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Rechtspopulismus
"Wir haben es in ganz Europa mit einer Trendwende zu tun"

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie beobachtet in Europa eine Trendwende in der Haltung gegenüber Populisten. Die habe bereits mit der Wahl des grünen Staatsoberhaupts in Österreich begonnen und sich mit der Niederlage des Niederländers Geert Wilders fortgesetzt. Es sei wichtig, nun ein Programm für ein besseres Europa vorzulegen, sagte er im DLF.

Claus Leggewie im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie sitzt am 12.03.2013 in Köln (Nordrhein-Westfalen) bei einer Lesung seines Buches "Zukunft im Süden" im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne auf der Bühne.
    Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Mario Dobovisek: Acht von zehn Niederländern haben gestern gewählt. Die Wahlbeteiligung war hoch, nicht ungewöhnlich bei unseren Nachbarn. Ungewöhnlich waren aber die schrillen Töne im Vorfeld der Wahl, im Wahlkampf. Dennoch: Der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte wird wohl im Amt bleiben können. Einzig die Suche nach Koalitionspartnern dürfte kompliziert werden.
    Die Niederlande haben gewählt. Die schrillen Töne des Wahlkampfes von Geert Wilders haben ihm nicht gereicht, stärkste Kraft zu werden. Am Telefon begrüße ich Claus Leggewie. Er ist Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Er hat das Wirken der Populisten in Europa fest im Blick. Guten Tag, Herr Leggewie.
    "Umfragen sind nicht mehr so valide, wie sie mal waren"
    Claus Leggewie: Guten Tag, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Gehen wir noch mal einen Schritt zurück: blicken wir in die Niederlande. Haben die Populisten in den Niederlanden, hat Geert Wilders am Ende doch gewonnen?
    Leggewie: Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat sich mehr erwartet. Es wurde bis zu 31 Sitze prognostiziert. Umfragen sind nicht mehr so valide, wie sie mal waren. Die Situation hat sich geändert. Ich glaube, wir haben es auch in ganz Europa mit einer Trendwende zu tun.
    Dobovisek: Wilders hat aber vor allem eines erreicht, das können wir beobachten. Er hat die etablierten Parteien, vor allem Mark Rutte dazu gebracht, auf seinen schrillen Wahlkampf einzugehen und selbst extremer zu werden. Ist das auch ein Vorzeichen, das wir mit bedenken müssen?
    Leggewie: Ich glaube, dass die populistische Propaganda, oder ich nenne sie "autoritäre Nationalisten", dass die immer einen gewissen Wahrheitskern hat. Die Partei von Herrn Wilders hat den Namen Freiheit im Titel und ich glaube, dass sich viele Niederländer durch das angesprochen fühlen, was er unter Verteidigung der Freiheit gegen autoritäre Muslime, gegen den Multikulturalismus und dergleichen anspricht. Ich glaube, dass Populisten, wenn sie denn eine Funktion haben, die Funktion besitzen, dass sie auf Defizite der staatlichen Politik hinweisen, die insbesondere im Bereich der Einwanderung vorhanden sind. Deswegen geht man nicht auf ihre Ziele ein, das ist ein Stück weit in den Niederlanden passiert, sondern bietet andere, bessere, produktivere Lösungen an.
    "Wilders ist offen rassistisch in vieler Hinsicht"
    Dobovisek: Mark Rutte hat ja zum Beispiel einen offenen Brief geschrieben, in dem er die Einwanderer auffordert, sich gut zu verhalten, wie er schrieb. Sonst müssten sie gehen, müssten sie Holland, müssten sie die Niederlande verlassen. Ist so etwas gefährlich?
    Leggewie: Das glaube ich nicht. Ich glaube, es entspricht dem demokratischen Mehrheitsverständnis in den Niederlanden, dass Menschen, die zugewandert sind, auch bestimmte Regeln zu akzeptieren haben. Dass das bei Wilders und zum Teil auch bei Rutte propagandistisch gemeint ist, ändert nichts an dem Kern der Aussage. Es ist klar, dass Zuwanderer, Einwanderer, gerade wenn sie sich länger im Land aufhalten wollen, sich an Regeln zu halten haben. Mehr hat Herr Rutte auch erst mal nicht gesagt.
    Dobovisek: Ist weniger die Frage, was gesagt wird, sondern vielmehr, wie es gesagt wird?
