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Rechtswissenschaftler
Bundestags-Hauptausschuss ist "eine Art Politbüro"

Der vom Bundestag eingesetzte Hauptausschuss sei zwar nicht verfassungswidrig, sagt der Rechtswissenschaftler Martin Morlok. Er müsse jedoch eine Notlösung bleiben, da er die Parlamentsarbeit schwäche.

Martin Morlok im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Es wurde ja gestern auch noch mal bekannt gemacht: Erst nach der SPD-Mitgliederbefragung sollen die Verteilung und der Zuschnitt der Ministerien einer neuen Bundesregierung bekannt gegeben werden, immer vorausgesetzt, die SPD-Basis stimmt zu. Und auch die Fachausschüsse des Bundestages sollen nach dem Wunsch der Mehrheit von Union und SPD erst dann gewählt werden. Die Arbeit des Bundestages beruht aber zu einem Großteil auf Ausschussarbeit, und deshalb haben sich Union und SPD nun darauf verständigt, für eine Übergangslösung nur einen Ausschuss zu bilden, der Entwürfe und Anträge bearbeitet. Hauptausschuss wird dieses Riesengremium genannt.
    Am Telefon ist Martin Morlok, er lehrt öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Universität Düsseldorf und er ist Experte für Parteienrecht und Parteienforschung. Guten Tag, Herr Morlok.
    Martin Morlok: Guten Tag, Frau Engels.
    Engels: Ist das Parlament durch diesen Hauptausschuss nun vollständig arbeitsfähig?
    Morlok: Nein. Natürlich ist es nicht so arbeitsfähig wie ein normales Parlament. Arbeitsfähig wäre, dass man die normalen Ausschüsse gebildet hat. Der Bundestag arbeitet ja zwangsläufig arbeitsteilig. Die Welt ist so kompliziert, niemand kann alles wissen. Man braucht spezialisierte Ausschüsse mit spezialisierten Abgeordneten.
    Engels: Ist denn dieser Hauptausschuss im Gegensatz dann Verfassungsbruch?
    Morlok: Ja das ist eine etwas komplizierte Frage. Ich meine, ich verstehe, warum man ihn einrichtet. Der Bundestag ist ja in viele Alltagsgeschäfte eingebunden und das Plenum insgesamt ist einfach nicht richtig beratungs- und arbeitsfähig. Deswegen will man ein kleineres Gremium machen. Aber alles, was die verschiedenen Ausschüsse sonst machen, auf den Hauptausschuss zu verlagern, das wirft eine ganze Reihe von Problemen auf und - ich gehe auf Ihre Frage ein - auch verfassungsrechtliche Probleme.
    Ich sehe eigentlich drei verfassungsrechtliche Grundprobleme. Das erste ist: Das Grundgesetz selber verlangt einige Ausschüsse. Wir sprechen hier von Pflichtausschüssen. Frau Geuther hat das gerade ja auch erwähnt. Es muss einen Ausschuss für Auswärtiges geben, es muss einen Ausschuss für Europa geben, es muss einen Verteidigungsausschuss geben. Diese Grundgesetz-Vorstellung hat ja auch zum Inhalt, dass es Spezialisten für Außenpolitik. Für Verteidigungspolitik, für Europa gibt, und die notwendige Spezialisierung im Hauptausschuss findet eben nicht statt. Insofern ist das ein deutliches Minus gegenüber der Existenz eines Gremiums von Fachleuten für die benannten Materien.
    Engels: Bevor Sie die anderen Kritikpunkte benennen, bleiben wir direkt da. Im Grundgesetz stehen diese Ausschüsse, Sie haben es erwähnt. Aber da steht nicht, wann die Ausschüsse eingesetzt werden müssen. Können sich Rot und Schwarz nicht darauf berufen?
    Morlok: Nein. Das ist ein, Entschuldigung, winkeladvokatorisches Argument. Das Parlament soll sich konstituieren und dann ohne Säumen die Pflichtausschüsse einrichten. Wie gesagt, wir haben ja schon etliche Zeit ins Land gehen lassen seit den Wahlen, das ist höchste Zeit. Sonst könnte man ja die Pflichtausschüsse umgehen, indem man die halbe Legislaturperiode abwartet. Das macht kein Gericht mit, dieses Argument zu sagen, es heißt nicht wann. Wenn der Bundestag arbeitet - und das soll er, sobald er gewählt ist. Wir haben ja die feste Regelung, dass mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages die Legitimation des alten entfallen ist. Deswegen haben wir auch nur eine geschäftsführende Regierung.
    Engels: Und Ihre zweiten und dritten Kritikpunkte lauten wie?
