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Rechtsextremismus in Deutschland
Reul (CDU): Die Staatsgefährdung "hat ungeheuer zugenommen"

Rechtsextreme Einstellungen seien ein Problem in Sicherheitsbehörden, eine rechtsextreme Unterwanderung gebe es aber nicht, sagte Herbert Reul (CDU), Innenminister von NRW, im Dlf. Gemeldeten Fällen werde kompromisslos nachgegangen. Zur Prävention brauche es auch mehr Schutz für Polizisten in der alltäglichen Arbeit.

Herbert Reul im Gespräch mit Philipp May |
Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen
Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen (picture alliance/dpa | Federico Gambarini)
Die Zahl der Menschen mit rechtsextremistischen Einstellungen ist in Deutschland im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für 2020 hervor. Auch die Zahl der Linksextremisten ist ewiter hoch.
Verfassungsschutzbericht - Zahl der Extremisten gestiegen
Die Corona-Pandemie habe die Gefahr durch Rechtsextremismus verschärft, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung des Berichtes. Rechtsextremismus sei eine größere Bedrohung als Linksextremismus.
Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen betonte im Deutschlandfunk, dass Links- und Rechtsextremismus ihn gleichermaßen besorgten. Dazu komme noch der islamistische Extremismus. "Wir leben in einer ungeheuer angespannten Zeit", sagte Reul. Es gebe momentan keine großen Vorgänge, daher wirke die Situation entspannt, aber die die Gefahr sei groß und habe auch zugenommen.

Reul: Zu viele Fälle, um von Einzelfällen zu sprechen

Die Staatsgefährdung aus dem rechtsextremistischen Bereich habe "ungeheuer" zugenommen, das sei sehr besorgniserregend und so nicht zu erwarten gewesen. Der Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden von Rechtsextremen unterwandert seien, sei allerdings falsch. Es gebe zwar durchaus ein Problem mit rechtsextremen Mitarbeitern, man gehe da allerdings entsprechenden Hinweisen nach, "da gibt es kein Pardon", sagte Reul. Es seien auch zu viele Fälle, um von Einzelfällen zu sprechen.
Probleme mit rechtsextremen Gesinnungen bestünden eher bei Polizisten, die schon länger im Dienst seien. Der Verdacht liege nahe, dass das etwas mit der alltäglichen Arbeit zu tun habe. Polizisten seien eben dauerhaft mit Problemfällen beschäftigt. "Da besteht die Gefahr, dass man entweder sagt, es sind immer dieselben, dann kommt ein Klischee", sagte Reul. Dadurch kämen manche auf krumme Gedanken. Ein wichtiger Baustein präventiver Arbeit sei daher, Polizisten im Alltag nicht in Gefahr kommen zu lassen. Es brauche aber auch mehr Wertevermittlung und staatsbürgerliche Bildung in der Ausbildung. In NRW denke man zudem über eine Supervision nach, an die sich Polizisten mit Verdachtsfällen wenden könnten.

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Philipp May: Was sorgt Sie mehr, Links- oder Rechtsextremismus?
Herbert Reul: Beides gleich. Und hinzu kommt auch noch der islamistische Extremismus. Wir leben in einer ungeheuer angespannten Zeit. Wir wirken entspannt, weil im Moment kein ganz konkreter großer Vorgang da ist. So sind wir ja dann immer. Dann reagiert man ganz stark. Aber die Gefahr ist offensichtlich und hat in all den Bereichen zugenommen.
May: Und wo sehen Sie die größte Staatsgefährdung?
Reul: Ich weiß gar nicht, ob man solche Fragen noch beantworten kann, was ist größer. Es ist je nach Situation unterschiedlich. Aber wir haben natürlich im rechtsextremistischen Bereich eine Zunahme, die für mich zumindest sehr Besorgnis erregt und die in dem Maße auch nicht zu erwarten war. Es hat ungeheuer zugenommen und da geht es ja ums Ganze. Da geht es ja wirklich um die Frage, lassen wir zu, dass Menschen unseren Rechtsstaat, unsere Demokratie, so wie sie jetzt ist, angreifen und gefährden.

