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Rechtsruck in Israel
"Wir müssen im Sicherheitsrat als Stimme des Völkerrechts auftreten"

Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich hat sich besorgt über den Wahlerfolg rechter Parteien in Israel gezeigt. In der Freundschaft mit Israel gelte es nun, klare Worte zu sprechen - insbesondere bei völkerrechtlichen Fragen wie der Ankündigung, Teile des Westjordanlands zu annektieren.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Peter Sawicki |
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im Bundestag
"Völkerrecht steht über der Frage der Staatsräson", sagte Rolf Mützenich über den Umgang mit Benjamin Netanjahus neuer Regierung (Imago/ Schicke)
Peter Sawicki: Es könnte demnächst Historisches passieren in Israel. Wenn Benjamin Netanjahu als Premierminister weitermacht, dann wird er im Sommer der Regierungschef mit der längste Amtszeit seines Landes jemals sein. Nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen in dieser Woche spricht auch einiges dafür, dass es so kommt. Netanjahus Likud-Partei ist stärkste Kraft. Noch wurde er nicht offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt. Im Hintergrund laufen aber schon längst Gespräche über eine mögliche Koalition, zu der auch religiöse und extremistische Parteien, so wie es Beobachter nennen, dazugehören könnten. Wie sollte Berlin mit einer möglichen Rechtsaußenregierung in Israel umgehen – darüber sprechen wir jetzt mit Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker. Schönen guten Morgen, Herr Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Sawicki!
Sawicki: Wie weit ist Israel nach rechts gerückt?
Mützenich: Ich glaube, sehr deutlich, und das müssen wir in Europa, aber natürlich auch die deutschen Außenpolitik zur Kenntnis nehmen. Es sieht danach aus, dass zwar die neue Rechte es nicht geschafft hat, über die Hürde von 3,25 Prozent zu kommen, das heißt aber nicht, dass nicht eben viele andere extremistische rechte Parteien, Siedlerparteien, die sehr stark die Annexion besetzter Gebiete auch im Programm haben, wahrscheinlich Teil der Regierung werden und auch Entsprechendes von Netanjahu als Premierminister fordern werden.
Sawicki: Macht Ihnen das Sorgen, dieses Ergebnis?
Mützenich: In der Tat. Es ist etwas, was wir seit längerer Zeit beobachtet haben, was wahrscheinlich auch mit der Veränderung der Bevölkerung, mit der Zuwanderung nach dem Ende des Kalten Krieges zu tun hat, aus der ehemaligen Sowjetunion, Wählergruppen, die auch dort sehr stark nach politischer Partizipation, aber eben auch eine Einstellung gegenüber Minderheiten, in das israelische politische System gekommen sind, und das muss Sorgen machen. Es wird wahrscheinlich auch gerade für die Bundesregierung zu schwerwiegenden Entscheidungen, insbesondere aber auch Äußerungen in der nächsten Zeit kommen, weil wir sind ja immerhin auch Mitglied des Sicherheitsrates.
"Eine in manchen Formen akzeptierte Korruption"
Sawicki: Darüber können wir gleich sprechen. Dieser polarisierende Wahlkampf, den es gegeben hat und dieses Ergebnis, warum ist das auf fruchtbaren Boden gefallen in der Gesellschaft?
Mützenich: Ich glaube, es hat viel mit der Veränderung der politischen Diskussion in Israel zu tun, mit den Medien, aber auch mit einem Regierungschef, der nicht in der Lage gewesen ist, in der Vergangenheit unterschiedliche Denkrichtungen zu akzeptieren. Wir leben ja ohnehin in einer Zeit, wo gerade im Nahen und Mittleren Osten einschließlich in Israel bestimmte Gruppen auch diskriminiert werden und wo natürlich auch das Gewaltumfeld – das darf man nicht außer Acht lassen, unmittelbar an den israelischen Grenzen wird Krieg geführt –, natürlich auch auf den innenpolitischen Diskurs Einfluss haben.
Sawicki: Und die Korruptionsvorwürfe, die es gibt gegen Netanjahu seit langer Zeit und die sich ja jetzt erhärten, es könnte eine Anklage gegen ihn geben – warum hat das bei seinen Unterstützern offenbar keine Rolle gespielt?
Mützenich: Es ist natürlich schwer, in jeden einzelnen Kopf am Ende zu schauen, aber leider gibt es – das ist zumindest meine Beobachtung – auch gerade in den Kreisen, in denen Netanjahu in der Vergangenheit, aber auch jetzt, offensichtlich wieder unterstützt haben, eher etwas, das kann man vernachlässigen. Wir haben es ohnehin teilweise auch mit einer in manchen Formen akzeptieren Korruption zu tun. Man meint ja auch, damit würde im Grunde genommen auch die Person Netanjahu erst richtig zur Geltung kommen. Das sind, glaube ich, Diskussionen, die wir hier gar nicht akzeptieren könnten in einem System, was Korruption ablehnt, was eben auch strafbewährt wäre. Hier werden wir sehen, ob es im Sommer auf der einen Seite zu einer Eskalation mit dem obersten Gerichtshof kommt und ob eben Parteien bereit sind, ein Immunitätsgesetz zu machen, um Netanjahu zu schützen.
