Schulbeginn im Lycée Mousseron von Denain. Der Fotograf Vincent Jarousseau steht vor einer zehnten Klasse, projiziert das Titelblatt seines Fotoromans auf die Leinwand.
Drei junge Männer und eine junge Frau sind zu sehen, kaum älter als die Schüler im Saal. Die Vier gucken in die Ferne. Es ist Sommer. Blauer Himmel, Ferienstimmung. Trotzdem sehen sie skeptisch aus. Jarousseau lässt den Bildband durch die Reihen gehen.
"Ich bin Autor von zwei Fotobüchern. Dieses heißt ‚Die Wurzeln des Zorns‘, es spielt in Denain. Deshalb bin ich heute bei euch. Wer wohnt hier in Denain?"
Ein paar Schüler zeigen auf, die übrigen leben in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten. Was denkt ihr über die Stadt, in der ihr zur Schule geht?, fragt Jarousseau. Sie ist unsicher, sagt Dylan. Er sehe Betrunkene und Schlägereien. Viele Läden stünden leer. Auch für die 15-jährige Jade steht fest:
"Denain ist eine Stadt, wo man nicht hingeht. Hier gibt es viele Sozialfälle, es ist schmutzig. Denain ist echt kein guter Ort."
"Ich bin Autor von zwei Fotobüchern. Dieses heißt ‚Die Wurzeln des Zorns‘, es spielt in Denain. Deshalb bin ich heute bei euch. Wer wohnt hier in Denain?"
Ein paar Schüler zeigen auf, die übrigen leben in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten. Was denkt ihr über die Stadt, in der ihr zur Schule geht?, fragt Jarousseau. Sie ist unsicher, sagt Dylan. Er sehe Betrunkene und Schlägereien. Viele Läden stünden leer. Auch für die 15-jährige Jade steht fest:
"Denain ist eine Stadt, wo man nicht hingeht. Hier gibt es viele Sozialfälle, es ist schmutzig. Denain ist echt kein guter Ort."
Eine Stadt, die den Anschluss verpasst hat
Kein Schüler spricht positiv über die eigene Heimatstadt. Den Fotografen überrascht das nicht. Er selbst wurde auf Denain aufmerksam, als er für sein erstes Buch viele Wochen im nahe gelegenen Hénin-Beaumont zubrachte, wo der rechtsextreme "Rassemblement National" vor sechs Jahren das Rathaus erobert hat.
"Man hat mir gesagt, dass das Leben in Denain besonders hart ist. Dass hier 45 Prozent der Bevölkerung in Armut leben. Jeder Dritte ist arbeitslos. Die Menschen sterben deutlich jünger als anderswo. Ich erfuhr aber auch, dass es der Gegend nach dem Krieg richtig gut ging. Hier wurde enorm viel Kohle und Stahl produziert. Damals hat Denain zum Reichtum von ganz Frankreich beigetragen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Adieu Tristesse - Frankreichs Norden versucht den Aufbruch.
Jarousseau wollte herausfinden, wie es sich in einer Stadt lebt, die den Anschluss verpasst hat. Noch dazu unter Emmanuel Macron. Der Staatspräsident wirbt für eine "Start-up-Nation", fordert die Menschen zur Mobilität auf und vertritt die Ansicht, dass man nur die Straßenseite überqueren muss, um Arbeit zu finden.
Zwei Jahre lang hat der Fotograf jeden Monat mindestens eine Woche in Denain verbracht und sich dort mit Geduld und Takt das Vertrauen von acht Familien erworben. Von den Erwachsenen arbeiten einige und kommen knapp über die Runden. Andere leben von staatlicher Hilfe. Wie zum Beispiel Guillaume: Vincent Jarrousseau wirft das Foto eines verhärmten Mannes an die Wand. Der 44-Jährige sitzt am Küchentisch und studiert Sonderangebote. Um seine Familie zu ernähren, kauft er oft Lebensmittel, deren Verfallsdatum gerade abläuft.
Guillaume, selbst ein Heimkind und nun Alkoholiker, versuche, seine Kinder gut zu erziehen, sagt Jarousseau. Sein ältester Sohn Tanguy hat sogar das Abitur bestanden und zwei Jahre studiert.
Zwei Jahre lang hat der Fotograf jeden Monat mindestens eine Woche in Denain verbracht und sich dort mit Geduld und Takt das Vertrauen von acht Familien erworben. Von den Erwachsenen arbeiten einige und kommen knapp über die Runden. Andere leben von staatlicher Hilfe. Wie zum Beispiel Guillaume: Vincent Jarrousseau wirft das Foto eines verhärmten Mannes an die Wand. Der 44-Jährige sitzt am Küchentisch und studiert Sonderangebote. Um seine Familie zu ernähren, kauft er oft Lebensmittel, deren Verfallsdatum gerade abläuft.
Guillaume, selbst ein Heimkind und nun Alkoholiker, versuche, seine Kinder gut zu erziehen, sagt Jarousseau. Sein ältester Sohn Tanguy hat sogar das Abitur bestanden und zwei Jahre studiert.
