Rechtspopulistische bis rechtsextremistische Parteien sind seit Jahren in Europa in Parlamenten vertreten. Auch an Regierungen sind weit rechts gerichtete Parteien beteiligt. Wie ist der Rechtsruck zu bewerten – und was sagt der Erfolg der Rechtsaußen-Parteien über das gesellschaftliche Klima aus?
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In welchen Ländern sind Rechtspopulisten besonders erfolgreich?
Niederlande: Bei den Parlamentswahlen im November 2023 wurde die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders überraschend klar stärkste Kraft. Die Themen Migration und Asyl seien wahlentscheidend gewesen, sagt der Politologe Daniel Mügge. Zudem habe Wilders eine Stimmung in Teilen der Bevölkerung bedient, es gebe politische Eliten in Den Haag, „die irgendwie an uns vorbei regieren“.
Knapp sechs Monate nach der Wahl haben sich die Parteispitzen der rechtspopulistischen Partei PVV, der liberal-konservativen Partei VVD, der rechtskonservativen Partei NSC sowie der rechtspopulistischen Bauernpartei BBB auf ein Bündnis geeinigt. Viele politische Beobachter in den Niederlanden bezweifeln jedoch, dass die neue Regierung die Legislaturperiode übersteht.
Die Regierung soll sich aus Politikern und parteilosen Experten zusammensetzen. Wer die neue Regierung in den Niederlanden anführen wird, ist noch offen.
Laut Koalitionsvereinbarung strebt das Bündnis das strengste Asylgesetz aller Zeiten an und will wieder Grenzkontrollen einführen. Hinzu kommen Maßnahmen gegen ausländische Studierende. Das würde vor allem Deutsche betreffen, weil sie fast die Hälfte der Studierenden ausmachen, wie Rob Savelberg, Korrespondent der niederländischen Zeitung „De Telegraaf“ berichtet.
Italien: Seit Ende Oktober 2022 ist die Postfaschistin Giorgia Meloni von der Partei Fratelli d’Italia Ministerpräsidentin. Sie koaliert gemeinsam mit den ebenfalls weit rechts stehenden Parteien Forza Italia und Lega. In ihrer Rhetorik bedient Meloni das Narrativ der Mutter und der Christin, die gegen eine angebliche linke Vorherrschaft ankämpft. Auch Migranten werden immer wieder zum Feindbild gemacht.
Melonis Regierung versucht, die Demokratie nach ihren Vorstellungen zu ändern: Im November 2023 schlug Meloni eine Direktwahl des Regierungschefs mit einfacher Mehrheit vor. Demnach müssten Wahlbündnisse einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs aufstellen. Ein Bündnis würde dann bei der erfolgreichen Wahl seines Kandidaten automatisch 55 Prozent der Sitze in beiden Parlamentskammern erhalten. Die Opposition übte scharfe Kritik an den Plänen.
Ungarn: Ministerpräsident Viktor Orbán und seine rechtspopulistische Partei Fidesz verfolgen eine sehr konservative Familienpolitik und eine Anti-Migrationspolitik. In der sogenannten Flüchtlingskrise ab 2015 betrieb Orbán eine Diskreditierungskampagne gegen George Soros, der unter Anspielung auf sein erworbenes Vermögen und seine Herkunft als ungarischer Jude, als einflussreicher Strippenzieher der EU-Migrationspolitik verunglimpft wurde.
Zudem sucht Orbán seit vielen Jahren immer wieder die Nähe zu Russlands Machthaber Wladimir Putin. Ungarn liefert sich zudem einen Dauerkonflikt mit der EU wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit.
Deutschland: In der Bundesrepublik ist die AfD laut Umfragen von Anfang Mai 2024 zweitstärkste Kraft hinter der Union. Der Verfassungsschutz stuft die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Hans Vorländer von der Universität Dresden hat sich die AfD „ganz weit rechts“ aufgestellt, in einem „völkisch-rechtsextremistischen Spektrum“.
In Finnland regieren Rechtspopulisten mit. In Polen wurde die nationalkonservative PiS-Partei, die das Land von 2015 an regierte, zwar erneut stärkste Kraft. Weil sich jedoch kein Koalitionspartner fand, verlor die PiS die Macht an ein Bündnis unter Donald Tusk.
