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Rechtsextremismus-Problem
"Die Polizei muss besser sein als das Spiegelbild der Gesellschaft"

Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei sieht nach der Aufdeckung rechtsextremer Polizisten-Chatgruppen akuten Handlungsbedarf. Man müsse jetzt die Mehrheit der "Verfassungspatrioten" in der Polizei stärken, sagte er im Dlf. Externe Beschwerdestellen oder Studien hält er für den falschen Weg.

Jörg Radek im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Jörg Radek
Jörg Radek ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) (Kay Nietfeld/dpa)
Bilder mit dem Konterfei Adolf Hitlers oder von einem Flüchtling in der Gaskammer – Material dieser Art fanden Ermittler auf den Mobiltelefonen von Polizeibeamten in NRW. 29 Mitarbeiter der Polizei stehen zurzeit unter Verdacht, rechtsextremes Material in Whats-App Gruppen geteilt und lange Zeit auf ihren Geräten gespeichert zu haben. Der Fall hat die Debatte über strukturellen Rechtsradikalismus in der Polizei erneut entfacht.
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Mihalic (Grüne) fordert Frühwarnsystem
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Der stellvertretenden Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek ist entsetzt über den neuen Fall, der zufällig bei einer anderen Ermittlung entdeckt wurde. Er sieht akuten Handlungsbedarf, spricht sich aber trotzdem gegen eine Studie aus, die ausschließlich den Rechtsextremismus in der Polizei untersuchen würde - wenn es dazu komme, dann müsste seiner Meinung nach der gesamte öffentliche Dienst untersucht werden. Auch Beschwerdestellen außerhalb der Polizei, die eine Ermittlungskompetenz erhalten, hält er für den falschen Weg. Er will die vorhandenen Strukturen besser nutzen, mehr Fortbildungen anbieten und sieht auch Gerichte und Politik in der Verantwortung.

Friedbert Meurer: Wird Ihnen da anders zumute, wenn Sie hören, was die Kollegen da getrieben haben?
Jörg Radek: Ich glaube, der lateinische Ausdruck ist "vomieren", um es nicht noch deutlicher zu sagen. Man muss da wirklich schockiert sein über das, was dort als Verdachtsfälle aufgekommen ist, aber wo ich der festen Überzeugung bin, dass wir hier handeln müssen. Es reicht! Das haben Sie aufgezählt, wo wir schon Fälle hatten, und da ist jetzt Handlungsbedarf, akuter Handlungsbedarf.
Meurer: Sollen die Leute entlassen werden?
Radek: Das ist die eine Möglichkeit. Wir müssen, glaube ich, ganz klar trennen hier. Wir müssen eine dienstrechtliche, eine strafrechtliche Aufklärung haben und dann muss gehandelt werden. Dann müssen Konsequenzen gezogen werden, Entfernung aus dem Dienst, denke ich, wenn sich die Verdachtsfälle bestätigen. Aber der zweite Ansatz muss doch sein, wie wir intern die Kollegen stärken, dass wir unsere Verfassungspatrioten, die wir haben – das haben wir doch bei der Hygiene-Demo in Berlin gesehen, zu welchem Einsatz Polizisten auch in der Lage sind, und das ist die Mehrheit der Polizisten und die müssen wir stärken. Da müssen unsere Ansätze drin liegen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU).
Kommentar - Viele Einzelfälle machen eine Struktur
Dass NRW-Innenminister Herbert Reul nun Bereitschaft zeigt, strukturelle Probleme zu erkennen, sei eine Chance, das Extremismusproblem bei der Polizei endlich anzugehen, meint Ann-Kathrin Büüsker.
Meurer: Nehmen wir kurz noch mal diesen ersten Punkt, die dienstrechtliche Aufarbeitung. An welchem Punkt, glauben Sie, kann man jetzt wirklich einen dieser Polizeibeamten aus dem Beamtenstatus rauswerfen?
Radek: Das müssen jetzt die Ermittlungen zeigen, wie aktiv er sich beteiligt hat an diesen Dingen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, …
Meurer: Da werden alle sagen, ich habe es nur zugespielt bekommen.
Radek: Ich habe die Möglichkeiten, über die Technik zu löschen. Ich muss so was nicht bei mir, diesen Schmutz muss ich nicht bei mir im Handy erdulden. Das kann ich löschen. Und ich kann mich auch dann daran wenden. Wenn das eine Gruppe ist, kann ich mich an denjenigen wenden, der der Admin ist in der Gruppe, und sagen, ich möchte das nicht mehr. Ich kann mich aus solchen Gruppen abmelden.
