Die EU-Wahl hat Stimmenverluste bei den traditionellen Volksparteien und Zugewinne bei den Grünen und der AfD gezeigt. Normale Wahlergebnisse sind das nicht, räumt die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch ein und sagt: "Nein, wir sind mitten in einer Zeitenwende". Seit dem Mauerfall hätten sich sämtliche Verhältnisse auf allen Ebenen verändert. Das sei jetzt auch in der Politik angekommen und die Bedeutung der Volksparteien schwinde.
Die neue Spaltung
Sie beobachtet eine neue Spaltung der Gesellschaft in kosmopolitisch orientierte Parteien wie den Grünen und rechtspopulistischen wie der AfD. Das sei die "neue Metapolarität", die die alte Polariät zwischen konservativen und sozialdemokratischen Parteien abgelöst hätte. Dazu zählen auch neue Ungleichheitsverhältnisse. In der neuen "Weltgesellschaft und Weltökonomie" müsse man sich von alten inhaltlichen Auffassungen über Souveränität, Staat und Gesellschaft trennen.
Eine globalisierte Gesellschaft könne nicht mehr national regiert werden. Das aber hätten die Volksparteien suggeriert. "Die Nation existiert aber in dem Rahmen nicht mehr." Demgegenüber ist die Soziologin der Auffassung, wir hätten nicht mehr "nur eine Staatsbürgerschaft, sondern mehrere politische, soziale, kulturelle Staatsbürgerschaften."
In kosmopolitischen Zentren bilden sich Gemeinschaften, die nicht mehr national konnotiert sind. In diesen "Transnationalisierungsprozessen" etablieren sich neue kulturelle Muster. Es gebe die "kosmopolitischen Fraktionen der Mittelschicht, die sich nicht mehr so national orientieren."
Es gebe eine Spaltung zwischen Menschen, die die Flucht nach vorn antreten, die sich auf Vielfalt einlassen und wir haben andere, deren Identität in alten Strukturen verhaftet sind, auch weil sie dem Staat , dieser Nation viel zu verdanken haben und zur Sicherung ihrer Privilegen auf den Wohlfahrtsstaat angewiesen sind". Plötzlich aber sollen "Gruppen integriert werden, die sie als Außenseiter betrachten". Etwa Migranten.
Die Ursachen des Rechtspopulismus
Etwa vier Millionen Menschen sind aus Ostdeutschland abgewandert. Die AfD ist in manchen Landesteilen auf dem Weg zur Volkspartei. In Mobilitätsstudien zeige sich, dass sich dort Menschen konzentrieren, die vom Neoliberalismus tief getroffen sind. Sie hätten nach 1989 eine Art Schocktherapie und Entwertung ihrer Biografien erfahren. Die schwindenden Regionen seien weiterhin im Schrumpfen begriffen und der Anteil der sozial Abgestiegenen groß.
Während eine kosmopolitische Klasse von Öffnung, diversity und Vielfalt spreche, seien die anderen befremdet über deren "exzentrischen Lebensstil". Das Mokieren über Transgender oder vegane Lebensweise zeige, dass sich eine früher stilbildend gewesene Schicht "an den Rand gedrängt fühlt". Das nutze die AfD. Die kosmopolitische Klasse bestimme, "was wir nicht sagen sollen, dass wir nicht rauchen sollen, gendergerecht sprechen sollen und wie wir essen sollen. Das wird als Herrschaftsinstrument wahrgenommen", so die Soziologin.
Cornelia Koppetsch nennt drei Gründe für das Entstehen populistischer Parteien. Erstens: Persönliche Krisen, Kränkung, Zurücksetzung, Frustation, sozialer Abstieg. Zweitens: Gesellschaftliche Krisen wie die Finanzkrise. Und drittens: Legitimationsverluste der öffentlichen Ordnung wie sie durch die kosmopolitischen Bürgerlichen vorangetrieben werde. Es fühlten sich nicht mehr alle aufgehoben in der Gesellschaft, und die "destruktiven Kräfte nehmen an Fahrt auf". Die Menschen seien aus der heilen Welt ausgebrochen. Das müsse nicht schlecht sein. Alle seien nun aufgewacht und es "gibt ein reges Diskutieren." Auch die jüngeren Leute sind dabei, wie die Diskussion um das Rezo-Video zeigt. "Wir sind aus der politischen Lethargie erwacht."
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