Sawicki: Und abgesehen von den Korruptionsvorwürfen hat er ja offenbar auch einiges richtig gemacht, und er hat ja inhaltlich gewisse Punkte gesetzt. Womit hat er dann wiederum die Anhänger, die Leute, die für ihn gewählt haben, überzeugt?
Mützenich: Wir haben in den letzten Wochen gesehen, er hat wieder das alte Motiv gerade der Sicherheit Israels in den Vordergrund gestellt, obwohl eigentlich – und das haben ja die Demonstrationen vor einigen Jahren auch gezeigt – gerade junge Menschen um preiswerten Wohnraum demonstriert haben, die Frage von Kinderbetreuung, also alles soziale Fragen, die in einer Gesellschaft, die durchaus insgesamt reich ist, wo es aber auch Armut gibt, dass das nicht zu den beherrschenden Themen geworden ist. Das hat ja auch der Spitzenkandidat von Awoda, der Arbeiterpartei, auch bemängelt, dass es nicht gelungen ist, eigentlich das innergesellschaftliche Thema in den Vordergrund zu bringen, sondern allein wieder das Sicherheitsthema.
Völkerrecht steht über der Frage der Staatsräson
Sawicki: Und dazu gehört auch die Ankündigung, Teile des Westjordanlands zu annektieren. Wie würde die Bundesregierung, wie müsste sie damit umgehen, wenn das wirklich umgesetzt wird?
Mützenich: Das ist eine dramatisch Ankündigung, die auf – und das ist etwas, glaube ich, auch vergessen worden –, darauf gefolgt ist, dass die Präsidentschaft Trumps, Trump selbst Jerusalem als Hauptstadt anerkannt hat, auch die möglicherweise Annexion der Golanhöhen in den Vordergrund noch kurz vor dem Wahlkampf gestellt hat, und alles das sind Folgen wahrscheinlich auf ein Plan, den Kushner im Auftrag von Präsident Trump in den nächsten Wochen auch kundtun wird. Wir befürchten, dass gerade die Frage der besetzen Gebiete, der Annexion, im Vordergrund auch dieser Fragen stehen wird. Scheinbar wird darüber diskutiert, ob im Sinai mithilfe der ägyptischen Regierung der Gazastreifen erweitert werden könnte, aber das Jordantal wird mit Sicherheit umstritten sein, und das wird die Bundesregierung durchaus in Konflikte stürzen. Da wird man sehen, ob der Begriff, den die Bundeskanzlerin der Staatsräson eingeführt hat, hilft bei der Bewertung oder eben nicht genau das Völkerrecht beachtet werden muss. Ich finde schon, Völkerrecht steht über der Frage der Staatsräson, und das müssen wir sehr deutlich machen.
Sawicki: Erwarten Sie von der Bundeskanzlerin, dass sie das so formuliert, wenn es dazu kommt zu diesen ganzen Umsetzungen?
Mützenich: Ich bin mir nicht sicher, weil die Bundeskanzlerin auch manchmal sehr impulsiv, obwohl man das gar nicht glaubt, auch dann reagiert, aber die Rede von ihr 2008 in der Knesset, dass die Staatsräson die Leitlinie für die deutsche Politik ist, ist nach meinem Dafürhalten – und da haben auch viele in der Vergangenheit immer mal wieder drauf hingewiesen – in Israel vollkommen missverstanden worden als wenn wir alles mitmachen. Ich glaube, das können wir nicht, weil es eben, wenn es zur Annexion kommt, eine völkerrechtswidrige Maßnahme wäre, die gerade, wenn wir im Sicherheitsrat sind, auch dazu führen müsste, ähnlich wie 2011, noch mal vonseiten Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, als wir damals mit dabei waren, auch die Siedleraktivitäten und insbesondere die Frage der besetzten Gebiete zu kritisieren. Das müssen wir in der Koalition auch sehr deutlich machen.
Sawicki: Und wenn man jetzt annähme, man würde vonseiten der Bundesregierung das Völkerrecht über diese Staatsräson-Doktrin stellen, was würde das praktisch bedeuten?