Wir sollten jetzt nicht so tun, als wenn das jugendlicher Leichtsinn ist. Ach, da hat mir jemand etwas zugespielt. Wir sind über ein Stadium hinaus, wo wir ganz klar benennen müssen, so was dulden wir nicht in der Polizei, auch nicht aus Fahrlässigkeit. Das wäre völlig falsch.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - das Dossier zum Thema (dpa / Martin Schutt)
Meurer: Diese Chat-Gruppe und die Bilder gibt es seit 2015, vielleicht sogar 2013, lese ich. Auch dieses Foto oder die Zeichnung mit dem Flüchtling in einer Gaskammer. 2013 oder 15 – warum hat das keiner gemeldet?
Radek: Das sind die Dinge, die müssen jetzt in den Arbeiten des Sonderermittlers herausgestellt werden. Ich erkenne da noch kein Strukturproblem drin, denn ich erkenne eher, dass es hier eine Ermittlung gab zu einem anderen Anlass, Geheimnisverrat, und dass man im Rahmen dieser Strukturermittlung auf diese Chat-Gruppen gestoßen ist und dann aber auch gehandelt hat und drangeblieben ist und ausermittelt hat. Und ich denke, da muss jetzt in der Aufarbeitung geklärt werden, dieser lange Zeitraum und wie man so etwas für die Zukunft verhindern kann.
"Es gibt auch Personalräte, an die man sich wenden kann"
Meurer: Beamte haben vermutlich Angst, so schnell jemanden, wie Sie das vielleicht denken werden, zu denunzieren. Sollte es eine anonyme Beschwerdestelle geben?
Radek: Ich möchte nicht, dass Polizisten in einer Behörde leben, in der sie Angst haben müssen. Ich glaube, da haben wir auch in der Polizei eine Kultur mit Stellen, an die sie sich wenden können. Es gibt arbeits- und sozial (zweiter Teil des Wortes unverständlich …Anm. d. Red.) Dienste, an die ich mich wenden kann. Es gibt auch Personalräte, an die man sich wenden kann, wenn man sich belastet fühlt. Ich glaube nicht, dass wir zusätzliche Beauftragung brauchen. Wir haben eine Gewaltenteilung …
"Es gibt hier eine ganz klare Verantwortung von Vorgesetzten"
Meurer: Sie sagen jetzt Kultur. Andere sagen Korpsgeist, und so wird es nicht gelöst.
Radek: Ich bin ein Anhänger der Gewaltenteilung. Wenn ich ein Problem habe, als Polizist, als Bestandteil der Exekutive, gibt es Möglichkeiten, dass ich mich äußern kann, dass ich mich an Vertraute wenden kann. Das muss nicht der Vorgesetzte sein, aber ich muss die Möglichkeiten haben, es auszusprechen. Eine Beauftragung beinhaltet für mich das Problem, ich verorte etwas und alle anderen müssen sich nicht mehr dafür interessieren. Es gibt hier eine ganz klare Verantwortung von Vorgesetzten. Auch die müssen sich um ihre Dienstgruppen und auch um ihre Nachgeordneten kümmern.
Gegen Beschwerdestellen mit Ermittlungskompetenz
Meurer: Das hat ja offenbar nicht funktioniert. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass es eine Beschwerdestelle ist, eine telefonische Hotline, was auch immer, außerhalb der Polizei?
Radek: Wir müssen dann klar definieren, welche Aufgaben solch eine Stelle hat. Es gibt mittlerweile in Deutschland unterschiedliche Begriffsdefinitionen für solche Beschwerdestellen und ich weigere mich dagegen zu sagen, es müssten Stellen sein, die möglicherweise auch eine Ermittlungskompetenz haben. Wir haben eine Gewaltenteilung. Dann müssen wir die Möglichkeiten haben, dass diejenigen sich vielleicht auf einer niedrigeren Ebene an die Verwaltungsgerichte wenden können, um dort die Kontrolle, die rechtsstaatliche Kontrolle über die Polizei auszuüben. Wenn die Kontrolle über die Polizei nicht funktioniert, ist das nicht unbedingt ein Problem der Polizei, sondern es ist ein Problem derer, die diese Kontrolle von der Verfassung her ausüben müssen. Das sind die Parlamente und das sind die Gerichte.
"Wir brauchen ein Lagebild Extremismus im öffentlichen Dienst"
Meurer: Man würde ja auch gerne mal wissen, was ist denn jetzt das genaue Ausmaß dieses Phänomens Rechtsextremismus, rechtsradikale Gesinnung in Polizeiköpfen. Es gibt eine große Diskussion darüber, dass es eine Studie geben soll, und der Innenminister stellt sich dagegen. Was ist denn Ihre Meinung?
