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Rechtswissenschaftler zum Syrien-Mandat
"Der Militäreinsatz ist die logische Folge"

Die Bundesregierung habe mit dem Syrien-Mandat richtig gehandelt, sagte der CDU-Politiker und Staatsrechtler Rupert Scholz. Sie habe nach den Anschlägen von Paris Frankreich Beistand zugesichert und sich damit außen- wie sicherheitspolitisch verantwortlich verhalten. Nach Einschätzung des ehemaligen Verteidigungsministers liege der Fall eines asymmetrischen Krieges vor.

Rupert Scholz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Verfassungsrechtler Rupert Scholz, spricht am Freitag (20.04.2012) im Landtag in Stuttgart vor dem EnBW-Untersuchungsausschuss
    Rupert Scholz, CDU-Politiker, Rechtswissenschaftler und Verteidigungsminister unter Helmut Kohl: Im Zuge des internationalen Terrorismus werde auch vom asymmetrischen Kriegen gesprochen. (dpa - picture alliance / dpa - Franziska Kraufmann)
    Dirk-Oliver Heckmann: Nach der Bundestagsentscheidung gestern laufen die Vorbereitungen bei der Bundeswehr auf Hochtouren. Sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge sollen schon in der kommenden Woche in die Türkei verlegt werden. Die Fregatte " Augsburg" wird morgen in den Geleitzug des Flugzeugträgers " Charles de Gaulle" aufgenommen und französischem Befehl unterstellt. Derweil wird die Kritik an dem geplanten Syrien-Einsatz der Bundeswehr lauter, und das betrifft auch die völkerrechtliche Grundlage des Bundestagsmandats, an der renommierte Rechtsexperten erhebliche Zweifel anmelden. Hat der Bundestag die Bundeswehrsoldaten also in einen Einsatz geschickt, der vom Völkerrecht nicht gedeckt ist?
    (Beitrag von Theo Geers: Debatte um Syrien-Einsatz der Bundeswehr)
    Der Bericht aus unserem Hauptstadtstudio war das von Theo Geers. Und am Telefon ist jetzt Rupert Scholz, Verteidigungsminister unter Bundeskanzler Helmut Kohl, Staatsrechtler und Mitautor und -herausgeber des Grundgesetzkommentars Maunz-Dürig, das als Standardwerk gilt. Schönen guten Tag, Herr Scholz!
    Rupert Scholz: Schönen guten Tag!
    Heckmann: Herr Scholz, renommierte Rechtswissenschaftler haben erhebliche Bedenken, was die völkerrechtliche Grundlage des Bundestagsmandats angeht, wir haben es gerade eben gehört, den Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel. Der hat hier im Deutschlandfunk gesagt, die UNO-Resolutionen, auf die man sich ja auch bezogen hat in der Debatte, die scheiden als Legitimation aus, weil sie eben nicht ausdrücklich militärische Gewalt legitimieren.
    Scholz: Ich glaube nicht, dass diese Argumentation im Ergebnis schlüssig ist. Die UNO-Satzung sagt, oder die Charta der Vereinten Nationen sagt sehr klar, dass jedes Land, wenn es angegriffen wird, das Recht zur individuellen wie auch zur kollektiven Selbstverteidigung hat. Und man erinnere sich daran, dass Präsident Hollande, übrigens auch unser Präsident Gauck davon gesprochen haben, dass wir uns in einer gewissen Weise oder die Franzosen sich in einer gewissen Weise in einem Krieg befinden. Und das ist die entscheidende Frage: Wie ist das mit dem Krieg? Im klassischen Völkerrecht ist Krieg eigentlich nur der Fall, dass ein Staat einen anderen angreift und der angegriffene das Recht zur Verteidigung hat. Das Völkerrecht hat sich aber hier ganz wesentlich im Zuge der Entwicklungen der letzten Jahre auch verändert. Der Begriff Krieg passt in dieser klassischen Form nicht mehr. Man spricht auch davon, dass wir heute, gerade im Lichte des internationalen Terrorismus, asymmetrische Kriege haben. Terrorismus war eigentlich in den Grundvorstellungen eine Frage der inneren Sicherheit und nicht der äußeren Sicherheit. Also innere Sicherheit, die mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen ist (*). Aber der internationale Terrorismus hatte längst die Dimension der äußeren Sicherheit und ihrer Gefährdung erreicht. Und hier ist die entscheidende, wenn man so will, auch rechtliche Wende erfolgt nach den Anschlägen in Amerika der Al Kaida. Die Anschläge damals vom September 2001 haben dazu geführt, dass damals die Amerikaner den NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages ausgerufen und aufgerufen haben, und dem sind auch wie Deutsche ja gefolgt.
