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Rechtsextremismus in Deutschland
Wenn anonyme Kollektive Recherchearbeit übernehmen

Von "Combat 18" bis NSU - das Wissen über die gewaltbereite extreme Rechte werde in Deutschland nicht durch Medien generiert sondern durch verdeckt und anonym arbeitende Kollektive, meint Matthias Dell in seiner Kolumne. Deren kaum oder schlecht bezahlte Arbeit müsse stärker gewürdigt werden.

Von Matthias Dell |
Ein schwarz gekleideter Mann mit einem "Combat 18"-Tattoo am Unterarm läuft neben anderen Männern am 20.07.19 bei einer Demonstration von "Die Rechte" in Kassel
Die rechtsextreme Gruppe „Combat 18“ ist im Januar verboten worden (imago / Michael Trammer)
In der vergangenen Woche hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) "Combat 18" verboten. Die gewaltbereite rechtsextreme Gruppe gilt als bewaffneter Arm des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour". Seehofers Schritt wurde begrüßt, zugleich gab es auch Kritik – dass der Innenminister zu spät gegen die klandestine Organisation vorgehe.
"Die Frage, warum die Gruppe verboten werden sollte, ist längst beantwortet", hieß es etwa in einem Kommentar hier im Deutschlandfunk.
Demonstration von "Die Rechte in Kassel" mit Teilnehmer in "Combat 18"-Shirt
"Längst überfällig" - Kommentar zum Verbot von "Combat 18"
Der NSU oder der Anschlag von Halle: Der Bundesinnenminister hätte Rechtsextremismus deutlich früher als erhebliche Gefahr einschätzen müssen, meint Marcus Pindur.
Wenn man sich nun fragt, woher diese Antworten kommen, was "Combat 18" ist, wer sich dort vernetzt – dann landet man in einem journalistischen Spezialbereich.
Beobachtung der extremen Rechten geschieht durch Kollektive
Es ist nämlich nicht so, dass sich das Wissen über die gewaltbereite extreme Rechte den Titel-Geschichten des "Spiegel" verdankt. Oder aus langwierigen Recherchen anderer großer Medien stammt, die dafür einen Journalistenpreis nach dem anderen abräumen. Und es ist auch nicht so, dass Informationen über solche Gruppen nur bekommt, wer wie ein Innenminister von Geheimdiensten gebrieft wird.
Die Beobachtung der extremen Rechten geschieht in Deutschland durch Kollektive, die verdeckt und anonym arbeiten. Und die ihre Recherchen dann auf Plattformen oder in Fachmagazinen veröffentlichen, die als antifaschistisch gelten.
Die "Antifa" ist ein Reizwort in Politik und Öffentlichkeit, bei dem man manchmal den Eindruck kriegen kann, es mobilisiere stärkere und entschiedenere Abwehrreaktionen, als das die Verbrechen und Strategien von Neonazis tun – also der Leute, gegen die sich das "anti" richtet.
Viele Menschen stehen während einer Kundgebung am 1. Mai 2018 in Berlin in einer Straße. Es werden mehrere Fahnen mit dem Logo der Antifa hochgehalten. 
Mythos Antifa - Zwischen Engagement und Gewalt
Zivilgesellschaftlicher Einsatz, aber auch gewaltbereit, wichtige Quelle des Verfassungsschutzes, aber in Teilen auch "Beobachtungsobjekt": Die sogenannte Antifa hat viele Facetten.
Grundlagenforschung an der Information
Dass Rechtsextreme Stimmung gegen die Antifa machen, ist kein Wunder. Denn von dieser Seite ist nicht mit Verharmlosung, Kleinreden oder Ignoranz gegenüber rechter Gewalt zu rechnen.
Auf den Plattformen, in den Infoblättern und Facharchiven werden laufend Informationen gesammelt, die zu verstehen helfen, mit wem man es bei der gewaltbereiten Rechten zu tun hat.
Die umfassendste Darstellung zu "Combat 18" in der jüngeren Zeit wurde etwa im Sommer 2018 auf dem Portal "exif-recherche.org" veröffentlicht – ein 180.000-Zeichen-Riemen, eine Textmenge also, für die man schon ein schmales Buch bräuchte, weil sie in Zeitschriftenartikeln nicht mehr messbar ist.
Geschrieben sind diese Texte in großer Nüchternheit. Sie bilden die Wirklichkeit nicht ab durch schicke szenische Dramatisierungen, mit denen man sich für Journalistenpreise in Schale wirft. Vielmehr leben sie von Aufzählungen und Verknüpfungen – wer wann mit wem wo was gemacht hat.
Grundlagenforschung an der Information, könnte man sagen. An einem Wissen, auf das andere, professionelle Medien im Bedarfsfall zurückgreifen können.
Mutmaßlicher Mörder im Fall Lübcke war kein Unbekannter
Als im letzten Sommer Stephan E. als mutmaßlicher Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bekannt wurde, war dessen kriminelle, gewalttätige Vorgeschichte schnell abrufbar. Weil der Rechtsextremist für die antifaschistischen Rechercheplattformen und Facharchive eben kein Unbekannter war.
Wenn der Innenminister nun entschlossener gegen rechtsextreme Gruppierungen vorgehen will, dann wäre das für Medien und Gesellschaft vielleicht ein Anlass, die häufig kaum oder schlecht bezahlte Arbeit von Fachleuten zu würdigen, die für das Verständnis des deutschen Rechtsextremismus wichtig sind.
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.