Reul: Keine Unterwanderung der Sicherheitsbehörden, aber auch nicht bloß Einzelfälle

May: Warum ich das frage: Es gibt ja schon einen gravierenden Unterschied. Die Sicherheitsbehörden, da wo das Gewaltmonopol sitzt, die sind jetzt in der Regel nicht von Linksextremisten und auch nicht von Islamisten unterwandert, sondern das sind eher Rechte.
Reul: Das stimmt. Das ist im Moment ein aktuelles Problem, wobei das Unterwandern würde ich mittlerweile, nachdem wir in Nordrhein-Westfalen das uns genauer angeguckt haben, so nicht stehen lassen. Wir haben ein Problem, vielleicht auch kein "Wunder", weil das sind alles Menschen aus der gesamten Gesellschaft. Aber die Anzahl hält sich in Grenzen. Wir haben mittlerweile 264 Hinweise bei uns gehabt, nachdem wir diese Chatgruppen-Geschichte in Essen-Mülheim hatten, haben die durchforstet, haben bei 72 Fällen festgestellt, da ist gar nichts dran. Ist ja auch logisch; da werden auch immer Sachen gemeldet, die nicht berechtigt sind. Wir haben 43 Fälle, wo Hinweise sich bewahrheitet haben, und der größte Teil ist noch nicht endgültig aufgeklärt, also 140.
May: Und dennoch sehen wir gerade diese Häufung. Sie haben selbst Ihren Fall angesprochen, wo Sie zuständig sind als Innenminister, in Essen-Mülheim, die rassistischen Chatgruppen. Ihr Kollege Peter Beuth in Hessen musste jetzt das Frankfurter Spezialeinsatzkommando auflösen. Wir können die Fälle ja ruhig bei der Bundeswehr, auch wenn das jetzt nicht Ihr Zuständigkeitsbereich als Innenminister ist, mit hinzunehmen. Gerade wurden Soldaten wegen Fehlverhaltens aus Litauen zurückgeholt. Der Fall Franko A. – Kann man da noch von Einzelfällen sprechen?
Martina Renner (Die Linke), spricht an einem Pult des Bundestags, ihr Bild spiegelt sich
Drohschreiben vom "NSU 2.0" - Renner (Linke): Absender muss Zugriff auf Polizeidaten gehabt haben
Auch nach der Festnahme eines Tatverdächtigen zu Drohschreiben des "NSU 2.0" sei die Polizei nicht entlastet, sagte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner im Dlf. Denn der Täter habe Daten genutzt, die eigentlich nur der Polizei bekannt gewesen seien.
Reul: Nein! Einzelfälle würde ich auch nicht sagen. Aber unterwandert halte ich für falsch. Einzelfälle sind es nicht; es sind schon mehrere und die muss man deswegen auch ernst nehmen. Wir haben bei uns in Nordrhein-Westfalen deswegen ja auch gesagt, da gibt es kein Pardon. Gerade Menschen, die in den Sicherheitsbehörden sind, haben ganz besondere Anforderungen. Das können wir uns nicht erlauben, dass es nur ein einziger ist.
Und die Frage, die sich stellt, ist erstens, wie finden wir sie raus, zweitens, wie gehen wir mit denen um, wie kriegen wir sie aus dem Dienst entfernt, und drittens natürlich, wieso passiert das. Bei uns in Nordrhein-Westfalen ist zum Beispiel ganz interessant der Hinweis gewesen, dass wir am Anfang bei den jüngeren, die aus dem Studium kommen, weniger solche Probleme festgestellt haben und irgendwie – ich sage es mal behutsam; noch sind wir nicht ganz fertig – liegt der Verdacht nahe, dass das auch was zu tun hat mit ihrer Alltagsarbeit.

Reul: Polizisten kriegen ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit

May: Das heißt, Polizisten sind häufig in sozialen Brennpunkten unterwegs. Dort in sozialen Brennpunkten sind häufig ausländische migrantische Milieus und dementsprechend kriegen sie möglicherweise ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit?
Reul: Das kriegen sie sowieso, weil Polizisten haben in der Regel nicht mit sehr netten Menschen zu tun, sondern mit den Problemfällen, und dann auch noch ganz speziell in Großstadtsituationen, so wie Sie beschrieben haben. Da besteht die Gefahr, dass man entweder sagt, es sind immer dieselben, dann kommt ein Klischee, oder aber man sagt, wieso kommen wir da nicht weiter, und verzweifelt ist vielleicht falsch, aber kommt dann auch auf krumme Gedanken.
May: Herr Reul, das Problem und das Phänomen, das Sie jetzt beschreiben, ist ja nicht neu. Auch zum Beispiel, dass grundsätzlich Law and Order eine große Anziehungskraft eher für Rechte besitzt. Hat die Politik das Thema zu lange nicht ernst genommen? Hat man da zu lange nicht richtig hingeguckt?
Reul: Ich glaube, dass es ein Anziehungspunkt ist, und dass wir deswegen eher solche Leute haben, kann man in den Griff kriegen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel eingeführt, dass wir vom Verfassungsschutz alle überprüfen lassen, bevor es losgeht. Wir und auch alle anderen Länder haben ein sehr sorgfältiges Auswahlverfahren. Da schätze ich das Risiko gering ein.
Ich glaube, die Hauptbaustelle ist, im Alltag. Wir müssen uns was einfallen lassen, um Polizisten, die im Alltag ganz besondere Situationen haben, da nicht in Gefahr kommen zu lassen.
Politik – ja, ich glaube schon, dass wir das nicht ernst genug genommen haben, aber es ist auch massiv gewachsen. Das sind besonders schwere Fragen, wann hat man was übersehen.