    "Es ist ein Fall asymmetrischer Kriegsführung"
    Heckmann: Aber diesmal ist das ja nicht der Fall gewesen. Diesmal wurde der Bündnisfall ja eben nicht ausgerufen, und Sie heben auf das Selbstverteidigungsrecht der Staaten ab bei einem bewaffneten Angriff. Jetzt sagen aber die Kritiker, das gilt wirklich nur bei einem bewaffneten Angriff eines Staates, und das, was in Paris abgelaufen ist, war eben kein Angriff eines Staates, sondern ein Terrorakt, und zwar nicht weniger, aber auch nicht mehr.
    Scholz: Es ist ein Fall asymmetrischer Kriegsführung. Und wie ich eben schon gesagt habe, der Begriff des Krieges und der daraus resultierenden Verteidigungsmöglichkeit bezieht sich heute, seit der völkerrechtlichen, wenn man so will, Interpretationswende nach September 2001, auch auf asymmetrische Kriege. Deshalb hat auch der Artikel 12 des NATO-Vertrages, der ja eigentlich auch nur so zunächst zu verstehen war wie Artikel 51 der UNO-Charta, diese interpretative, wenn man so will, Erweiterung erfahren. Und jetzt kommt als Entscheidendes hinzu: Der Artikel 42 des EU-Vertrages, den Frankreich ja ausdrücklich hinsichtlich der Beistandspflicht auch von uns Deutschen, auf- und ausgerufen hat. Richtig ist, dass dies das erste Mal ist und dass auch zu diesem Artikel uns noch eine ganze Reihe von Erfahrungen fehlt. Aber im Sinne des Völkerrechts ist das so auszulegen, dass es wiederum um gemeinsame, um kollektive Verteidigung geht.
    Heckmann: Und das legitimiert dann auch einen Militäreinsatz?
    Scholz: Das legitimiert selbstverständlich einen Militäreinsatz. Der Militäreinsatz ist die logische Folge, genauso wie damals in Afghanistan gegen Al Kaida und die Taliban. Die Situation ist rechtlich identisch mit der von damals, nur, dass man jetzt eine andere Verteidigungs- oder kollektive Sicherheitsgrundlage herangezogen hat, nicht Artikel 5 NATO-Vertrag, sondern Artikel 42 des EU-Vertrages. Aber diese beiden Bestimmungen unterscheiden sich in der Sache nicht.
    Heckmann: Kommen wir noch mal zurück auf das Selbstverteidigungsrecht und das Phänomen des asymmetrischen Krieges, das Sie angesprochen haben. Das könnte doch dann zur Folge haben, dass jeder Staat, in dem ein Terroranschlag passiert, dann plötzlich behauptet, wir sind im Krieg, und deswegen brechen wir jetzt einen Krieg vom Zaun.
    Scholz: Nein, diese Konsequenz kann natürlich nicht gezogen werden. Wie ich vorhin bereits gesagt habe, Terroranschläge sind eigentlich eine Frage der inneren Sicherheit. Wenn Terroranschläge aber mit einer internationalen Basis, so möchte ich es einmal sagen, wie auch bei IS erfolgt, wenn also die innere Sicherheit nicht rein staatsintern mehr definiert und gesichert werden kann, weil die Anschläge vorbereitet, ausgeführt, geleitet, initiiert werden aus dem Ausland, dann sind wir in der Dimension der äußeren Sicherheit und damit auch bei entsprechender Qualität natürlich nur, des asymmetrischen Krieges.
    Heckmann: Die Terroristen waren aber vor allem Franzosen und Belgier.
    Scholz: Ja, aber der IS arbeitet bekanntlich aus Syrien und dem Irak, und man weiß ja, dass auch die Anschläge von dort initiiert worden sind. Dass die Täter, die ausführenden Täter, nicht nun aus Syrien oder aus dem Irak gekommen sind, das spielt dabei keine Rolle, zumal man weiß, dass der internationale Terrorismus ja heute ohnehin sehr stark mit dezentralen Strukturen operiert, was ihn ja auch so besonders gefährlich macht.
    "Das ist ein andauernder Angriff auf die westliche Welt"
    Heckmann: Ich will noch mal zurückkommen auf das Selbstverteidigungsrecht der Staaten. Reinhard Merkel hat heute Morgen bei uns im Deutschland auf einen Aspekt hingewiesen, der auch im Bundestag kaum diskutiert worden sei, nämlich, dass dieses Selbstverteidigungsrecht gelte für einen andauernden bewaffneten Angriff. Der Terrorakt von Paris sei zwar grausam gewesen, aber liegt halt hinter uns, und für solche Fälle gibt es kein Selbstverteidigungsrecht. Was sagen Sie dazu?
