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Rechtswissenschaftler zu Corona-Pflichttests
„Notfalls könnten Zwangsmittel angewendet werden“

Er rechne mit Klagen gegen angeordnete Corona-Tests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten, sagte Christian Waldhoff, Professor für öffentliches Recht, im Dlf. Die rechtlichen Grundlagen seien dafür aber durch das Infektionsschutzgesetz und die Feststellung einer „epidemische Lage nationaler Tragweite“ gegeben.

Christian Waldhoff im Gespräch mit Christiane Kaess |
Ein Rettungsassistent der Berufsfeuerwehr Halle wartet in einer Corona-Teststation für Urlaubsrückkehrer am Flughafen Leipzig/Halle.
Ab kommender Woche soll es verpflichtende Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten geben. (picture alliance/dpa - Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)
Experten warnen vor einer zweiten Welle, denn die Corona-Infektionen in Deutschland steigen wieder. Offenbar unterschätzen viele bei Sommer und schönem Wetter das Risiko einer Ansteckung. Seitdem die strengen Beschränkungen aufgehoben sind und das Reisen wieder erlaubt ist, wiegen sich viele Menschen in Sicherheit und glauben, die Pandemie sei besiegt. Das Gegenteil aber ist der Fall - die zuständigen Behörden zeigen sich besorgt.
Ein Risiko sind auch diejenigen, die aus Gebieten zurückkommen, in denen die Infektionszahlen hoch sind. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat deshalb für sie verpflichtende Tests angekündigt, die an Flughäfen durchgeführt werden sollen.
Christian Waldhoff, Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Humboldt-Universität Berlin, über die rechtlichen Hürden und Vorgaben.
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Christiane Kaess: Ist das rechtlich in Ordnung, was Gesundheitsminister Spahn anordnet?
Christian Waldhoff: Ich denke, ja. Das Infektionsschutzgesetz wurde ja im März angesichts der Corona-Entwicklung geändert und es wurden neue Ermächtigungsgrundlagen eingefügt, auf die man meines Erachtens das stützen könnte.
Kaess: Das heißt, das Parlament muss nicht mehr befragt werden?
Waldhoff: Genau. Das Parlament wurde im Grunde schon gefragt, denn das Parlament hat eine sogenannte epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt. Und solange das der Fall ist, gibt es besondere Ermächtigungen, etwa für Personen, die aus Risikogebieten einreisen, die Verpflichtung, sich ärztlich untersuchen zu lassen.
"Ein größerer Eingriff in die Grundrechte"
Kaess: Wie steht es denn auf der anderen Seite mit den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen?
Waldhoff: Ja, das ist schon ein größerer Eingriff in die Grundrechte, etwa in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Man muss aber sagen: Was wird gemacht bei so einem Test? Es wird ein Abstrich im Rachenbereich und im Nasenbereich gemacht. Solche ärztlichen Untersuchungen kennt die deutsche Rechtsordnung auch in anderen Zusammenhängen – denken Sie nur mal an Alkoholkontrollen im Straßenverkehr oder Ähnliches, wo ja zumindest in einem gestuften Verfahren dann sogar Blut abgenommen werden kann. Der Unterschied ist freilich, dass dort natürlich Leute auffällig geworden sind, während hier nur Verdachtsfälle bestehen.
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Das muss gerechtfertigt werden vor den Grundrechten. Es darf nicht unverhältnismäßig sein. Meines Erachtens, so wie das jetzt geplant ist, würde dies das aber erfüllen. Denn zum einen: Diese Ermächtigungsgrundlage ist zeitlich befristet. Die gilt nicht als Ultimo. Einerseits kann der Bundestag diese Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder aufheben. Würde er das nicht machen, würden diese Ermächtigungsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz gleichwohl in einem Jahr außer Kraft treten. Das Parlament ist beteiligt, nicht ganz konkret bei der Einzelmaßnahme, sondern bei der zur Verfügung Stellung des Rechtsrahmens. Und meines Erachtens ist das auch durchaus verhältnismäßig.
Kaess: Was passiert denn, Herr Waldhoff, wenn sich jemand weigert?
Waldhoff: Dann könnten zur Not sogar Zwangsmittel eingesetzt werden. Dann steht das Instrumentarium, was das Polizeirecht ohnehin zur Verfügung stellt, zur Verfügung. Notfalls könnten Zwangsmittel angewendet werden.
