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Rechtsstaatsmechanismus
Schonfrist für Ungarn und Polen

Im Streit um die Blockade des EU-Haushalts und der milliardenschweren Corona-Hilfen hat Deutschland mit Ungarn und Polen einen Kompromiss ausgehandelt. Doch der Deal könnte die Rechtsstrafen stark verzögern.

Von Paul Vorreiter |
Mateusz Morawiecki (r), Premierminister von Polen, trägt einen Mundschutz und begrüßt Viktor Orban, Premierminister von Ungarn, ebenfalls mit Mundschutz.
Der Start des neuen Verfahrens zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen in der EU könnte sich durch den von der Bundesregierung vorbereiteten Deal mit Ungarn und Polen deutlich verzögern (AP/Czarek Sokolowski)
Der Kompromissvorschlag zum Rechtsstaatsmechanismus soll die Blockade des EU-Haushaltes lösen und den Weg frei machen für den Corona-Hilfsfonds, vor allem aber dafür sorgen, dass der EU-Gipfel nicht schon zu Beginn zum Reinfall wird. Denn ohne Geld ergibt es auch kaum Sinn, über ein höheres Klimaziel zu entscheiden, denn das kostet schließlich auch Geld.
Ungarns Premierminister Viktor Orban mit einer schwarzen Corona-Maske.
EU-Rechtsstaatsmechanismus - Zerbrechliche Werteunion 
Jahrelang haben Ungarn und Polen beim Thema Rechtsstaatlichkeit taktiert. Durch den Rechtsstaatsmechanismus soll ein Verstoß gegen bestimmte Werte der EU finanziell geahndet werden. Doch beiden Länder nutzen jetzt ihr Veto beim Corona-Hilfspaket als Druckmittel. Wie konnte es so weit kommen?
Der von der deutschen Ratspräsidentschaft erarbeitete Kompromiss sieht Folgendes vor: Polen und Ungarn soll ein Zusatzprotokoll versichern, dass der Mechanismus wie vorgesehen nur im Zusammenhang mit EU-Geld und nicht willkürlich gegen die Länder eingesetzt wird. Also nicht, um sie zum Beispiel zu einer migrationsfreundlichen Politik zu zwingen, wie etwa Ungarn behauptet hatte. Ebenso soll davon abgesehen werden, den Mechanismus einzusetzen, bevor der Europäische Gerichtshof ihn für rechtskonform erklärt hat. Diese Prüfung nimmt allerdings etwa zwei Jahre in Anspruch, so lange blieben Polen und Ungarn also verschont.
Nicht rechtsverbindlicher Zusatztext
Der nicht rechtsverbindliche Zusatztext erlaubt es, den Rechtstaatsmechanismus selbst so zu lassen wie er ist. Das EU-Parlament zeigt sich nämlich nicht bereit, ihn aufzuschnüren. Dort trifft der Vorschlag jedoch dennoch auf Skepsis, zum Beispiel beim Grünen-Haushaltspolitiker Rasmus Andresen. "Der Teufel steckt bei solchen Themen oftmals im Detail und deshalb werden wir uns als EU-Parlament die Zeit nehmen uns die Erklärung juristisch und politisch nochmal ganz genau durchzulesen."
Vorbehalte bei den Niederlanden, Belgien und Dänemark
Falls sich die Mitgliedsstaaten auf den Kompromiss einigen. Denn das ist noch unklar. Bei dem gestrigen Botschaftertreffen hatte es offenbar Vorbehalte bei den Niederlanden, Belgien und Dänemark gegeben. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner begrüßt, dass der Kompromiss zwar erstmalig einen Rechtsstaatsmechanismus etablieren würde, kritisiert jedoch die implizierte Schonfrist, "da so in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht damit zu rechnen ist, dass der Mechanismus in Gang gesetzt wird und Orbán so ungeschoren davon kommt, denn er kann jetzt die EU-Gelder nutzen vor seiner nächsten Wahl, die 2022 ansteht."
"Orbán macht sich mit EU-Geldern die Taschen voll"
Die Europaparlamentarierin Katarina Barley (SPD) hat die EU-Kommission aufgefordert, konsequenter und schneller gegen die Rechtsstaatsverstöße in Polen und Ungarn vorzugehen. "Orbán gehört zu den korruptesten Regierungschefs der EU", sagte sie im Dlf. Es müsse jetzt gegengesteuert werden.
Gelder nutzen, die beispielsweise aus dem geplanten Übergangsfonds fließen sollen an Regionen, die von fossilen Energien wegkommen sollen damit so die EU ein höheres Klimaziel 2030 erreicht. Mindestens 55 Prozent weniger sollen sein es im Vergleich zu 1990, statt bislang der nur beschlossenen 40 Prozent, wobei es sich um ein Nettoziel handelt, das den positiven Effekt der Co2-Entnahme durch Senken berücksichtigt. Das EU-Parlament hatte sich für 60 Prozent Reduktion ausgesprochen, ebenso die Nettokalkulation wieder gestrichen.
Auch Sanktionen gegen die Türkei sollen ausgeweitet werden
"Ich halte es für besonders wichtig, dass der Rat im Gegensatz zum Parlament auch das Potenzial der C02-Senken anschaut. Hier hat das Parlament im Übereifer einen wichtigen Vorschlag beiseite gestellt. Und das muss jetzt der Rat korrigieren", hofft der CDU-Abgeordnete Peter Liese. Sollte die Tagesordnung wie vorgesehen angenommen werden, dann werden die Staats- und Regierungschefs- und -chefinnen an ihrem ersten Gipfeltag noch darüber beraten, ob die Sanktionen gegen die Türkei aufgrund des Erdgasstreits im östlichen Mittelmeer ausgeweitet werden.
"Bei der Ratssitzung sind allenfalls symbolische Entscheidungen mit Blick auf die EU-Türkei-Beziehungen zu erwarten. Ein umgehender Stopp von Waffenexporten wäre aber notwendig, denn wir wissen, dass die MHP-AKP-Koalition nicht nur nationalistische Stimmung im Inneren schürt, sondern auch außenpolitisch an vielen Konflikten beteiligt ist und Kriege schürt", sagt die Linken-Europaabgeordnete Özlem Demirel.
Sie und eine Gruppe von gut 50 deutschen und griechischen Abgeordneten fordern in einem Brief an Kanzlerin Merkel die sofortige Aussetzung deutscher U-Boot-Lieferungen an die Türkei. Der erste Gipfeltag verspricht lange zu werden. Wie nach der Wahl von Joe Biden bei der Präsidentenwahl die Beziehungen zu den USA wieder verbessert werden können, steht ebenso auf der Agenda, wie das alles beherrschende Thema: Die Corona-Krise. Die Staats- und Regierungschefs wollen sich
vor allem mit Blick auf die erwarteten Impfungen abstimmen.