    Morlok: Das zweite Problem ist das der arbeitsteiligen Spezialisierung. Wir haben jetzt eben keine Spezialisierung. Da sitzen Leute drin, die alles machen. Können die auch alles? Das kann man auch noch anders nennen. Wir haben ja sonst auch den mächtigen Haushaltsausschuss und der Haushaltsausschuss hat ja die Aufgabe, das Geld zusammenzuhalten und den Anforderungen der Fachpolitiker Nein entgegenzusetzen, und das läuft jetzt alles zusammen. Das ist eine Konfusion von Begehren und Möglichkeiten.
    Engels: Das heißt, die Kontrollfähigkeit des Parlaments leidet?
    Morlok: Ja, auch das darunter natürlich. Wir arbeiten Probleme ja dadurch ab, dass wir sie auf verschiedene Rollen verteilen, oder auf verschiedene Rollen verteilt abarbeiten, und das läuft hier alles zusammen.
    Engels: Und Ihr dritter Punkt?
    Morlok: Der dritte Punkt ist: Viele Abgeordnete werden ausgeschlossen. Das ist ein kleines Gremium, 47 Abgeordnete von 630 Abgeordneten. Wir haben eine schöne Verfassungsgerichts-Entscheidung aus dem Jahre 1969, in der es heißt, dass alle Abgeordneten berufen sind, gleichermaßen an der Arbeit des Parlaments teilzunehmen und grundsätzlich auch in einem Ausschuss mitwirken zu können. Um es böse zu formulieren: Das ist sozusagen eine Art Politbüro, das hier die Arbeit des Parlaments macht.
    Engels: Sollte die Opposition versuchen, in irgendeiner Form dagegen zu klagen in Karlsruhe?
    Morlok: Ich habe jetzt ja deutliche Kritik geäußert, aber gleichwohl scheint es mir noch nicht verfassungswidrig zu sein. Nein: Man kann als Gegengrund anführen die Geschäftsordnungsautonomie. Das Parlament darf sich mit Mehrheit so organisieren, wie es das für zweckmäßig hält - in äußeren Grenzen. Die Pflichtausschüsse sind sicher eine von außen gesetzte Grenze. Aber wenn es wirklich nur vorübergehend und nicht mehr so lange Zeit ist, wird man das wohl akzeptieren müssen. Aber wie gesagt, das ist eine Notlösung, die deutlichen Bedenken begegnet.
    Engels: Wie lange wäre denn eine solche Übergangsfrist tolerierbar Ihrer Einschätzung nach?
    Morlok: Jede Woche, wie gesagt, tut weh. Ins neue Jahr hinein sollte man das nicht tun, zumal auch, weil es ja andere Möglichkeiten gibt. Man kann ja die Fachausschüsse durchaus vor Konstituierung der Bundesregierung einsetzen. Dann nimmt man eben die alten Ausschüsse und wenn der Ressortzuschnitt dann anders aussieht, dann schneidet man die Ausschüsse neu zu. Und wenn ein Ausschussvorsitzender Minister werden soll, ja Gott, dann wird er das halt und man wählt einen neuen Ausschussvorsitzenden.
    Engels: In Teilen der Opposition wird ja auch unterstellt, es sei durchaus Interesse der ja noch nicht fertigen Großen Koalition, hier schon einige Dinge durchzuwinken, beispielsweise dass die Rechtslage geändert wird, dass man den Rentenbeitrag im nächsten Jahr nicht senken müsse, dass man einige Beschlüsse schon auf den Weg bringen könne, die vergleichsweise unauffällig auf einem solchen Weg untergebracht würden. Teilen Sie diese Sorge?
    Morlok: Das sehe ich jetzt im Moment nicht. Da habe ich zu wenig Informationen, was da gerade im Busch ist. Aber wenn das so sein sollte, dann sind die geäußerten Probleme natürlich umso gewichtiger.
    Engels: Erfüllt sich mit diesem Hauptausschuss bereits die Sorge, die überwältigende Mehrheit von Schwarz-Rot schwäche grundsätzlich die Parlamentsarbeit?
    Morlok: Da ist sicher etwas dran, das kann man hier schon so sehen, was ich vorher so Politbüro-Prinzip genannt habe. Eine Große Koalition verlangt noch sehr viel stärker als Schwächemehrheiten, dass die einzelnen Abgeordneten in ihren Fraktionen sich auch auf die Hinterbeine stellen. Man kann in einer Großen Koalition den einen oder anderen Widerspenstigen übergehen, aber es sollte eben nicht zu dem Ergebnis führen, dass alles in Koalitionsrunden ausgemacht wird. Die Vielzahl der Auffassungen, der Interessen, der Überzeugungen ist es, die wir in einem Parlament haben und haben wollen. Die erst machen gemeinwohlverträgliche Politik möglich.
    Engels: Martin Morlok, Staatsrechtler, Experte für öffentliches Recht und Parteienforschung an der Universität Düsseldorf. Vielen Dank für Ihre Einschätzung.
    Morlok: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.