch Genaueres wissen möchten.
Barenberg: Es heißt ja oft, dass gerade der MAD zu lange zu wenig unternommen hätte, zu wenig Problembewusstsein gezeigt hätte, was das Ausmaß von rechtsextremistischen Vorfällen in der Bundeswehr angeht. Das sehen Sie anders?
Müller: Ja, der MAD hat keine glückliche Figur gemacht, würde ich schon sagen. Insbesondere dieser eine Vorfall, den ich eben genannt habe, der muss schon aufgeklärt werden. Und auch die Frage, wie es passieren konnte, dass so vieles erst später bekannt wurde. Wir wissen doch von Soldaten, die Waffen gestohlen haben, offensichtlich auch Munition gestohlen haben und im Garten vergraben haben, und das sind ja keine Einzelfälle. Das sagt Herr Gramm selber. Da, denke ich, hätte der MAD vielleicht auch besser arbeiten können. Aber wie gesagt, die Details bekommen wir ja gar nicht mit, weil das alles geheim ist und im Verborgenen läuft.
Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr bei einer Vorführung am Tag der Bundeswehr beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen (AusbZSpzlOp) in Pfullendorf. Die Kommandos werden beim Zugriff von einem Einsatzhund unterstützt. Am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf werden unter anderem Spezialkräfte der Bundeswehr ausgebildet. Anlässlich des Tag der Bundeswehr am 15. Juni 2019 hat der Standort für die Öffentlichkeit seine Tore geöffnet. Unter anderem zeigte das Kommando Spezialkräfte eine Geiselbefreiung mit Unterstützung von zwei Helikoptern Airbus H145M SOF. Die III. Inspektion des Ausbildungszentrum Spezielle Operationen zeigte mit EGB-Kräften (Fallschirmjäger mit erweiterter Grundbefähigung) das Eindringen in ein Gebäude und die Festsetzung einer Person sowie Übungen aus dem militärischen Nahkampf. Ferner
Elitetruppe KSK - "Da ist eine Art Sonderbewusstsein herangewachsen"
Gegen die Eliteeinheit KSK gibt es schwere Vorwürfe: Ein Hauptmann beschrieb in einem Brief rechtsradikale Umtriebe. Der Militärhistoriker Klaus Naumann zeigt sich alarmiert.
"Wir bekommen wieder andere gesellschaftliche Verhältnisse"
Barenberg: Im Parlamentarischen Kontrollgremium, dem Gremium im Bundestag, das die Aufsicht über die Geheimdienste hat, da soll es ja auch eine Studie geben, jedenfalls ein Papier zum MAD, das strukturelle Schwächen festgestellt hat. Welche sind das nach Ihrer Kenntnis?
Müller: Das ist mir nicht bekannt. Es ist nur ein Kollege, der dort in dem Kontrollgremium sitzt. Der darf mit mir nicht darüber sprechen. Daher kenne ich leider diese Studie auch nicht.
Barenberg: Nun wissen wir aber immerhin – und das ist öffentlich, weil es Thema zum Beispiel im Verteidigungsausschuss gewesen ist -, dass der MAD inzwischen, wenn ich das aktuell richtig weiß, gegen mehr als 700 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ermittelt. Was sagt Ihnen diese Zahl? Sagt sie Ihnen, dass der MAD ganz gut aufgestellt ist, oder dass gerade erst das Problem, die Dimension überhaupt erst annäherungsweise bekannt wird?
Müller: Ja, das kann beides sein. Die Zahlen steigen definitiv. Das kann natürlich daran liegen, dass der MAD gute Arbeit macht. Ich glaube aber, das ist insgesamt ein gesellschaftliches Problem. Ich glaube, in den letzten Jahren – und die Bundeswehr ist da ein Spiegel der Gesellschaft – ist die ganze Gesellschaft ein Stück weit radikaler geworden. Während es früher auch verpönt war, rechte Gruppierungen, auch linksextreme Gruppierungen zu unterstützen, zu wählen – das lockert sich in der Bevölkerung irgendwo. Das heißt, wir bekommen wieder andere gesellschaftliche Verhältnisse, und das überträgt sich natürlich auch in alle Bereiche der Gesellschaft und damit auch in die Bundeswehr hinein. Insofern muss das nicht unbedingt heißen, dass der MAD jetzt besonders gründlich gearbeitet hat in den letzten Jahren, sondern einfach auch, dass rechte Tendenzen überall in der Gesellschaft, auch in der Bundeswehr jetzt salonfähiger geworden sind.
