Vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Vorfälle in Clausnitz und Bautzen ist nach Ansicht der Linken-Abgeordneten im sächsischen Landtag, Kerstin Köditz, Selbstkritik angebracht. In den vergangenen Jahren seien viele Fehler gemacht worden, sagte sie im Deutschlandfunk. Das Problem Rechtsextremismus sei verharmlost worden. Beim Erstarken der Pegida-Bewegung habe man nicht festgestellt, dass es Rassisten seien, die auf die Straße gingen. Das Landesamt für Verfassungsschutz habe zwischen asylkritischen und asylfeindlichen Akteuren unterschieden anstatt das Problem Rassismus auf die Tagesordnung zu setzen.
Probleme bei der Polizei
Auch bei der Polizei gebe es eine Menge Probleme, so die Linken-Politikerin. Es bestehe keine Kennzeichnungspflicht für Beamte im Dienst und auch keine unabhängige Beschwerdestelle. Nach Einschätzung der Landtagsabgeordneten hat sich bei vielen Menschen über Jahre eine Menge Frust angesammelt, der sich keineswegs nur gegen Fremde und Ausländer richtet. Viele dieser Menschen kämen nicht mehr mit den modernen Entwicklungen klar. Für sie sei eigentlich nicht der Islam der Untergang des Abendlandes, sondern eher Conchita Wurst.
Das Interview in voller Länge:
Doris Simon: Am Telefon ist jetzt Kerstin Köditz, als Landtagsabgeordnete der Linken in Sachsen im Innen- und im NSU-Untersuchungsausschuss. Guten Abend.
Kerstin Köditz: Einen wunderschönen guten Abend!
Simon: Frau Köditz, nach Clausnitz und Bautzen hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich nun eingeräumt, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Erwarten Sie, dass sich nun die Politik in Sachsen ändert?
Köditz: Erwarten tue ich eigentlich schon sehr lange, dass sich in der sächsischen Politik was ändert. Aber ich habe wenig Vertrauen, denn über viele Jahre gab es Mahner, Mahnerinnen, die vor diesem Problem warnten, und sie sind nicht gehört worden.
"Ursache ist unter anderem 25 Jahre Alleinherrschaft der CDU"
Simon: Was erwarten Sie denn oder was fordern Sie, was jetzt passieren müsste?
Köditz: Zuerst müsste man den Mut haben, klipp und klar zu sagen, ja, wir haben in den vergangenen Jahren viele Fehler gemacht. Wir haben das Problem verharmlost, wir haben stattdessen auf Extremismus geschaut, ohne da genau die Inhalte sich anzuschauen. Das Thema Rassismus war nicht auf der Tagesordnung. Wir haben beim Erstarken von Pegida zuerst nur an die Sorgen und Nöte gedacht, aber wir haben nicht festgestellt, dass es dort Rassisten sind, die auf die Straße gehen. Diese Selbstkritik ist eigentlich jetzt als Erstes notwendig. Und dann ist natürlich als zweites notwendig, die gesamten Vorfälle der letzten Wochen ganz klar aufzuklären und auch juristisch vorzugehen, damit man hier sieht, dass das keine Kavaliersdelikte sind.
Simon: Frau Köditz, Sie befinden sich ja in guter Gesellschaft, wenn Sie sagen, hier wurde bei uns viel zu lange relativiert und die eigentlichen Probleme wurden nicht genannt. Warum sind die denn Ihrer Meinung nach von der Politik so lange runtergespielt worden, nicht nur in Sachsen, aber vor allem auch da?
Köditz: Sachsen fing eigentlich schon an mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der ja schon in den 90er-Jahren den Sachsen bescheinigte, sie seien immun gegen rechts, was natürlich überhaupt nicht gestimmt hat. Das Weitere ist, dass zum Beispiel unser Landesamt für Verfassungsschutz lieber nach Extremismus schaut und dann aber auf der anderen Seite sich sehr viel Mühe gibt, zwischen asylkritischen und asylfeindlichen Akteuren zu unterscheiden, statt das Problem Rassismus endlich auf die Tagesordnung zu setzen.
Simon: Aber warum ist denn das so, Ihrer Meinung nach?
Köditz: Ich sehe hier eine Ursache mit darin, dass 25 Jahre lang die CDU mehr oder weniger eine Alleinherrschaft hatte. Was bei uns Große Koalition heißt, ist aber immer ein Juniorpartner um die zehn, zwölf Prozent. Da kann ich nicht von einer Großen Koalition sprechen. Und ich glaube, innerhalb von 25 Jahren sind hier Dinge entstanden, wo es eben nicht schön ist, Probleme beim Namen zu nennen.