    Leggewie: Ja vor allen Dingen, ob es eine konstruktive Kritik ist, die sagt, bestimmte muslimische Gemeinschaften sollten sich nicht als Parallelgesellschaften verschanzen, sondern sollten sich in eine demokratische Gesellschaft mit einem hohen Maß an Toleranz, mit einem hohen Maß an Mitmenschlichkeit einbringen. Das ist bei Wilders nicht gemeint. Wilders ist derjenige, der wie ein Biedermann tut und den Brandstifter spielt. Er ist offen rassistisch in vieler Hinsicht. Die Dinge, die er betreibt, sind nun seit 10, 15 Jahren bekannt. Es kommt darauf an, wie man es sagt, wie Sie richtig sagen. Es kommt schon darauf an, dass man eine konstruktive Lösung für die Niederlande und für Europa im Blick auf die Zuwanderung in Zukunft sich ausdenkt.
    Dobovisek: In Europa stehen ja noch weitere wichtige Wahlen an in diesem Jahr, etwa die Präsidentschaftswahlen in Frankreich und auch die Bundestagswahlen hier bei uns in Deutschland. In beiden Ländern erfahren Rechtspopulisten Zulauf, siehe Marine Le Pen oder auch die AfD hier. Sie sprechen jetzt von einer Trendwende, von einem Wendepunkt auch in dieser europäischen Haltung gegenüber Populisten. Was macht Sie da so sicher?
    Leggewie: Das hat schon in Österreich begonnen. Es gab nicht den braun-blauen Bundespräsidenten, sondern es gab ein grünes Staatsoberhaupt. Die Österreicher haben sich bereits überlegt, angesichts des Brexit und dann später auch des Trump-Wahlsieges, was eigentlich passieren kann, wenn man diese Amateure der Politik an die Macht lässt, welche destruktiven Wirkungen das hat. Ich glaube, das geht jetzt weiter. Wilders war ein Vertreter des sogenannten Nexit, des Austritts der Niederlande aus der Europäischen Union. Das wollen mindestens 80 Prozent der niederländischen Gesellschaft, im Übrigen auch der meisten anderen europäischen Gesellschaften nicht. Das heißt, hier ist jetzt eine klare Alternative zu sehen.
    Und speziell in Frankreich taucht nun ein proeuropäischer Kandidat auf, der die deutsch-französische Kooperation und den Ausbau Europas ins Zentrum rückt, und das ist sehr wichtig, dass wir gewissermaßen nicht nur angstvoll auf die Populisten schauen und auf ihren nächsten rhetorischen Ausfall oder ihre nächste Propaganda starren, sondern dass wir ein Programm für ein nicht mehr Europa, nicht für weniger Europa, sondern für ein besseres und anderes Europa vorlegen. Ich glaube, das ist in Frankreich bereits passiert, und das muss noch sehr viel stärker auch in Deutschland ins Zentrum rücken. Dann haben die Populisten keine Chance. Sie haben nie eine, wenn sie sagen, wir sind das Volk, weil sie sind nicht die Mehrheit, ganz klar, wie man jetzt wieder in den Niederlanden sieht.
    "Ich bin sehr zufrieden mit den Demonstrationen"
    Dobovisek: Haben Brexit und Trump die Vernunft zurückgebracht?
    Leggewie: Das glaube ich schon. Ich glaube, dass sich Europa klar machen muss, dass die früheren Schutzmächte, nämlich Russland und Amerika, sich gegen Europa stellen, dass sie sehr destruktiv auf unsere Gemeinschaft, unsere politische Union einwirken, und ich glaube, das wird uns in Europa insgesamt dazu bringen, jetzt Widerstand zu leisten. Ich bin sehr zufrieden mit den Demonstrationen, die es jetzt allerorts gibt, und vor allen Dingen damit, dass sehr viele Jüngere, die vielleicht die europäische Integration, die Demokratie, die Freiheit bereits für Garantien gehalten haben, dass die sich jetzt klar machen, dass man aktiv etwas zu ihrer Verteidigung tun muss.
    Dobovisek: Lassen sich die Anhänger der Populisten in Europa Ihrer Meinung nach Schritt für Schritt umstimmen, oder sind es eher die Nichtwähler und die Unentschlossenen, die jetzt aufwachen, die jetzt, wie Sie sagen, vernünftig werden?
    Leggewie: Ja. Das zeigt sich, glaube ich, in den Niederlanden. Das hat sich, glaube ich, auch in Österreich gezeigt. Die hohe Wahlbeteiligung kam hier nicht mehr den Populisten zugute, sondern denen, die sich gegen sie gestellt haben. Ich glaube aber auch, dass im Wählerpotenzial der AfD bei uns in Deutschland sehr viele sind, für die der Euro immer noch 100 Cent hat und die rechnen können und die sich ausrechnen können, was eigentlich eine zu starke Polarisierung in Deutschland bedeutet, was ein Zerfall der Europäischen Union für Konsequenzen hätte für jeden Menschen, von dem Arbeitsplatz bis zum Wohlstand, über die Freiheit bis zur Demokratie. Und ich glaube, dass an der Stelle sich viele auch im AfD-Wählerpotenzial überlegen, dass sie den Versprechungen, die da gemacht werden, nicht folgen.
