Der Polizeiskandal in Hessen hat eine erneute Diskussion über Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei ausgelöst. Die Kabarettistin Idil Baydar erhält seit Jahren Drohmails, die offenbar mithilfe von Daten von hessischen Polizeicomputern erstellt wurden. Und sie ist nicht das einzige Opfer - zunächst ging die Serie rechtsextremer Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" vor allem an Politikerinnen der Linken, nun sind weitere Drohmails dieser Art aufgetaucht.
Tobias Singelnstein, Jurist und Kriminologe von der Ruhr Universität in Bochum, forscht unter anderem zu Polizeigewalt und Rassismus in der Polizei. Man wisse schon seit Langem, dass es in der Polizei ein gewisses Problem mit verfestigten rassistischen und rechtsextremen Einstellungen gebe, sagte er im Dlf. Das Besondere in Hessen sei nun, dass dort daraus auch konkrete Taten erfolgten und sich so etwas wie Netzwerke gebildet haben. "Und das ist doch eine andere Qualität, wo man erwarten würde, dass da deutlicher nachgefasst wird, als das der Fall ist", so der Kriminologe.
Korpsgeist verhindert Offenheit
In der Polizei gebe es eine sehr starke Binnenkultur, einen starken Zusammenhalt untereinander. Diese besondere Verbundenheit sei auch nachvollziehbar: Die Beamten bildeten, wenn sie zusammen unterwegs sind, eine Art Gefahrengemeinschaft und seien darauf angewiesen, dass der Kollege oder die Kollegin ihnen den Rücken freihält. Das führe aber auch leider dazu, "dass an den Stellen, wo es eigentlich nicht angezeigt ist, auch so eine Art Korpsgeist entsteht. Das heißt, dass es in der Praxis sehr selten vorkommt, dass zwei Beamte zu Lasten ihrer Kollegen aussagen und auch, dass über so Probleme wie Rassismus und Rechtsextremismus nicht in der Offenheit geredet wird, die eigentlich notwendig wäre", so Tobias Singelnstein. Es gebe zwar durchaus schon Veränderungen – so sei interkulturelle Kompetenz ein größerer Bestandteil der Ausbildung. Und auch über die schweren Fehler bei den NSU-Ermittlungen werde natürlich auch in der Polizei diskutiert, "aber natürlich ist da noch Luft nach oben und hat die Polizei viel Bedarf, ihre Arbeit stärker an die aktuelle Situation in unserer Gesellschaft, in einer Migrationsgesellschaft auszurichten".
Auch mit der AfD müsse die Polizei noch einen Umgang finden, die ganz gezielt versuche, Polizeibeamte zu adressieren - und die auch einen erheblichen Zuspruch innerhalb der Polizei habe.
Wissenschaftliche Studien als Tatsachengrundlage für Debatten
Wissenschaftliche Studien müssten auch im Interesse der Polizei selbst sein, meint Tobias Singelnstein. Es gehe ja nicht darum, Polizeiarbeit zu diskreditieren, sondern darum, über ein tatsächlich bestehendes Problem zu sprechen und sich auseinanderzusetzen. Und das funktioniere nur mit einer validen Grundlage. Im Moment diskutierten zwei Seite sehr hart miteinander, die ein unterschiedliches Bild von der Situation haben und auch oftmals von unterschiedlichen Begrifflichkeiten ausgingen.
Die Polizei tue sich natürlich schwer mit diesen Themen in der wissenschaftlichen Untersuchung. Doch während seiner eigenen Forschungsarbeit sei Tobias Singelnstein auch auf viel Offenheit und Auseinandersetzungsbereitschaft gestoßen. Wichtig sei vor allem, dass die Polizei sich in den eigenen Reihen mit Problemen wie Rechtsextremismus und Rassismus auseinandersetze und die Diskussion auch offen und selbstkritisch mit der Gesellschaft führe, anstatt sie als Pauschalverdacht oder Generalangriff abzulehnen. Denn dann erst werde für die Gesellschaft sichtbar, dass eine Abgrenzung gegenüber klaren rechtsextremen und rassistischen Tendenzen stattfinde.