Das Beispiel Deutschland zeigt, dass rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien auch dort Einfluss auf die Politik nehmen, wo sie nicht an der Regierung sind. Ein anderes Beispiel ist Frankreich, wo Marine Le Pen von der Partei Rassemblement National (früher Front National) im vergangenen Jahr zwar die Präsidentschaftswahl verlor, jedoch den öffentlichen Diskurs etwa über die Migrationspolitik prägt – teils mit medialer Unterstützung. Ähnlich ist es bei den rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die nicht im Kabinett vertreten sind, aber die konservativ-bürgerliche Regierung unterstützen.
Auch außerhalb der EU gibt es in Europa starke rechte Strömungen: In Großbritannien verfolgen die seit 2010 regierenden Konservativen, denen laut Umfragen bei der nächsten Wahl eine Niederlage droht, eine immer rigidere Migrationspolitik. Die Tories hatten das Vereinigte Königreich per Referendum zum Brexit-Austritt aus der EU geführt. In der Schweiz war die rechtspopulistische SVP 2023 klare Wahlgewinnerin.
Wie sehen die politischen Aussichten für die Rechtsaußen-Parteien im kommenden Jahr aus?
2024 ist ein wichtiges Wahljahr in Europa. Am 9. Juni stehen die Wahlen zum EU-Parlament an. Die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wollen dabei die Zahl ihrer Mandate massiv ausbauen. Bei den im Herbst 2024 in Deutschland anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnte die Regierungsbildung wegen der zu erwartenden Stärke der AfD sehr schwierig werden. Vor allem in der CDU wird immer wieder über den Umgang mit der AfD diskutiert. An deren Umfragewerten hat auch die Affäre um ein Treffen in Potsdam kaum etwas geändert. Dort hatten AfD-Mitglieder mit Rechtsextremen über Massenvertreibungen aus Deutschland gesprochen.
Außerdem finden Wahlen in mehreren EU-Staaten statt. In Österreich, wo im kommenden Jahr ein neues Parlament gewählt wird, liegt die FPÖ laut Umfragen vorn. Die rechtspopulistische und EU-feindliche Partei war in den letzten 25 Jahren bereits mehrfach Teil der Regierung in Österreich – stellte aber bislang noch nicht den Regierungschef.
Was verbindet diese Parteien und wie weit rechts stehen sie?
Von „Graubereichen“ spricht die Rechtspopulismus-Expertin Paula Diehl von der Uni Kiel. Früher hätten zwischen Rechtsextremisten und konservativ-bürgerlichen Kräften Berührungsängste bestanden. „Jetzt sind diese Akteure viel näher aneinander.“ Trennlinien seien früher deutlicher gewesen.
Rechtspopulistische Parteien fungierten nun teilweise als Plattform. Gruppen, die früher nicht zusammengearbeitet hätten, fänden sich jetzt zusammen in solchen Parteien. „Das macht die Sachen so schwierig, weil die Grenzen fließend geworden sind.“ Zugleich würden Vorschläge der Rechten etwa beim Thema Migration bereits politisch „salonfähig“, sagte Diehl mit Blick auf Asylverfahren außerhalb der EU.
Die Soziologin Dorit Geva von der Central European University in Wien, die seit Jahren zu europäischen Rechtspopulisten forscht, beobachtet, dass der Rechtspopulismus weiblicher wird – und sich um ein Kümmerer-Image bemüht: „Es ist ein Trend, den Le Pen vor etwa zehn Jahren startete“, sagt sie. Sie habe das Bild ihrer Partei „schrittweise weicher gemacht, denn zu deren abstoßenden Aspekten gehörte das Macho-Image“. Meloni folge diesem Vorbild, sagt Geva: „Es geht um Sorge und Schutz, um ein mütterliches Image, verbunden mit der Politik des Wohlfahrtsstaates."
