Rechtspopulistische Bewegungen haben einen gemeinsamen Nenner. Ihr Kern besteht für den Politikwissenschaftler Hajo Funke darin, sich als "das Volk" zu definieren, eine Lösung vorzugeben und die geschürten Ressentiments gegen Sündenböcke zu richten, etwa gegen Migranten und Muslime, Homosexuelle oder Geflüchtete.
Der Bewegungsforscher hat Pegida-Demonstrationen unter die Lupe genommen und 2016 das Buch "Von Wutbürgern und Brandstiftern: AfD – Pegida – Gewaltnetze" geschrieben. Unterschiedliche Haltungen und Stimmungen prägen die Bewegung, so Funke. Insbesondere zwischen ihrer Führung und den Anhängern müsse unterschieden werden:
"Zunächst diffus entstand die Pegida-Bewegung vor knapp drei Jahren. Aber inzwischen laut sehr spannender Internet-Kommunikationsanalyse oft von einem paranoiden Islamhass durchzogen, das heißt, radikalisiert. Das gilt nie für alle, das ist doch klar. Aber es gilt vor allem für die Führung, die von Rassismen nur so durchzogen ist: 'Viehzeug' – Bachmann, 'Schluchtenscheißer' – Däbritz, andere ähnlich."
Die rechtspopulistischen, teils rechtsradikalen Bewegungen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich radikalisiert. Die Pegida-Demonstrationen hätten einen neonazistischen Gewaltsaum gehabt, der noch aus den 90er-Jahren stamme und sich reaktivieren konnte. Der emeritierte Professor der FU Berlin spricht von einer Entfesselung der Gewalt.
Auch die AfD, die Alternative für Deutschland, habe sich rechtsradikal entwickelt. Das zeige der islamfeindliche Charakter ihres Programms, der völkische Nationalismus von Mitgliedern wie dem Thüringer Landeschef Björn Höcke, dessen Ausschluss derzeit zur Debatte steht, sowie die Kooperation mit der extremen neuen Rechten wie den so genannten Identitären.
Klare Trennung zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus kaum noch möglich
Die klare Trennung zwischen Rechtsextremismus, der eine Ideologie der Ungleichwertigkeit mit Gewalt verbindet, und Rechtspopulismus hält Beate Küpper zumindest empirisch nicht mehr für möglich. Menschen mit rechtspopulistischen oder neu rechten Einstellungen seien deutlich gewaltbereiter als zuvor.
"Empirisch, wenn wir uns die Einstellungsmuster anschauen, müssen wir sagen, diese Differenzierung trägt so nicht mehr: Der Zusammenhang ist eng. Befragte, Durchschnittsbevölkerung, die so ein rechtspopulistisches Einstellungsmuster haben, tendieren auch mit deutlich höherer Neigung dazu, kollektive Wut zu äußern, Verständnis gegenüber Übergriffen auf Asylbewerberheime zu äußern beispielsweise, auch selber bereit zu sein, Gewalt anzuwenden. Wir haben so eine Aussage beispielsweise, die Zustimmung zu: Man muss zur Not auch unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Hause ist. Es geht also offenbar um Status."
Die Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein zitiert die Ergebnisse der beiden "Mitte-Studien" der Friedrich-Ebert-Stiftung aus den Jahren 2014 und 2016. Diese analysieren die harten rechtsextremen Einstellungen, wie Küppers sagt, und die weichere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – neuerdings aber auch die neue Rechte, die sich über Identität und Widerstand gegen die Politik definiert.
Für 84 Prozent der Befragten, so die positive Nachricht der repräsentativen Studien, funktioniert die deutsche Demokratie gut, bereichern verschiedene kulturelle Gruppen die Gesellschaft, sind Flüchtlinge willkommen. Zugleich aber vertritt ein Fünftel der Befragten deutlich rechtspopulistische Einstellungen. Rund 40 Prozent äußern teilweise antidemokratische, ausländerfeindliche Meinungen und neu rechte Verschwörungstheorien, etwa dass die deutsche Bevölkerung durch den Islam unterwandert werde.
"Wenn wir ganz konkret fragen: Flüchtlinge, die hier leben, bedrohen meine persönliche Lebensweise, bedrohen meine finanzielle Situation. Ganz wenige, sechs sieben Prozent stimmen hier nur zu. Wenn ich etwas vager, kollektiv frage: Der Lebensstandard der Deutschen wird durch die Aufnahme von Flüchtlingen sinken, ist es ein Viertel, die hier zustimmen. Zeigen auch andere Studien: Je konkreter ich werde, desto weniger fühlen sich die Leute bedroht. Je vager ich bleibe, da greift der Rechtspopulismus ein, so ein vages Gefühl von Bedrohung zu erzeugen, das ist das Schwierige mit Fakten gegen Vorurteile an zu arbeiten."
AfD erschließt rechtspopulistisch und rechtsextrem eingestellte Wähler
Zur Begründung der Wahlerfolge von Rechtspopulisten zogen die Experten zwei unterschiedliche sozialwissenschaftliche Theorien heran. Die eine begründet den rechten Vormarsch ökonomisch: Dessen Vertreter schüren die Angst, Geflüchtete könnten den Einheimischen etwas wegnehmen. Die andere argumentiert mit sozialer Identität. Diese herzustellen und zu bewahren dient letztlich dazu, das eigene Selbst aufzuwerten und die eigene Vormachtstellung zu verteidigen.
Das Einfallstor für Rechtspopulismus identifizieren Wissenschaftler wie Beate Küpper dort, wo Menschen sich individuell schlechter gestellt fühlen, ihnen aber suggeriert wird, sie würden kollektiv als Gruppe benachteiligt, und daran seien die Ausländer schuld.
Im Unterschied zur NPD gelingt es der AfD, so ein Fazit, diejenigen, die rechtspopulistisch oder -extrem eingestellt sind und bislang die großen Volksparteien oder gar nicht gewählt haben, zu mobilisieren. Für Professor Dieter Rucht vom Institut für Protestforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ist es eine Frage der Zeit, wie lange die AfD noch eine Bewegungspartei bleibt, die sich von den Hierarchien und der Bürokratie der Altparteien abgrenzt:
"Das Dilemma besteht darin, dass man zugleich Bewegung und Partei sein will, aber dadurch in ein fundamentales Spannungsverhältnis gerät. Die Bewegungsorientierung würde bedeuten, dass man fluide bleibt, dass man relativ wenig institutionalisiert ist, dass man offen bleibt für diverse Strömungen, auch für die Widersprüchlichkeit, die da besteht. Und im Moment schafft es noch die AfD, diese Widersprüchlichkeit auch personell zu verkörpern, durch ganz unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Aussagen ihrer Vertreter, der Protagonisten."
Die AfD werde nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken, sondern sich längerfristig als Kleinpartei etablieren, ist der Soziologe überzeugt - vorausgesetzt, sie gibt ihren Status als Bewegungspartei auf und professionalisiert sich.