Mit Klagen ist zu rechnen
Kaess: Rechnen Sie denn mit Klagen?
Waldhoff: Ja, natürlich. Fast alle Maßnahmen, die jetzt in Corona geschehen, angeordnet wurden, wurden ja von Gerichten zumindest vorläufig überprüft. Meistens geht es um Eilrechtsschutz, weil Verfahren dauern ja eine gewisse Zeit, und hier ist Eile geboten. Wir haben eine differenzierte Rechtsprechung. Im Grundsatz wurden die meisten Maßnahmen ja von den Verwaltungsgerichten und auch vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gebilligt. Einzelne Sachen – ich denke da etwa an diese Verordnung in Gütersloh im Umfeld dieses Fleischbetriebes – wurden freilich als unverhältnismäßig aufgehoben.
Das Foto zeigt den Juristen Prof. Christian Waldhoff.
Es handele sich um "einen größeren Eingriff in die Grundrechte" sagte der Jurist Christian Waldhoff. (picture-alliance / dpa / Friso Gentsch)
Kaess: Aber, Herr Waldhoff, so wie Sie das Ganze einordnen, müsste ja absehbar sein, dass diese Klagen ohne Erfolg bleiben.
Waldhoff: Man muss jetzt erst mal genau gucken, was da genau angeordnet wird und ob das die gesetzliche Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz einhält. Aber wenn ich eine Prognose wagen dürfte, was immer so eine Sache ist bei Gerichtsprozessen, würde ich sagen, wenn das richtig gemacht wird, müsste das eigentlich standhalten.
Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein
Kaess: Macht sich die Verhältnismäßigkeit fest an dieser Definition Risikogebiet, beziehungsweise woran muss sich die denn orientieren, um da eine gute rechtliche Basis zu haben?
Waldhoff: Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeutet ja, es wird abgewogen der Eingriffsschaden, die Beeinträchtigung, die der einzelne Bürger auf der einen Seite erhält, mit dem Ziel, das mit dieser Maßnahme erreicht werden soll, auf der anderen Seite. Das wird relationiert, das wird in Beziehung zueinander gesetzt und wertungsmäßig abgewogen, was überwiegt, und da sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Einerseits natürlich, dass diese zwangsweise Untersuchung nur für Personen aus Risikogebieten angeordnet werden soll.
Kaess: Wenn ich da mal kurz einhaken darf? Da wäre meine Frage: Muss das auch klar definiert sein?
Waldhoff: Ja, das ist ja klar definiert. Das steht in dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz auch drin, wer unter welchen Voraussetzungen ein Gebiet als Risikogebiet deklarieren kann. Das macht die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Robert-Koch-Institut, wenn bestimmte Zahlen überschritten sind. Das ist relativ klar definiert.
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Wie umgehen mit Hotspots in Europa?
Kaess: Da fällt allerdings auf, dass bisher diese Risikogebiete außerhalb der EU liegen.
Waldhoff: Ja, Gott sei Dank!
Kaess: Innerhalb der EU fällt im Moment nur Luxemburg darunter. Aber das ist ja gar nicht alles so eindeutig, denn auch innerhalb der EU gibt es mittlerweile wieder mehrere Hotspots. Müssten die, wenn man das Ganze rechtlich betrachtet, mit einbezogen werden?
Waldhoff: Theoretisch könnten die auch mit einbezogen werden. Dann stellen sich freilich weitere rechtliche Probleme, weil wir ja im Bereich der Europäischen Union eine Freizügigkeit, eine Personenfreizügigkeit und so weiter haben, die wir jetzt im Verhältnis zu Drittstaaten, etwa zu den USA oder zu Brasilien oder zur Türkei nicht in gleicher Weise haben. Wenn es sich um EU-Staaten handelt - meines Erachtens ist das aber zurzeit nur Luxemburg -, dann müssten weitere rechtliche Sachen, nämlich EU-rechtliche Sachen beachtet werden.
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Auch ein zweiter Test wäre durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt
Kaess: Noch etwas lässt viele Fragen stellen, nämlich die Tatsache, dass eigentlich mehr Neuinfektionen von Reisenden kommen, die in Nicht-Risikogebieten waren, die sich da aber trotzdem angesteckt haben. Jetzt stellt Bundesgesundheitsminister Spahn das so dar, dass verpflichtende Tests da nicht möglich wären, weil die nicht verhältnismäßig wären. Stimmt das so?