Radek: Es gibt auch da verschiedene Ansätze. Der eine Ansatz ist, dass wir ein Lagebild Extremismus im öffentlichen Dienst brauchen. Da bin ich vollkommen dafür. Das muss erstellt werden. Das hat aber auch den Eindruck, dass man dabei auch nur den öffentlichen Dienst betrachtet. Wir müssen herausfinden, gibt es eine persönliche Schwäche, sich dem Rechtsextremismus zuzuneigen, oder gibt es möglicherweise Strukturen, die einem Beamten, der unbescholten ist, aber seine Maßnahmen als rechtsextrem, als rassistisch gelten lassen. Da gibt es Ansätze zu sagen, wir müssen unsere Vorschriften überprüfen, wir müssen die Belastungsmomente überprüfen, in denen die Kollegen arbeiten, um dann darauf eine Strategie anzusetzen.
Meurer: Das kann man ja alles tun. Aber warum nicht diese Studie?
Radek: Es gibt ja verschiedene Studien. Da muss man sich anschauen, welche Studie welches Ziel hat. Nur zu sagen, wir erforschen jetzt den Rassismus in der Polizei, springt für mich zu kurz.
Meurer: Die Polizei ist der Gesetzeshüter. Sie haben schon eine besondere Rolle.
Radek: Da gebe ich Ihnen recht. Aber auch das gilt für andere Teile der Verwaltung, dass sie auch eine Eingriffsverwaltung ist und dass sie auch Teil der Exekutive ist. Ich denke, wenn, dann müssen wir insgesamt den Rassismus erforschen, um dann auch zu sagen, welche Gegenstrategien können wir daraus entwickeln.
Ich bin völlig bei Ihnen. Es reicht mir nicht zu sagen, die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Auch das halte ich für eine zu kurz gesprungene Annahme. Die Polizei muss besser sein als das Spiegelbild der Gesellschaft, weil wir sind die Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols.
Demokratische Resilienz stärken
Meurer: Was schlagen Sie vor, Herr Radek, was man tun soll?
Radek: Wir müssen jetzt aufarbeiten, inwieweit wir hier in Nordrhein-Westfalen – und das werden die Kollegen in Nordrhein-Westfalen machen. Das muss geschehen. Aber das springt mir zu kurz. Ein nächster Schritt muss sein – und das kann man parallel machen und das müssen wir zügig machen -, wir müssen Fortbildungsprogramme auflegen, wo wir die demokratische Resilienz fördern, wo wir die fördern, die hier eine gute Arbeit machen in der Polizei, damit sie nicht anfällig werden für rechtsextreme populistische faschistische Parolen.
Meurer: Fortbildungsprogramme – meinen Sie damit Anti-Rassismus-Training?
Radek: Auch solche Dinge sind Bestandteil, dass wir da wirklich die Widerstandskraft der Kollegen, die in belastenden Momenten unterwegs sind, die in Einsätzen sind, wo sie traumatische Dinge erleben, dass sie das aufarbeiten können.
"Es gibt hier eine ganz klare Verantwortung von Vorgesetzten"
Meurer: Es gab ja mal die Idee, dass man mehr Beamte mit Migrationshintergrund einstellt. Das macht man jetzt seit, ich weiß es nicht, 25 Jahren. Geholfen hat es nichts?
Radek: Wir müssen sehen, dass wir in einigen Ländern Einstellungsquoten haben. Ich greife jetzt mal Sachsen-Anhalt heraus. Die haben 7,3 Prozent eingestellte Bewerber mit Migrationshintergrund und liegen damit über dem Landesdurchschnitt von Menschen mit Migrationsanteil. Als Alleinmittel, um die Polizei widerstandsfähig zu machen gegen Rassismus und Extremismus, wird es mit Sicherheit nicht reichen. Aber das zeigt ja, dass wir hier auch Schritte gehen müssen, und die werden ja auch gegangen. Die müssen nur ihre Wirkung zeigen und wir müssen vor allen Dingen Haltung zeigen in diesen Momenten.
Meurer: Haben Sie eigentlich irgendwelche Erkenntnisse, dass es eher bei einfachen Dienstgraden der Fall ist als bei höheren Dienstgraden?
Radek: An der Stelle kann ich es nicht belegen und ich würde es auch nicht so festmachen wollen. Mir ist jeder Beamte zu viel, der sich in solchen Chat-Gruppen aufhält und der hier etwas postet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.