Mützenich: Das würde praktisch bedeuten, dass wir die israelische Regierung, natürlich insbesondere, wenn es der Kushner-Plan so ist – wir spekulieren ja noch sehr stark –, kritisieren müssten. Wir müssten versuchen, Partner für diese Kritik auch zu finden, wo ich glaube, dass sie auch in Europa immer noch zum großen Teil vorhanden sind, aber wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch endlich dafür sorgen, dass die palästinensische Seite, die Fatah, aber Teile auch von Hamas bereit sind, immer noch den Weg der Zweistaatenlösung zu gehen. Wir haben ja auch ein System gerade in den palästinensischen Gebieten, wo wir überhaupt nicht mehr der Überzeugung sein können, dass bestimmte Akteure, die eben Wahlen bisher verweigert haben, noch legitimiert sind vonseiten auch des palästinensischen Volkes. Auf der anderen Seite müssen wir klarmachen, dass die arabische Minderheit in Israel volle Rechte auch in Israel haben muss.
Kein Mangel an Plänen, sondern an politischer Bereitschaft
Sawicki: Das heißt, Kritik nur rhetorisch?
Mützenich: Nicht rhetorisch, sondern insbesondere mit diplomatischen Maßnahmen in der Europäischen Union. Ich will daran erinnern, die Europäische Union hatte mal einen Beschluss gefasst und auch das Europäische Parlament in den besetzten Gebieten, bestimmte Transfers von Geldern für wissenschaftliche Einrichtungen nicht mehr zu gewähren, und das werden wir nur in einem europäischen gemeinsamen Konzert auch machen können, und das muss die Bundesregierung erreichen. Aber dann, wenn es eben auch im Sicherheitsrat zur Kritik möglicherweise an den Dingen, die ich vermute, die andere vermuten, kommt, müssen wir auch im Sicherheitsrat sehr stark als Stimme auch des Völkerrechts dort auftreten.
Sawicki: Wäre das auch eine Maßnahme, einen eigenen Nahost-Friedensplan vorzulegen in Konkurrenz sozusagen zu dem US-Friedensplan, der vorgelegt werden soll?
Mützenich: Herr Sawicki, ich finde, es gibt so viele Pläne, die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten für den israelisch-palästinensischen Konflikt ausgeführt worden sind. Es mangelt nicht an Plänen. Es mangelt letztlich an der politischen Bereitschaft, oft auch auf vielen, auf beiden Seiten, zu einer Regelung zu kommen. Wir sehen ja, im Grunde genommen wird das Ganze jetzt unter dem Fokus nur noch betrachtet der Auseinandersetzung der USA, aber auch Israel mit dem Iran. Saudi Arabien hat andere Positionen, scheint auch die palästinensische Frage zur Seite zu legen. Aber ich will davor warnen, in den Gesellschaften der arabischen Welt – das haben wir in den letzten Jahren gesehen –, wenn politische Überzeugungen auch auf die Straße gebracht werden, möglicherweise auch das Thema Israel, Palästina, das der besetzten Gebiete, auch wieder ein Thema, was zu Explosionen in der arabischen Welt führen könnte.
Sawicki: Und was würde das für die Region bedeuten, wenn es zu diesen Annexionen käme, über Israel hinaus?
Mützenich: Ich glaube, eine große Belastung, eine auch Delegitimierung von Friedensbemühungen, die eigentlich auch ein Korsett der transatlantischen Beziehungen in der Vergangenheit gewesen sind, aber es könnte durchaus eben auch sein, dass wir – und wir haben Intifadas erlebt, aber möglicherweise auch andere Auseinandersetzungen … Es kann auch dazu kommen, dass zum Beispiel das jordanische Königshaus massiv unter Druck gerät auch durch Demonstrationen in Jordanien selbst, wenn eben bestimmte Gebiete auch vonseiten Israels dann mithilfe der Pläne der Trump-Administration annektiert werden. Alles das sind Fragen, die wahrscheinlich in den nächsten Monaten zu schwerwiegenden Belastungen in der Region, aber, ich glaube, auch in der internationalen Politik führen werden.
Sawicki: Und sind das Sachen, die man Benjamin Netanjahu, die man der israelischen Regierung beziehungsweise der potenziellen, so gegenüber formulieren muss direkt?
Mützenich: Ich glaube, man muss deutlich formulieren, weil auch die israelische Regierung aus der Vergangenheit – und wir haben ja am Anfang gesagt, möglicherweise werden ja noch viele anderen Parteien in dieser Regierung sein – ja auch eine deutliche Sprache sprechen. Ich finde schon, zu einer Freundschaft mit Israel, die aus der historischen Verantwortung kommt, gilt auch, klare Worte zu sprechen, aber eben auch zu zeigen, dass wir, insbesondere wenn es um die Fragen von Völkerrecht geht, und das müssen wir ja selbst alleine wegen der Frage der Krim und anderer Dinge, die immer wieder mit dem Völkerrecht auch diskutiert worden sind, müssen wir da prinzipientreu sein, und das wird schwer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.