"Die Unterschichten tauchen in den Medien fast gar nicht auf"
Die Gedanken der Protagonisten sind in Sprechblasen zu lesen. Tanguy sagt: "Ich will Arbeit finden, egal was." Ein Foto zeigt, wie der 20-Jährige Brot ausliefert, nachts, 42 Stunden pro Woche, für den Mindestlohn.
Politisch tickt er wie viele Menschen in Denain. Er sagt: "Ich habe immer für Marine Le Pen gestimmt. Macron mag ich echt nicht. Der ist nicht für uns." 57 Prozent der Wähler in Denain haben bei der Stichwahl für das Präsidentenamt 2017 für die rechtsextreme Parteichefin gestimmt.
Eine Schülerin versteht nicht, warum sich Jarousseau ausgerechnet für die Armen interessiert.
"Ich hatte große Lust, diese Geschichten zu erzählen, weil es auch für mich unbekannte Welten sind. Die Unterschichten tauchen in den Medien fast gar nicht auf, und wenn, dann ziemlich oberflächlich. Das bisschen, was in den Infosendern über Denain lief, war karikaturartig und negativ. Ich wollte diese ‚unsichtbaren‘ Menschen mit Würde behandeln."
Die Schülerin Jade zeigt auf das Titelfoto. Die junge Frau sei ihre Cousine Manon, sagt das Mädchen und lächelt stolz. "Es stimmt alles: Die Familie ist arm, sie lebt von Arbeitslosengeld. Monsieur Jarousseau will, dass sich in Frankreich was ändert."
Eine Schülerin versteht nicht, warum sich Jarousseau ausgerechnet für die Armen interessiert.
"Ich hatte große Lust, diese Geschichten zu erzählen, weil es auch für mich unbekannte Welten sind. Die Unterschichten tauchen in den Medien fast gar nicht auf, und wenn, dann ziemlich oberflächlich. Das bisschen, was in den Infosendern über Denain lief, war karikaturartig und negativ. Ich wollte diese ‚unsichtbaren‘ Menschen mit Würde behandeln."
Die Schülerin Jade zeigt auf das Titelfoto. Die junge Frau sei ihre Cousine Manon, sagt das Mädchen und lächelt stolz. "Es stimmt alles: Die Familie ist arm, sie lebt von Arbeitslosengeld. Monsieur Jarousseau will, dass sich in Frankreich was ändert."
Eine Chance für den "Rassemblement National"
Der Fotograf verbringt einen ganzen Tag in der Schule. Unermüdlich beschreibt er den täglichen Überlebenskampf einer Klasse, die eben nicht in Bewegung ist, "en marche" – nach dem Leitmotiv von Macron.
Bevor er wieder nach Paris aufbricht, kehrt der 46-Jährige in einer Brasserie ein. Der Wirt ist allein. Jarousseau zeigt ihm sein Buch. Josef Sauvage blättert es durch, liest einzelne Sprechblasen, nickt.
"Genau so läuft es in Denain: Seit 25 Jahren gibt es keine Arbeit. Eltern, Kinder – immer das gleiche Problem. Viele sind Analphabeten, sogar die Kinder. Aus denen wird nichts. Und niemand tut was, um Denain zu entwickeln."
Die Armut zeige sich im Stadtbild, sagt der Wirt. In seinem Viertel hätten von ehemals 30 Kneipen nur er und ein Wettbüro überlebt. Am Sonntag stehen Kommunalwahlen an. Der Rassemblement National hat in Denain erstmals eine Liste aufgestellt. Josef Sauvage hofft, dass die Rechtsextremen die Sozialisten aus dem Rathaus drängen werden. Die etablierten Kräfte haben auch bei diesem Wirt verspielt.
"Ich wähle seit 40 Jahren. Wir haben Sozialisten und Kommunisten erlebt, aber nie den Rassemblement National. Ich finde, diese Partei ist ein Sammelbecken für Leute aus allen möglichen Richtungen. Die sollten wir jetzt endlich mal ausprobieren."
Bevor er wieder nach Paris aufbricht, kehrt der 46-Jährige in einer Brasserie ein. Der Wirt ist allein. Jarousseau zeigt ihm sein Buch. Josef Sauvage blättert es durch, liest einzelne Sprechblasen, nickt.
"Genau so läuft es in Denain: Seit 25 Jahren gibt es keine Arbeit. Eltern, Kinder – immer das gleiche Problem. Viele sind Analphabeten, sogar die Kinder. Aus denen wird nichts. Und niemand tut was, um Denain zu entwickeln."
Die Armut zeige sich im Stadtbild, sagt der Wirt. In seinem Viertel hätten von ehemals 30 Kneipen nur er und ein Wettbüro überlebt. Am Sonntag stehen Kommunalwahlen an. Der Rassemblement National hat in Denain erstmals eine Liste aufgestellt. Josef Sauvage hofft, dass die Rechtsextremen die Sozialisten aus dem Rathaus drängen werden. Die etablierten Kräfte haben auch bei diesem Wirt verspielt.
"Ich wähle seit 40 Jahren. Wir haben Sozialisten und Kommunisten erlebt, aber nie den Rassemblement National. Ich finde, diese Partei ist ein Sammelbecken für Leute aus allen möglichen Richtungen. Die sollten wir jetzt endlich mal ausprobieren."