Uli Blumenthal: Welche neuen Methoden wurden auf der Konferenz behandelt?
Michael Stang: In erster Linie geht es um biochemische Analysemethoden – vor allem genetische Verfahren sowie jene, mit denen sich stabile Isotope in Knochen und Haut nachweisen lassen. Es geht darum zu klären, unter welchen Umständen – also bei welcher Hitze – sich bestimmte Informationen noch im Körper halten, die die Rechtsmediziner untersuchen können, wenn bei einem Fundort - also nach einem Brand - unklar ist, wer dort zu Tode gekommen ist.
Knochen und Zähne von 80 Brandopfern
Blumenthal: Nun ist die menschliche DNA ein sehr fragiles Molekül, Erbinformationen zersetzen sich rasch. Lässt sich nach einem großen Feuer wirklich noch DNA aus den Brandopfern gewinnen?
Stang: Erstaunlicherweise gibt es dazu bislang nicht viele Forschungsprojekte, lediglich aus der experimentellen Archäologie sind einige Studien bekannt, aber in der Rechtsmedizin gibt es eine gewaltige Datenlücke, die jetzt ein Forschungsteam aus Texas und Arizona schließen will. Die Rechtsmediziner haben bei 80 Brandopfern untersucht, welche Extraktionsprotokolle für eine DNA-Analyse brauchbare Ergebnisse bringen – dabei wurden vor allem Knochen und Zähne untersucht. Dort ist die DNA gut eingebettet, also geschützt, und da haben sie einfach geschaut, wo sich das Erbgut noch erhalten hat.
Blumenthal: Was empfehlen diese Rechtsmediziner ihren Kollegen?
Stang: Es sind zwei Dinge: Zum einen die Quellen, an welchen Stellen im Körper die Proben für eine DNA-Analyse zu nehmen sind, das sind etwa Backenzähne, die noch nicht so abgeschliffen sind und durch den Kieferknochen auch in der Regel weniger Feuer abgekommen haben. Zudem dauert es lange bis ein Knochen - etwa der Beckenkamm - wirklich so verbrannt ist, dass alle genetischen Informatoren verloren sind. Das gilt nur für Brände in einem Haus oder Auto – bei Feuerbestattungen ist in der Regel sämtliches genetische Material verloren.
Blumenthal: Welche Methoden eigenen sich da besonders?
Stang: Die Forscher empfehlen einen Mix - einerseits sollten bestimmte sich wiederholende Sequenzen untersucht werden, so genannte Short Tandem Repeats (STR), die auch für den genetischen Fingerabdruck erhoben werden. Dann empfehlen sie die Analyse der ringförmigen mitochondrialen DNA sowie als Methode das so genannte Next Generation Sequenzing, bei dem Millionen DNA-Fragmente in einem einzigen Lauf untersucht werden. Diese Methode kommt vor allem in der Paläogenetik zum Einsatz. Ziel ist, eine Art Handbuch oder Protokoll zu entwickeln, um je nach Zustand der zu untersuchenden Leichen zu schauen, wo und wie sich genetische Informationen erheben lassen, die eine Identifizierung erlauben.
Knochen bei 200, 400, 600 und 800 Grad Celsius verbrannt
Blumenthal: Neben genetischen Verfahren wurden auch Studien zu chemischen Verfahren vorgestellt, etwa zu stabilen Isotopen. Welche Erkenntnisse können Rechtsmediziner daraus gewinnen?
Stang: Es geht etwa um ein Forschungsprojekt der Universität von Kalifornien in Davis. Dort haben die Rechtsmediziner an Knochen bestimmte Isotope untersucht, etwa Kohlenstoff oder Stickstoff. Die Verteilung der Isotope gibt Hinweise darauf, wo jemand aufgewachsen ist, wo er die letzten Monate verbracht und was er gegessen hat. Die Forschenden haben nicht nur Menschenknochen, sondern auch zum Vergleich die von Schweinen genommen, alle Isotope untersucht und dann die Knochen bei offenem Feuer bei 200, 400, 600 und 800 Grad Celsius verbrannt und geschaut, welche Informationen noch vorhanden waren.
Blumenthal: Und was sind die Ergebnisse?
Stang: Es überrascht nicht, das je heißer das Feuer war und je länger es brannte, desto mehr der untersuchen Elemente waren verschwunden, aber erstaunlicherweise gab es Unterschiede bei den Schweineknochen im Vergleich zu den menschlichen Knochen - bei den Tierknochen ließen sich manche der Isotopen schlechter nachweisen als in den menschlichen Knochen, beziehungsweise das Verhältnis der Elemente variierte stark. Das bedeutet, dass Ergebnisse aus der experimentellen Archäologie nicht direkt auf den Menschen übertragbar sind.
Blumenthal: Und was ist das Resümee der Forschenden?
Stang: Auch hier geht es darum, eine Art Protokoll zu erstellen, bei welchen Gegebenheiten sich welche Analysemethode eignet, um brauchbare Ergebnisse zu erzielen und etwa zu klären, woher eine Person, die Opfer eines Brandes geworden ist, stammt. Denn allein diese Informationen können in vielen Fällen aufschlussreich sein. Wenn man sich das Programm der Tagung anschaut, dann wird schnell klar, dass es in diesem Bereich der Opferidentifizierung großen Forschungsbedarf gibt. Zugleich wurden in den vergangenen Jahren neue und sensitive Methoden entwickelt, die auch noch aus kleinen DNA-Bruchstücken oder Isotopenresten brauchbare Ergebnisse erzielen, mit denen eine Identifizierung gelingt. Aber dafür braucht es eine evidenzbasierte Forschung und standardisierte Protokolle.