"Die Italiener sind Rassisten. Es hat keinen Sinn dieser Aussagen zu widersprechen. Die aktuellen Fakten sprechen doch für sich. Was hier geschieht, ist Rassismus den anderen gegenüber." Der italienische Krimi-Autor Andrea Camilleri ist wütend und besorgt. Denn die anderen, das sind die Einwanderer, die die neue Regierung am liebsten ins Meer werfen würde.
Italien, so Camilleri, befinde sich auf einem gefährlichen Weg in eine seiner Meinung nach düstere Zukunft: "Ich will keine Vergleiche ziehen mit vergangenen Epochen. Jedoch existiert in Italien ein Konsens gewissen extremistischen Positionen gegenüber, der mich sehr an jenen Konsens erinnert, den ich als Kind 1937 im Faschismus empfand. Wir nähern uns gerade derselben Form von Konsens an. Hier taucht die schlechteste Seite der Italiener wieder auf."
Dass es sich bei Andrea Camilleri nicht um einen nostalgischen Alt-Linken handelt, der vergangenen Zeiten nachtrauert, beweist die Vielzahl kritischer, besorgter und auch entsetzter Stimmen italienischer Kulturschaffender, die wie er denken. Wie etwa Roberto Saviano, investigativer Anti-Mafia-Journalist und Buchautor: "In Italien gibt es heute keinen ideologischen Gegensatz mehr zwischen Links und Rechts, sondern es gibt ein politisches Denken, das sich als dominant empfindet. Das ist auch ein großes kulturelles Problem."
Intellektuelle werden zu Landesverrätern
Ein Gespenst geht um unter Italiens Kulturschaffenden. Es heißt Neue Rechte, und meint eine Politik und ein Denken, das - wie in Polen, Ungarn, wie in den USA und auch in Österreich – den demokratischen Diskurs zugunsten populistisch-vereinfachender, ziemlich rechtsradikaler und entschieden ausländerfeindlicher Positionen beeinflusst. Eine immer bedrohlicher werdende Realität, so Savino, in der Andersdenkende inzwischen wieder als "Feinde des Volkes" verunglimpft werden, so wie es etwa der italienische Innenminister Matteo Salvini macht.
Italiens neue Rechte sieht in Intellektuellen und Kulturschaffenden, die ihre Stimmen gegen die aktuelle gesellschaftspolitische und kulturelle Entwicklung erheben, Landesverräter. Damit sind Schriftstellerinnen wie Dacia Maraini, Komiker wie Roberto Benigni, Filmemacher wie Nanni Moretti und viele andere gemeint.
Der Journalist Paolo Berizzi, bei der Tageszeitung "La Repubblica" für Italiens Neue Rechte zuständig, hat erst kürzlich ein aufsehenerregendes Buch mit dem Titel "NazItalia - Reise in ein Land, das sich als faschistisch entdeckt" vorgelegt: "Der Faschismus von heute hat nichts mehr mit Mussolinis Schwarzhemden zu tun. Der neue Faschismus will die Italiener vor der Flut der Einwanderer beschützen, die ihnen, so heißt es, Arbeit und Sozialleistungen stehlen. Er will die Bürger vor bösen Ausländern bewahren, deshalb gibt es ja immer öfter rechtsradikale Wachleute an Stränden, in Zügen und Bussen."
Bekenntnis zum Faschismus
Berizzi berichtet auch von rechtsradikalen Kulturzentren wie der Casa Pound in Rom, wo zum Beispiel Kurse zu jenen Seiten aus Martin Heideggers Schriften angeboten werden, die offen und positiv Nationalsozialismus und Antisemitismus thematisieren. Kurse, die guten Zulauf haben.
Agostino Di Giacomo von der ultrarechten Casa Pound in Rom: "Wir beziehen uns auf eine Geschichte und auf Denker, die unserer Meinung nach das starke Individuum des europäischen Menschen verteidigen, gegen Eindringliche, die unsere Identität und Kultur verwässern wollen. Wir verschweigen nicht, dass wir eines sind und bleiben: Faschisten. "
Italiens linke Kulturszene hat noch keine klare, einheitliche Linie als Reaktion auf die rechten bis rechtsradikalen Trends in der italienischen Gesellschaft gefunden. Noch hat sie sich nicht organisiert. Vielmehr scheint sie derzeit in einer Schockstarre gefangen zu sein. Dass vor allem der scharfrechte Kurs von Innenminister Salvini Umfragen zufolge auf immer mehr Zustimmung stößt, schockiert die Intellektuellen. Angesprochen auf Salvinis Partei Lega Nord schließt Andrea Camilleri seine inzwischen fast blinden Augen, schweigt einen Moment und sagt dann mit leiser Stimme: "Italien macht mir Angst".