Waldhoff: Da ist zumindest etwas dran, denn bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung muss die Wahrscheinlichkeit der Gefahr ja berücksichtigt werden. Und abstrakt gesehen ist es ja so: Wenn ich aus einem Risikogebiet mit hohen Neuinfektionsraten einreise, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich infiziert habe, logischerweise höher, als wenn ich aus einem Land einreise, wo ganz niedrige Infektionszahlen da sind. Das ist ein wichtiger Punkt bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung.
Kaess: Aber wenn sich in der Praxis das genau anders herum erweist?
Waldhoff: Ja, das liegt aber wahrscheinlich doch an anderen Sachen. Wenn wir zum Beispiel Frankreich als Nicht-Risikogebiet nehmen: Nach Frankreich fahren relativ viele Urlauber. Während wenn wir Brasilien als Hochrisikogebiet nehmen: Aus Brasilien reisen nicht so viele Urlaubsrückkehrer ein, weil viel weniger Leute in Brasilien Urlaub machen als in Frankreich. Aber wenn man es statistisch durchrechnen würde, kann ich mir praktisch nicht vorstellen, dass aus Nicht-Risikogebieten bei gleichen Zahlen von Rückkehrern mehr Infizierte einreisen.
Kaess: Jetzt gab es eine weitere Kritik am Sinn dieser Tests. Da sagen viele, das ist ja überhaupt noch viel zu früh, um eine Infektion festzustellen, denn die Inkubationszeit ist länger. Wäre denn eine Verpflichtung zu einem zweiten Test auch rechtlich möglich?
Waldhoff: Ich würde sagen, wenn das richtig gemacht wird, durchaus ja. Das ist natürlich dann ein weiterer Eingriff, der zusätzlich gerechtfertigt werden müsste, der ebenfalls verhältnismäßig sein müsste, und die Anforderungen würden eher steigen, weil ja der Abstand zur Einreise in das Bundesgebiet größer geworden ist. Aber wenn sich die Lage jetzt dramatisch verschlechtern würde, hätte ich auch da keine Bedenken. Meines Erachtens würde das auch die Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz hergeben.
Freiheit des Einzelnen vs. Gemeinwohl
Kaess: Es geht auch um die Kosten für die verpflichtenden Tests. Die werden übernommen. Aber ist das nicht rechtlich sowieso Gesetz, dass das so passieren muss?
Waldhoff: Die Kostenlage ist relativ kompliziert. Ich halte es für sehr richtig und wichtig, dass die einfach pauschal übernommen werden, denn wenn sich jetzt die Behörden noch mit einzelnen Einreisenden über die Kosten streiten, ist ja die Effektivität dieser Infektionsabwehr schon als solche gefährdet. Ob das jetzt dann von der gesetzlichen Krankenversicherung hätte übernommen werden müssen oder so, ist eine sehr schwierige Frage, die ich jetzt mit einem Satz hier nicht beantworten möchte. Aber völlig zurecht geht die Planung meines Wissens ja dahin, dass die Kosten einfach pauschal übernommen werden sollen.
Kaess: Herr Waldhoff, muss man gesamtheitlich sagen, dass in einer Pandemie die Freiheit des Einzelnen dem Wohl der Gemeinschaft oder anderer untergeordnet ist?
Waldhoff: Nein! Die Juristen würden immer sagen, die Freiheit des Einzelnen muss mit dem Gemeinwohl abgewogen werden, bei jeder einzelnen Maßnahme, bei jeder gesetzlichen Ermächtigung, und das geschieht auch. Als das Infektionsschutzgesetz, als diese gesetzlichen Grundlagen im März dieses Jahres eingeführt wurden, gab es völlig zurecht große Diskussionen, ob das abstrakt verhältnismäßig ist, ob das noch geht, ob das Parlament hinreichend beteiligt ist. Das heißt, es findet ein Diskurs statt, ob diese rechtlichen Grundlagen richtig sind, ob sie verfassungsmäßig sind, ob sie verhältnismäßig sind. Das wird von Gerichten überprüft. Man kann nicht pauschal sagen, die Rechte des Einzelnen müssen sich insgesamt dem Gemeinwohl, hier dem Infektionsschutz unterordnen, sondern das ist ein Prozess, der von den konkreten äußeren Bedingungen abhängt, und ich würde mal die Einschätzung wagen, dass sich unser Rechtsstaat, unser Verfassungsstaat in dieser Krise doch recht gut bewährt.
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