    Dobovisek: Ist dieser aufstrebende Populismus in Europa dann möglicherweise am Ende sogar gut für ein gemeinsames, ein vereintes Europa?
    Leggewie: Er ist überhaupt nicht gut. Wir könnten gut auskommen ohne diese völkisch-autoritären Ideen. Aber er könnte ein Warnsignal sein. Er könnte ein Alarm- und Weckruf sein für diejenigen, die bisher die Dinge für zu selbstverständlich gehalten haben. Es kann sehr wohl sein, dass wir auch bei der AfD einen Prozess beobachten, dass sie vielleicht auf sieben, acht Prozent bei den Bundestagswahlen kommt, dass sie also schrumpfen.
    "Wir müssen ein klares emotionales Bekenntnis zu Europa ablegen"
    Dobovisek: Was muss geschehen, um diese Vernunft, wie Sie ja sagen, zu stärken, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland als auch in den anderen Ländern?
    Leggewie: Zunächst mal müssen wir ein klares emotionales, gar nicht so sehr vernunftbedingtes Bekenntnis zu Europa ablegen. Europa ist Frieden, Sicherheit, Wohlstand, und das sind alles Dinge, die heute sehr gefährdet sind. Zum zweiten müssen wir ein besseres Europa schaffen, nicht uns in unsere nationalen Wagenburgen zurückziehen, sondern in regionaler, aber auch globaler Kooperation Probleme lösen wie den Klimawandel, wie die soziale Ungerechtigkeit. Das sind Themen, von denen die AfD, Wilders und Le Pen ja nur profitieren, für die sie ja keine Lösungen anbieten. Hier muss natürlich die politische Mitte, hier muss auch Die Linke ein entsprechendes Gegengewicht leisten und sagen, was können wir denn jetzt besser machen. Ein Reformprogramm für Europa!
    Dobovisek: Sehen Sie tatsächlich das Vermögen, dieses Gegengewicht zu bilden?
    Leggewie: Das kommt sehr wesentlich darauf an, was die Zivilgesellschaft tut. Ich glaube, dass Politiker sehr vorsichtig sind, sehr taktisch umgehen, wie jetzt Rutte in den Niederlanden mit dem Rechtspopulismus, mit dem autoritären Nationalismus. Hier muss die Zivilgesellschaft Flagge zeigen. Hier muss die Mitte und Linke sie vor sich hertreiben und von denen mehr verlangen als nur Vorsicht und Rücksicht.
    Dobovisek: Aber wie gefährlich ist – und da schließt sich ein bisschen der Kreis jetzt auch zu den Niederlanden – der Aspekt, dass dann etablierte Politiker den Populisten nach dem Munde reden?
    Leggewie: Ja, das ist sehr gefährlich. Das ist zum Beispiel in Österreich auch nach der Bundespräsidentenwahl wieder passiert, indem dann der Bundeskanzler bestimmte Präferenzen, österreichische Arbeitskräfte selbst vor EU-Ausländern in Betracht zieht. Das darf nicht die Reaktion auf den Populismus sein, denen nach dem Munde zu reden oder gar deren Programm dann zu verwirklichen. Da haben immer schon in der Erfahrung, die wir in Deutschland haben, die Beobachter gesagt, dann werden die Leute möglicherweise erst recht das Original und nicht die Kopie wählen.
    "Ich finde die Alternativen, die Herr Juncker aufgemacht hat, etwas kläglich"
    Dobovisek: Also nicht über jedes Stöckchen springen?
    Leggewie: Unbedingt! Wir sollten ohnehin einen Themenwechsel machen. Die Themen, die die AfD und andere traktieren, das sind Flüchtlinge, das ist Terror, das ist der Islam. Die sind sicherlich nicht unwichtig, aber wir haben wahrlich wichtigeres in Deutschland und in Europa zu tun.
    Dobovisek: Welches?
    Leggewie: Klimawandel, gefährlichem Klimawandel vorbeugen, wir müssen uns um soziale Gerechtigkeit kümmern, wir müssen uns um mehr politische Teilhabe kümmern, wir müssen mehr Generationengerechtigkeit in unsere sozialpolitischen Programme einbauen.
    Dobovisek: Kann das ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten leisten?
    Leggewie: Das glaube ich nicht. Ich finde die Alternativen, die Herr Juncker aufgemacht hat, etwas kläglich. Er hat selber sich gewissermaßen ein wenig hinter seine fünfte Alternative gestellt, mehr Europa. Ich glaube, dass das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten uns nicht wirklich weiterhilft.
    Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie über die Konsequenzen der Wahlen in den Niederlanden. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Leggewie: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.