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Rechtsextremismus
Publizist Püttmann fordert "Politik der Nulltoleranz"

Der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann hat im Dlf mehr politische Bildung sowie eine Regulierung des Internets gefordert, um der Zunahme rechtsextremer Positionen und Gewalt entgegenzuwirken. Zudem brauche es eine Politik der Nulltoleranz und eine Wertschätzung christlicher Bezüge.

Andreas Püttmann im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Porträtaufnahme des Politikwissenschaftlers und Journalisten Andreas Püttmann
Der Politikwissenschaftler, Journalist und Publizist Andreas Püttmann war Referent für Begabtenförderung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und Redakteur beim "Rheinischen Merkur" (privat)
Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann beobachtet seit drei bis vier Jahren es einen Zusammenhang zwischen rechter Rhetorik und der Zunahme von Gewalt. "Man findet immer Menschen, die bereit sind, dann auch zur Tat zu schreiten", sagte er im Dlf. Umfragen zufolge fänden mittlerweile 22 Prozent der Bundesbürger es gut, "dass es Leute gibt, die bereit sind, ihre Fäuste zu sprechen zu lassen".
"Wir haben eine Kulturkrise"
Als Ursachen für die zunehmende Gewalt macht Andreas Püttmann eine Polarisierung und Radikalisierung durch das Internet verwantwortlich. Rechtsextremisten hätten in den letzten Jahren gelernt, dieses sehr intensiv zu nutzen. Diese Entwicklung habe schon vor der Flüchtlingskrise 2015 begonnen. Aus seiner Sicht stecke Deutschland aktuell in einer "Kulturkrise", die nur durch massive politische Bildung, die Stärkung der christlichen Werte beendet werden könne. Es sei zum Teil schockierend, welche Vorstellungen manche Menschen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hätten, sagte Püttmann im Dlf.
Forderung nach Internetregulierung
Andreas Püttmann forderte im Dlf eine Politik der Nulltoleranz und eine Internetregulierung. Es könne nicht sein, dass im Schutz der Anonymität Radikalisierung stattfinde.

