Archiv

Kommentar zum Rechtstrend in Europa
Abriss einer Brandmauer nach rechts

Der Wahltrend für Rechtsaußenparteien in der EU sei beunruhigend, kommentiert Christoph Schäfer. Er attestiert eine Normalisierung von Rechtsaußen-Parteien - zum Beispiel, wenn Kanzler Scholz Vereinbarungen mit der Postfaschistin Meloni trifft.

Ein Kommentar von Christoph Schäfer |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht neben Giorgia Meloni, Premierministerin von Italien, bei der Unterzeichnung des Aktionsplans zur Zusammenarbeit bei den deutsch-italienischen Regierungskonsultationen im Kanzleramt.
Deutsch-italienische Regierungskonsultationen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Italiens Premierministerin Giorgia Meloni am 22. November 2023 in Berlin. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Wer seine Hände reflexartig ins Gesicht schlägt, kann Glück und Freude ausdrücken: zum Beispiel über einen unerwarteten Wahlsieg. Genauso hat der Rechtspopulist Geert Wilders reagiert, als er die erste Hochrechnung zur Wahl in den Niederlanden sah. Mit seiner selbst ernannten Freiheitspartei PVV ist er der deutliche Wahlsieger geworden. Ein historisches Wahlergebnis für das Land.

Rechter Trend in Europa zementiert

Die Hände reflexartig ins Gesicht zu schlagen, ist aber viel häufiger ein Zeichen für Fassungslosigkeit: Und die dominiert: Weil in Europa mal wieder eine rechte politische Kraft zulegt - und den - mittlerweile normalen - Wahltrend für Rechtsaußenparteien in der EU weiter zementiert. Ausgerechnet wenige Monate vor der nächsten Europawahl. Eine beunruhigende Entwicklung. Es geht um die Normalisierung von Rechtsaußen-Parteien.
Beispiel Niederlande: Geert Wilders will jetzt Ministerpräsident werden. Er macht seit rund 20 Jahren aus seinem Hass gegen den Islam keinen Hehl, er will den Koran am liebsten verbieten und seine Partei PVV sieht im Wahlprogramm ein verbindliches Referendum über einen EU-Austritt vor. Über all das kann auch Wilders gemäßigte Rhetorik auf den letzten Metern seines Wahlkampfes nicht hinwegtäuschen.
Trotzdem oder vielleicht deshalb hat die Spitzenkandidatin der Rechtsliberalen VVD, die bisherige Regierungspartei, im Vorfeld der Wahl nicht komplett ausgeschlossen, mit Wilders gegebenenfalls zu koalieren. Eine Aussage, die dem Abriss einer Brandmauer nach rechts gleichkommt. Ein deutliches Zeichen an Wählerinnen und Wähler, dass eine Stimme für Radikale nicht nur Protest bedeutet. Nach dieser Wahl sollte das eine wesentliche Lehre für alle bevorstehenden Wahlkämpfe in Europa sein.

Worüber sich die Bundesregierung klar sein muss

Normalisierung findet aber auch andernorts statt: Bundeskanzler Scholz hat Italiens Regierungschefin Meloni in Berlin empfangen. Der Sozialdemokrat und die Postfaschistin unterzeichneten einen gemeinsamen Aktionsplan. Zur Einordnung: Eine solche dringende Vereinbarung zwischen Berlin und Rom war längst geplant - zur Regierungszeit von Melonis Amtsvorgänger Draghi. Denn in der Gruppe der drei größten EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Italien gab es bislang zwischen den Punkten Berlin und Rom keine deutliche Verbindung.
Gemeinsame Projekte sind angedacht - etwa im Bereich Energie mit dem Bau einer Gas- und Wasserstoff-Pipeline. Natürlich geht es in erster Linie endlich um die Zusammenarbeit zweier Länder, die vieles miteinander historisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich teilen. Doch die Bundesregierung muss sich mit der Unterschrift des Kanzlers unter dem Aktionsplan ständig klarmachen, mit wem sie ihn vereinbart hat: Als Italien vor einem Jahr eine rechtsnationale Koalition ins Amt wählte, war der Aufschrei in Europa groß. Zu Recht: Die siegreichen Fratelli d’Italia haben neofaschistische Wurzeln.

Vereinbarung macht Rechtsregierung nicht berechenbarer

Und ebenso gesehen werden muss die Politik von Melonis Regierung heute in Italien, die etwa Sozialleistungen kürzt und über 100.000 Menschen darüber per SMS informiert, die gleichgeschlechtlichen Eltern und deren Kindern Angst einjagt, und die Arbeit derjenigen schikaniert, die Menschenleben im Mittelmeer retten.
Der nun vereinbarte Aktionsplan macht Italiens rechtsnationale Regierung nicht automatisch berechenbarer. Besonders beim Thema Migration – das überraschend knapp angefasst wurde. Gerade in dem Punkt wäre aber das Gegenteil nötig gewesen. Die Berechenbarkeit muss im Austausch und im Streit miteinander erst eingefordert werden. Ansonsten beschränkt sich solch ein Plan nur auf eines: eine weitere Normalisierung von Rechtsaußen-Kräften in der EU.