Reul: Ausbildung braucht mehr Wertevermittlung und staatsbürgerliche Bildung

May: Und wie soll das genau stattfinden? Wie wollen Sie das konkret machen, was Sie gerade beschrieben haben, dass solche Situationen gar nicht erst entstehen?
Reul: Jedes Bundesland wird einen eigenen Weg suchen. Wir tauschen uns da jetzt zwar aus, weil es auch ein paar Sachen gibt, die man gemeinsam machen kann. Wir zum Beispiel: Ich habe ja gesagt, wir müssen bei der Ausbildung aufpassen. Wir brauchen, glaube ich, in der Ausbildung insgesamt – für uns kann ich es hundertprozentig sagen – auch mehr Themen, die mit Wertevermittlung zu tun haben, mit staatsbürgerlicher Bildung zu tun haben. Wir brauchen auf der Strecke auch im Fortbildungsbereich ein Controlling.
Wir haben bei uns einen Extremismusbeauftragten in jeder Behörde eingesetzt. Ich möchte niedrigschwellig eine Meldung haben. Und ich habe bei uns mit allen 5000 Führungskräften in Videokonferenzen getagt, weil ich einfach sage, das können wir gar nicht zentralistisch organisieren – wir haben 56.000 Leute in der Polizei bei uns –, sondern das geht nur, wenn Polizisten auf Polizisten aufpassen, wenn es normal wird, dass man sich gegenseitig einen Hinweis gibt und notfalls auch der Aufsicht, so geht das nicht weiter. Das sind, glaube ich, die elementaren Punkte.
Wir überlegen, ob wir so was wie Supervision bei uns einführen. Wir werden jetzt in einigen Pilotbehörden das machen, wo Polizei sich wenden kann oder Polizisten sich wenden können. Ich glaube, das Problem ernst nehmen, nicht negieren und kleine Schritte gehen, Schritt für Schritt.
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"Korpsgeist, wenn der richtig angewandt wird, ist super"

May: Weniger Korpsgeist beispielsweise?
Reul: Nee! Das ist eine gute Frage. Ich finde Korpsgeist, wenn der richtig angewandt wird, sogar super. Stellen Sie sich mal vor, wir kriegen es hin! Polizei hat heute den Korpsgeist, dass jeder auf den anderen aufpasst, wenn es raus in die Gefahr geht. Warum eigentlich passt Polizei nicht auf Polizei auf, wenn es in Gefahr geht, anfällig zu werden für solche rechtsextremistischen Gedanken. Ich würde das gerne benutzen als Mittel, um so einen Geist in der Polizei zu erzeugen, der bei den allermeisten übrigens da ist. Ich meine, wenn wir 56.000 Leute haben und wir haben 260 Fälle da – ist viel zu viel, aber es ist auch nicht ein riesen Problem. Das ist ein echtes Problem, was man ernst nehmen muss, denn ich kann nicht mit Leuten in die Bürgerschaft oder auf die Bürger zugehen, wo selber nicht alles klar ist.
May: Herr Reul, uns läuft schon wieder die Zeit davon. Eine Frage grundsätzlicher Art möchte ich Ihnen aber dennoch gerne zum Abschluss stellen. Es stimmt ja: Rechtsextremismus ist bei weitem nicht nur ein Problem der Sicherheitsbehörden. Was ist Ihr Eindruck? Ist die Brandmauer nach rechts, die lange stand in den letzten Jahren, insgesamt brüchiger geworden, zumindest in Teilen auch der bürgerlichen Gesellschaft?
Reul: Ja! Rechtsextremismus, Linksextremismus, Salafismus als Gefahr ist klar. Da haben wir auch einen Blick drauf. Was gefährlich ist, dass so Mischszenen sich entwickeln, dass man etwas als so nicht schlimm empfindet, kann man doch mal sagen, ich gehe bei der Demonstration mit, ich meine aber was anderes. Ich glaube, an der Stelle muss klar gesagt werden, was geht und was geht nicht. Wer irgendwas zu protestieren hat bei Corona, dann soll er es bitte tun, aber er muss dann nicht mit solchen schrägen Typen herumlaufen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.