Simon: Aber in anderen Bundesländern ist die CDU ja nicht mit beiden Augen geschlossen gegenüber Rechtsextremismus.
Köditz: Aber da hatte die CDU immer einen starken Partner an der Seite, oder die CDU war selbst mal in der Opposition gewesen. Das sind für mich schon Prozesse, wo ich sage, hier ist etwas entstanden, wo jetzt zuerst der Schrei kommt. Der Ruf Sachsens wird geschädigt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass jetzt manche um den Ruf Sachsens sich Gedanken machen. Ich mache mir Gedanken um die Menschen, die hier leiden müssen.
"Die Menschen kommen mit den modernen Entwicklungen nicht klar"
Simon: Ist die Polizei in Sachsen ein Teil des Problems? Die sächsische Regierung und Bundesinnenminister de Maizière sagen ja nein.
Köditz: Ich sehe bei der Polizei eine Menge Probleme. Ich sehe einerseits natürlich den Stellenabbau über viele Jahre. Ich habe allerdings auch feststellen müssen, dass mit der Motivationslage vieler Beamtinnen und Beamten es unter diesen Bedingungen äußerst kompliziert ist. Und wenn darüber hinaus es auch immer mal wieder Übergriffe gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten gibt, die dann von Gericht her noch als noch verhältnismäßig eingestuft werden, dann habe ich dort auch schon ein Problem. Es gibt bei uns keine Kennzeichnungspflicht für Beamte im Dienst. Wir haben bis jetzt keine unabhängige Beschwerdestelle, wo man sich über Polizei beschweren kann. Aber auch für die Beamten selber gibt es nicht die Möglichkeit zu sagen, bei uns in der Einheit werden solche Sprüche geklopft, oder oder oder. Insofern ist natürlich Polizei hier mit Teil des Problems und gerade die Ausführungen des Polizeipräsidenten von Chemnitz, dem Herrn Reißmann, zu den Vorfällen in Clausnitz, da kann ein normaler Mensch nur mit dem Kopf schütteln.
Simon: Frau Köditz, es gibt ja relativ wenig Ausländer in Ostdeutschland, auch in Sachsen. Aber es gelingt ja auch anscheinend nicht, den Menschen vor Ort die Angst zu nehmen vor Ausländern. Wenn man sie jetzt in die rechte Ecke stellt, alle, die auch mitlaufen und auch mal mitschreien, bekommt man auch keinen Zugang. Sie sind ja auch Kommunalpolitikerin. Bekommen Sie die Leute noch in ein offenes Gespräch?
Köditz: Ich habe viele Gespräche in den letzten Monaten geführt und ich merke dort immer wieder, dass eine Menge Frust über Jahre sich angesammelt hat und das keineswegs sich nur gegen Fremde und Ausländer richtet. Ich merke bei vielen dieser Menschen, dass sie mit den modernen Entwicklungen nicht klar kommen. Ich merke es immer wieder. Für sie ist eigentlich nicht der Islam der Untergang des Abendlandes, sondern zum Beispiel Conchita Wurst.
"Wir brauchen einen neuen politischen Diskurs"
Simon: Das heißt einfach ein Unbehagen mit den Veränderungen ihrer eigenen Welt?
Köditz: Richtig. Ob es jetzt darum geht, wie die eigenen Kinder ihre Familie gründen, na ja, da muss nicht erst geheiratet werden, bevor die ersten Kinder kommen.
Simon: Na das war ja schon in der DDR manchmal so.
Köditz: Ja, das ist richtig. Aber trotzdem dieses Weltbild, Mutter, Vater, Kind, das ist natürlich bei vielen noch sehr stark verankert.
Simon: Das heißt, die Politik müsste jetzt nicht nur reagieren auf die aktuelle Situation, die Asylbewerber, die Ausländer, sondern sollte was tun?
Köditz: Ich würde schon sagen, wir brauchen einen neuen politischen Diskurs, und wir müssen ganz klar sagen, dass Menschenrechte universell sind, dass sie für alle Menschen gelten und dass wir natürlich sehen, die Welt verändert sich. Wir können die Welt nicht einfrieren und wir müssen einfach mit Veränderungen umgehen. Anders wird ein Zusammenleben der Menschen nicht möglich sein.
Simon: Kerstin Köditz war das, Landtagsabgeordnete der Linken und im Innenausschuss in Sachsen. Frau Köditz, vielen Dank für das Gespräch.
Köditz: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.