    Scholz: Diese Interpretation halte ich nicht für richtig. Die Frage von Gegenwärtigkeit oder andauernd, das ist eine Frage der militärischen Situation. Und wenn man sieht, dass der IS ja nicht nur Frankreich, sondern gleichsam der westlichen Welt insgesamt mehr oder weniger den Krieg erklärt hat, wie auch die jüngsten Anschläge jetzt in Amerika zeigen, dann ist das ein andauernder Angriff auf die westliche Welt, auf die westliche Friedensordnung. Und da kann man nicht sagen, das sei kein andauernder oder gegenwärtiger Angriff. Das ist eine Interpretation, die ich nicht für schlüssig halte.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sich auf den Standpunkt stellen, zu sagen, die westliche Welt befindet sich im dauerhaften Krieg mit diesen Islamisten?
    Scholz: Ich denke, dass die Situation bereits so ist, oder dass wir die Furcht schon hegen müssen, dass es dazu kommt.
    Heckmann: Der Völkerrechtler Daniel Erasmus Khan gibt allerdings einer Klage in Karlsruhe ganz gute Chancen aus den Argumenten heraus, die ich gerade schon erwähnt habe. Sie sehen das völlig anders?
    Scholz: Ich sehe das anders, und zwar ganz entscheidend, wenn ich jetzt mal unsere Verfassungsrechtslage nach dem Grundgesetz nehme. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon vor vielen Jahren klar entschieden, dass im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme im Sinne von Artikel 24 Grundgesetz entsprechende Beistandsleistungen verfassungsmäßig sind. Und ein kollektives Sicherheitssystem in diesem Sinne ist die NATO einerseits, ist auch die UNO, aber ist auch die Europäische Union, und das führt uns zum Artikel 42 des EU-Vertrages zurück.
    Heckmann: Trotzdem gibt es nicht wenige, die sagen, dieses Bundestagsmandat steht auf tönernen Füßen. Ihre Botschaft ist angekommen, Sie sehen das anders. Dennoch die Frage: Was wäre denn, wenn Karlsruhe zum gegenteiligen Schluss kommen würde und sagen würde, das ist eben nicht vom Grundgesetz und vom Völkerrecht gedeckt?
    Scholz: Wenn das Bundesverfassungsgericht so entscheiden sollte, was ich nicht für wahrscheinlich halte, um das noch mal deutlich zu betonen, dann wäre die Konsequenz nur, dass ein Einsatz beendet werden müsste.
    Heckmann: Und welche politischen Folgen hätte das? Das wäre ja ein Desaster für die Bundesregierung, für den Bundestag insgesamt, oder?
    Scholz: Ob das nun ein Desaster ist, darüber will ich nicht spekulieren. Die Bundesregierung hat meines Erachtens hier richtig gehandelt. Sie hat Frankreich den entsprechenden Beistand sofort nach den schrecklichen Anschlägen zugesichert, und sie hat sich insofern meines Erachtens nach außen wie sicherheitspolitisch sehr verantwortlich verhalten.
    Heckmann: Ich möchte eine Frage zum Abschluss stellen, Herr Scholz. Das Völkerrecht und die völkerrechtliche Grundlage ist ja das eine, die Frage, ob der Einsatz sinnvoll ist, ist das andere, und da gibt es nicht wenige, die sagen, mehr Bomben bedeuten auch mehr Zulauf für den sogenannten Islamischen Staat. Und über Alternativen wie zum Beispiel Flugverbotszonen oder Bombenverbotszonen wird gar nicht gesprochen.
    Scholz: Das ist nun die Frage der militärischen Einschätzung. Hier kann man in der Tat, jedenfalls längerfristig gedacht, schon Zweifel haben, ob alles ausreicht, was jetzt in Gang gebracht wird. Es gibt eine alte militärische Weisheit, die man sagt: Man kann einen Krieg eigentlich nie gewinnen, wenn man nicht auch am Boden tätig wird. Und das ist ja auch schon verschiedentlich von Kritikern angesprochen worden. Ob man den IS wirklich auf Dauer ohne wirksame Bodeneinsätze schlagen kann, da habe ich auch meine Zweifel. Allein mit Bomben geht es mit Sicherheit nicht. Auf der anderen Seite haben wir ja Möglichkeiten auch noch, das, was zum Beispiel die Peschmerga angeht, was in Syrien noch andere angeht. Also, der IS steht ja bereit in einem Bodenkrieg auch vor Ort, um es einmal so zu formulieren. Und man muss natürlich dafür sorgen, zumindest dafür sorgen, dass mit der nötigen Unterstützung diese Bodeneinsätze vor Ort erfolgreich sind.
    Heckmann: Rupert Scholz war das, ehemaliger Verteidigungsminister unter Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatsrechtler. Herr Scholz, Danke Ihnen für das Gespräch!
    Scholz: Danke meinerseits!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    * Anmerkung der Redaktion in diesem Zusammenhang meint Reinhard Merkel "zu verteidigen" und nicht "zu bekämpfen".