In der Werkstatt der Organisation "Lesvos Solidarity” in der Inselhauptstadt Mytilini. Shuhib Shih sitzt an einer Nähmaschine. Er näht Stofffetzen zusammen; am Ende soll daraus eine Handtasche entstehen. Der 20-jährige Pakistaner erklärt:
"Wir machen die Taschen aus alten Schwimmwesten. Ich habe das Nähen als 15-Jähriger in Pakistan gelernt, da habe ich in einer Textilfabrik gearbeitet."
Shuhib musste aus politischen Gründen aus Pakistan fliehen, sagt er und hat mittlerweile in Griechenland Asyl bekommen. Dass er ausgerechnet mit dem Material von gebrauchten Schwimmwesten arbeitet, sei schon etwas Besonderes, sagt er:
"Am Anfang dachte ich: Vielleicht war das deine Schwimmweste. Die Westen haben uns damals das Leben gerettet. Und jetzt retten sie uns wieder. Es ist schön!"
Gleiche Chancen
Neben Shuhib steht Sofia Siká vor einem Berg bunter Umhängetaschen. Die 26-jährige Griechin kontrolliert, ob an den Taschen alles in Ordnung ist und schneidet die letzten Fäden ab, die hier und da noch raushängen. Sie sei froh, diese Arbeit gefunden zu haben, sagt die junge Frau:
"Ich habe Modedesign studiert, konnte aber keinen Job finden - nur als Verkäuferin. Es ist gut, dass hier Griechen und Flüchtlinge zusammen arbeiten. Dann können auch sie sehen, dass es auch die Einheimischen nicht leicht haben."
Dieses Zusammenspiel zwischen Griechen und Flüchtlingen sei nicht zu unterschätzen, sagt Evi Latsoudi, eine der Gründerinnen der Initiative:
"Von dem Moment an, wo die Menschen hier bleiben, müssen sie eine Arbeitsmöglichkeit bekommen. Das ist nicht leicht in einer Gesellschaft in so einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Gerade deshalb beteiligen wir an unseren Projekten nicht nur Flüchtlinge, sondern auch arbeitssuchende Griechen. So kommt das Gefühl nicht auf, dass wir nur den Flüchtlingen helfen und uns für die Griechen nicht interessieren."
Für ihr Engagement auf Lesbos wurde Latsoudi letztes Jahr mit dem UN-Flüchtlingspreis ausgezeichnet. Dass die Upcycling-Werkstatt mit ihren derzeit neun Mitarbeitern nicht die Welt retten kann, weiß sie. Als Organisation, die ausschließlich durch Spenden finanziert wird, seien die Möglichkeiten von Lesvos Solidarity begrenzt.
Es fällt nicht leicht
Für die Menschen, die hier arbeiten, ist die kleine Werkstatt aber etwas ganz Großes. Matina Kontoleondos schneidet gerade bunte Stoffe für die Innenseiten der Taschen. Die 62-Jährige zeigt auf die verschiedenen Taschenmodelle hinter sich. Das seien alles ihre Entwürfe, sagt sie:
"Am Anfang hat mich der Gedanke erschüttert, ob der, dem diese Weste gehört hat, noch am Leben ist oder ertrunken ist. Um diesen Schock zu überwinden, habe ich angefangen, farbenfrohe Stoffe in die Taschen einzunähen. Denn für mich haben Textilien mit dem Leben zu tun. Und so wurden auch die Taschen fröhlicher."
Vierhundertfünfzig Euro netto bekommen die Mitarbeiter der Upcycling-Werkstatt. Für fünf Stunden Arbeit am Tag sei das nicht schlecht, sagt der 19-jährige Sultan Heder. Und nur ums Geld gehe es ihm sowieso nicht.
"Ich hatte ständig diese schlimmen Gedanken, was mit mir passiert, ob ich abgeschoben werde. Jetzt geht es mir besser. Hier fühle ich mich sicher, wir sind wie eine Familie. Das mag ich."
Sultan ist sogar mit zwei Kollegen zusammengezogen und würde gerne auf Lesbos bleiben. Anders aber als bei seinem Kollege Shuhib, wurde sein Asylgesuch ablehnt.