Damit werde die neue Rechte zu einer echten Konkurrenz für die bisherigen konservativen Parteien in Europa: „Es ist eine Strategie, um die Basis ihrer Wählerschaft zu erweitern. Dabei tanzen sie zwischen beiden Seiten, reden über Gott, die Familie und konservative Werte, ohne die andere Seite ganz auszuschließen.“
Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller, der an der Princeton University lehrt, sagte der „Süddeutschen Zeitung “ über Meloni: „Ihre Herausforderung ist, ähnlich wie bei Marine Le Pen in Frankreich: Wie gelingt es, die sogenannte Entdämonisierung weiterzuführen und zugleich ein rechtsradikales Stammpublikum bei der Stange zu halten? Ihre Äußerungen müssen zu diesem Zweck oft doppelt codiert sein. Das beherrscht Meloni offenbar. Zum Beispiel baut sie antisemitisch konnotierte Versatzstücke wie die Kritik am internationalen Finanzkapital sehr behutsam in ihre Reden ein.“
Der Politikwissenschaftler Cas Mudde betonte bereits vor Jahren, dass der Begriff Rechtspopulismus zur Beschreibung nicht ausreiche. Er unterteilte zwischen radikaler und extremer Rechten im Verhältnis zur liberalen Demokratie. Demnach gehören zur extremen Rechten die, die Prinzipien der Demokratie wie Volkssouveränität und Mehrheitsprinzip ablehnen. Die radikale Rechte akzeptiert demnach zwar Kernelemente der Demokratie, aber grundlegende Bestandteile wie Minderheitenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit lehnt sie ab.
Wo liegen die Differenzen zwischen diesen Parteien?
Es gibt durchaus auch Streit zwischen den rechten Parteien in Europa. So hat Frankreichs rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) die Zusammenarbeit mit der AfD im Europaparlament beendet. Anlass sind Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, der in einem Interview gesagt hatte, nicht jedes SS-Mitglied sei ein Verbrecher gewesen. Diese Aussagen wurden in Frankreich als Verharmlosung der Nazizeit interpretiert.
Bereits nach den Berichten über die "Re-Migrationskonferenz" in Potsdam hatte es Spannungen zwischen den Parteien gegeben. RN-Chef Jordan Bardella und Wahlkampfleiter Alexandre Loubet erklärten, dass trotz offener Gespräche keine Lehren gezogen worden seien. Marine Le Pen verfolgt seit Jahren einen gemäßigteren Kurs, um konservative Wähler für die Präsidentschaftswahl 2027 zu gewinnen. Sie betonte, ihre Partei habe niemals eine Politik verteidigt, die Menschen die französische Staatsangehörigkeit entziehen wolle.
Anfang Januar 2024 hatte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von „unüberbrückbaren Differenzen“ zwischen ihrer ultrarechten Partei Fratelli d’Italia und der AfD gesprochen. Für Meloni waren es damals die Beziehungen zu Russland, die eine Partnerschaft auf EU-Ebene unmöglich mache.
Diese Frage spaltet auch andere europäische Parteien. Während die deutsche AfD, die FPÖ aus Österreich und der französische Rassemblement National enge Beziehungen nach Moskau haben, gehört die PiS-Partei aus Polen seit jeher zu den härtesten Gegnern jeder Annäherung an Russland.
Wie erklären Expertinnen und Experten den Erfolg von Rechtsaußen-Parteien?
Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sind kein neues Phänomen in Europa. Politiker wie Jörg Haider und Silvio Berlusconi feierten schon in den 1980er- und 1990er-Jahren Wahlerfolge, und auch Geert Wilders ist schon seit vielen Jahren politisch aktiv. „Es ist etwas, was schon lange da ist“, sagt Paula Diehl, Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Universität Kiel. Aber es gebe „eine Gewöhnung an deren Ideologien in den letzten zehn Jahren“. Bestimmte Ideen seien mittlerweile „normalisiert“. Angesichts der jetzigen Unsicherheit wegen Krieg und Klimakrise sei das Terrain für rechte Parteien sehr lange vorbereitet worden. Diehl: „Jetzt sehen wir die Früchte.“
Der Politologe Cas Mudde beschrieb schon vor einigen Jahren eine neue Welle, die dazu führe, dass die äußerste Rechte im gesellschaftlichen Mainstream ankomme. Mit diesem Wellenmodell beschreibt die Politikwissenschaft weltweite Verschiebungen. Auch eine Analyse für die Bundeszentrale für politische Bildung attestierte unlängst eine „Verschiebung der öffentlichen Diskurse in liberalen Demokratien“.
Rechtspopulismus ist kein rein europäisches Phänomen. Ein auffälliges Indiz für mögliche politische Verschiebungen: Mehrere Regierungschefs der meisten westlichen Industrieländer sind derzeit in ihren Ländern eher unpopulär. Den weltweiten Trend zu rechten, autoritären Figuren zeigt nicht nur Ex- und Bald-vielleicht-wieder-Präsident Donald Trump in den USA, sondern beispielsweise auch der Wahlsieg des ultrarechten Ökonomen Javier Milei in Argentinien.
tei/jk