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"Die innere Führung der Bundeswehr funktioniert"
Barenberg: Und wenn Sie dieses Argument bringen, die Bundeswehr sei nun mal ein Spiegel der Gesellschaft, können wir uns mit dieser Erkenntnis zufrieden geben, wenn wir sagen, das ist in gewisser Weise in der Bevölkerung vorhanden, rechtsextremistische Einstellungen, und sie sind es dann auch in der Bundeswehr?
Müller: Nein, auf gar keinen Fall.
Barenberg: Kann das heißen, dass wir darauf kein besonderes Augenmerk richten sollten?
Müller: Nein! – Nein, nein! Wir müssen auf jeden Fall ein Augenmerk darauf richten. Mir ging es darum, die Bundeswehr nicht als isoliertes Gebilde, als Staat im Staat darzustellen, die jetzt auf einmal nach rechts abdriftet, und zu suchen, dass das innerhalb der Bundeswehr irgendwelche Ursachen hätte. Ich bin überzeugt, die innere Führung in der Bundeswehr funktioniert. Ich kenne viele Offiziere und die Masse. Ich kenne keinen einzigen Offizier, der irgendwie abwandern würde in solche rechten Ideen.
Barenberg: Mit Ausnahme bei der KSK, wie wir jetzt wissen. Ein Oberstleutnant.
Müller: Okay, gut. Den kannte ich nicht persönlich. Insofern ja, auch solche Fälle gibt es. Aber ich bin überzeugt, dass die Masse der Offiziere in der Bundeswehr, der Führungspersönlichkeiten in der Bundeswehr mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht, und ich will dem Eindruck entgegenwirken, dass es hier ein spezielles Bundeswehrproblem wäre, sondern dass Rechtsnationalismus in Deutschland auf dem Vormarsch ist, ist ein gesellschaftliches Problem.
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"Wundere mich, das wir so viele Ämter haben"
Barenberg: Nun heißt es ja, dass der MAD eine besondere, eine herausragende Bedeutung geradezu hat, wenn es darum geht, diese Strukturen aufzuklären und für die Zukunft dort eine andere Situation zu schaffen. Was sollte der neue Mann oder die neue Frau an der Spitze des MAD denn mitbringen?
Müller: Er sollte kompetent sein für den Job, aber darauf wird die Ministerin schon achten. Ich würde ihm raten, sehr stark und sehr eng mit diesen anderen Behörden, die Sie eben schon genannt haben, oder die i n der Reportage genannt wurden, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt, auch dem BND, noch stärker zusammenzuarbeiten, zu versuchen, die elektronischen Systeme aufeinander abzustimmen, und auch zu versuchen, dass das vom Gesetzgeber her ermöglicht wird, dass hier engere Zusammenarbeit auch gefördert wird.
Barenberg: Was würden Sie sich da vorstellen? Inwiefern soll die Zusammenarbeit da enger werden?
Müller: Ja, ich wundere mich überhaupt, dass wir da so viele verschiedene Ämter haben. Wir haben das doch auch in anderen Fällen gesehen. Gerade der Fall Amri hat doch damals exemplarisch gezeigt, dass wir etliche verschiedene Behörden haben, die sich alle mit bestimmten Vorgängen befassen, aber zu schwach miteinander zusammenarbeiten. Wir haben Inseln von Informationen in unterschiedlichen Behörden und wenn man diese Informationen verknüpfen würde, hätte man ein viel besseres Lagebild. Und ich bin mir sicher, dass das auch hier im Fall der Abwehr von Extremismus der Fall ist, weil wir so eine zersplitterte Behördenlandschaft haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.