Das Interview in vollständiger Länge:
Jürgen Zurheide: Niemand kann mehr die Augen vor rechter Gewalt verschließen. Der Mord an Walter Lübcke hat auch all diejenigen aufgeschreckt, die bisher geglaubt haben, so etwas gibt es in Deutschland nicht. Dann gibt es rechtsterroristische Todeslisten, und fast täglich müssen wir von irgendwelchen Attacken berichten. Was ist da los in Deutschland? Darüber wollen wir reden mit Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler – einer, der übrigens nicht nur überrascht ist. Erst mal guten Morgen, Herr Püttmann!
Andreas Püttmann: Ja, guten Morgen, Herr Zurheide!
"Man findet immer Menschen, die zur Tat schreiten"
Zurheide: Seit wann verändert sich da etwas in Deutschland – Sie haben das schon vor einigen Jahren beobachtet. Seit wann beobachten Sie solche Tendenzen?
Püttmann: Die Vorbereitung dieser Gewalt sieht man eigentlich schon vor drei, vier Jahren, würde ich sagen. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen der neurechten Ideologisierung, der rechtspopulistischen Verhetzung und der Anwendung von Gewalt, weil diese geistige Vorbereitung eben Tätern die kognitive Motivation vermittelt. Etwa wenn behauptet wird, wir leben hier in einem Regime, im Merkel-Regime, wo – wie es im AfD-Programm auch heißt – ein Kartell regiert, ein illegitimer Zustand herrscht, den das Staatsvolk der Bundesrepublik beenden müssten.
Aber auch von Politiker von demokratischen Parteien von der Herrschaft des Unrechts sprechen, dann wundert es einen doch nicht, dass manche auf die Idee kommen, hier müsse man zum Tyrannenmord greifen. Also es gibt einen ganz offenkundigen Zusammenhang zwischen diesen Legitimationsmustern, die schon seit Jahren bereitgestellt werden durch öffentliche Verhetzung, und den Taten, die dann folgen. Man findet halt immer Menschen, die bereit sind, dann auch zur Tat zu schreiten, wenn sie den Eindruck haben, die Lage ist verzweifelt und wir bewegen uns auf eine Diktatur zu. Man hat in Umfragen etwa durch die Leipziger Autoritarismusstudie ja herausgefunden, dass generell schon 14 Prozent der Deutschen sagen, ich bin in bestimmten Situationen durchaus bereit, Gewalt anzuwenden, um meine Interessen durchzusetzen. Und noch mehr, nämlich 22 Prozent, finden es gut, dass es Leute gibt, die mal ihre Fäuste sprechen lassen, wenn es anders nicht mehr geht. Wir haben das hier zivilisatorisch eingehegt und auch rechtlich normiert, dass man keine Gewalt anwendet, aber das Potenzial in der Bevölkerung ist durchaus da. Und wenn dann eben politische Legitimationen zur Verfügung gestellt werden, dann gibt es eben einen kleinen Prozentsatz, der dann irgendwann auch zur Tat schreitet.
"Polarisierung und Radikalisierung wichtige Ursache"
Zurheide: Was ist die Ursache überhaupt für diese zunehmende Gewalt – die Flüchtlingskrise, oder was war der Auslöser, dass das, was Sie beschreiben, sich dann entwickeln konnte?
Püttmann: Polarisierung und Radikalisierung sind eine ganz wichtige Ursache, und die finden meines Erachtens vor allen Dingen im Internet statt. Der Verfassungsschutzbericht erwähnt das ja auch, dass die intensive Nutzung des Internets von Kurznachrichtendiensten, sozialen Netzwerken, Videoplattformen durch die Rechtsextremisten hier eine enthemmende Wirkung offensichtlich haben. Die Entwicklung hat ja schon vor der großen Flüchtlingskrise begonnen. Die AfD wurde 2013 gegründet, da war davon noch nichts in Sicht.
Meine These ist eher, dass es zwar eine Verschärfung gab durch die Flüchtlingskrise, dass diese Enthemmung und Verrohung aber bereits vorher begonnen hat, weil durch die Echokammern und Filterblasen im Internet die Leute sich gegenseitig hochjazzen, weil auch Lüge und Halbwahrheiten dort verbreitet werden, die Angst und Hass verbreiten. Wir haben wirklich, aus meiner Sicht, eine Kulturkrise und nicht nur irgendwie eine vorübergehende politische Krise, und wir müssen das in den Griff bekommen.
"Es kommt drauf an, auf wen solche Botschaften im Internet treffen"
Zurheide: Wie verändert sich der Diskurs, eben gerade durch diese Medien? Sie haben es gesagt, die Radikalisierung nimmt überall zu. Ist das allgemeingültig?
Püttmann: Natürlich nicht bei jedem. Es kommt natürlich drauf an, wie jemand sozialisiert ist, wie seine politische Bildung ist – da ist man übrigens auch in Umfragen, wenn man sich Umfragen anschaut, schockiert, welche Vorstellungen die Leute zum Teil von Rechtsstaat oder Demokratie haben. Also es kommt drauf an, auf wen solche Botschaften im Internet treffen, aber offensichtlich gibt es viele Menschen, die da tatsächlich entgleisen, weil sie weder normativ noch geistig und politisch gefestigt sind.
Püttmann: christliche Instanzen unterstützen
Zurheide: Was kann die Gesellschaft tun, wie können Reaktionen aussehen, denn Gewalt sollte nicht zum Maßstab werden – weder verbale Gewalt geschweige denn körperliche Gewalt.
Püttmann: Zunächst mal eine Politik der Nulltoleranz. Wenn man sich bei Nordkreuz etwa anschaut, wie da einige Gerichtsurteile ausgefallen sind, mit der Begründung, man könne den Täter nicht eine verfassungsfeindliche Gesinnung nachweisen, dann wundert man sich schon etwas. Dann politische Bildung: Wir müssen massiv in den Schulen die politische Bildung verstärken, die Internetregulierung auch. Es kann nicht sein, dass im Schutz der Anonymität diese Enthemmung stattfindet. Ich finde diese Diskussion, die Frau Kramp-Karrenbauer da angestoßen hat, durchaus richtig. Das heißt ja nicht, dass überall Profile mit Klarnamen versehen werden müssen, aber es ist zum Beispiel die Frage, ob man sich nicht mit seinem realen Namen anmelden muss auf einer Plattform, bevor man dort anonym agieren kann. Und auch die Stärkung der normvermittelnden Instanzen, etwa in der Jugend- und Sozialarbeit. Ein Faktor ist sicherlich auch, dass bestimmte Normen, die Walter Lübcke im christlichen Bereich verortet hat, christliche Werte, auf die er sich bezogen hat, dass die in der Gesellschaft gewertschätzt werden, und die Instanzen, die sie pflegen, auch unterstützt werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.