Marcel Anders: Herr Kiedis, Sie mussten zuletzt einige Konzerte wegen Krankheit absagen – und prompt wurde spekuliert, ob Sie auf Bowie, Lemmy und Prince folgen. Können Sie darüber lachen?
Anthony Kiedis: Eines Tages würde ich mich gerne Bowie auf seiner Wolke anschließen – um welchen Planeten sie auch kreist. Das wäre ein toller letzter Ort. Aber ich bin noch nicht so weit. Und ich lebe sehr gesund. Weshalb David noch etwas warten muss. Aber ich vermisse ihn und werde ihn bestimmt eines Tages wiedersehen.
Anders: Stimmt es, dass Sie ihn gebeten haben, Ihre Alben "By The Way" und "Stadium Arcadium" zu produzieren, aber er beide Male abgesagt hat?
Kiedis: Jedes Mal, wenn wir ein Album angehen, fragen wir uns vorher: Was könnten wir tun, das neu und aufregend ist? Deshalb haben wir auch Brian Eno gefragt, der uns mindestens drei Mal abgesagt hat. Bevor wir "Californication" aufgenommen haben, sind wir bei Daniel Lanois vorstellig geworden - und er hat ebenfalls abgelehnt, ohne sich die Demos anzuhören. Das hat er erst am nächsten Tag getan, als er ganz aufgeregt anrief und meinte, er habe seine Meinung geändert – er würde das gerne übernehmen. Da musste ich ihm leider sagen: Zu spät. Wir haben schon Rick Rubin gefragt, der sich als gute Wahl erwies. Aber was Bowie betrifft: Wir bewundern ihn alle wegen seiner Ästhetik. Er war dieser musikalische Zauberer, der sich ständig verändert hat. Deshalb haben wir ihn gefragt. Und er hat uns extrem nette Briefe geschrieben, warum er nicht konnte. Also, weil er beschäftigt war oder gerade auf etwas anderes stand. Er war ein echter Gentleman. Nicht einer dieser Typen, die dich ohne Begründung abschmettern, sondern ein sehr umsichtiger Mensch.
Anders: Ihr aktuelles Album heißt "The Getaway". Haben Sie sich da bei Steve McQueens Filmklassiker von 1972 bedient oder eher bei dem gleichnamigen Song von Hillary Duff?
Kiedis: Den Titel haben schon einige benutzt. Und wir beziehen uns natürlich auf den Hillary-Duff-Song. Nein! Wir haben uns von dem Film inspirieren lassen, den ich sehr mag - genau wie Steve McQueen. Er war ein Malibu-Typ und fuhr gerne Motorrad - wie ich. Der Song handelt von dem Moment, wenn man mit jemandem zusammen ist und das Gefühl von Harmonie und Wärme hat – während man im Auto sitzt, Musik hört und sich unantastbar fühlt. Was tatsächlich eine Hommage an Steve McQueen ist.
Anders: Sie bezeichnen das Album als Beginn einer neuen Ära. Hat es mit dem aktuellen Produzentenwechsel zu tun? Haben Sie nach 25 Jahren mit Rick Rubin gespürt, dass sich etwas verändern muss?
"Das Risiko hat sich definitiv gelohnt"
Kiedis: Das haben wir wirklich. Und es war nicht so, als ob Rick Rubin das Problem gewesen wäre. Obwohl: Es war stellenweise fast ein bisschen zu leicht, mit ihm zu arbeiten. Denn manchmal braucht man einfach Spannung, um alles aus sich herauszuholen. Und wir hatten den Punkt erreicht, an dem wir wieder ein bisschen mehr Risiko eingehen, diese allzu gemütliche Arbeitsbeziehung verlassen und es mit jemandem versuchen wollten, von dem wir nicht mehr wussten, außer, dass er eine etwas andere Vorgehensweise verfolgt. Dabei war Brian Burton sehr herausfordernd, und wir brauchten eine Herausforderung. Genau wie ein neues Element in unserem Sound. Und er hat nun mal eine ganz andere Herangehensweise als Rick. Also, was Klang, Instrumentierung und Loops betrifft. Er hat einen mechanischeren Vibe, der gut zu verschiedenen Formen von Musik passt, inklusive Rock'n'Roll. Ich finde es toll, dass wir das Risiko eingegangen sind – und es hat sich definitiv gelohnt.
Anders: Auch, wenn Sie angeblich geschockt waren, als er sämtliche Ihrer ursprünglichen Demos abgelehnt hat?
Kiedis: Ich war nicht sauer, weil er das auf eine Art getan hat, die nicht arrogant war. Und später war es so, dass ich immer neue Texte für die Musik geschrieben habe, die er und die Band im Studio entwickelt haben. Wobei es meistens hieß: Das kannst du noch besser. Also klemmte ich mich ein paar Tage dahinter, und es hat funktioniert. Sprich: Er hat mich gefordert, und das hat tatsächlich zu Material geführt, das besser war. Das es verdient, auf dem Album zu sein.
Anders: Wobei die Texte einige Fragen aufwerfen. Etwa "We Turn Red". Geht es da um Amerikas Problem mit dem Sozialismus, der wie ein Schreckgespenst zu sein scheint? Also, der Kommunist Obama oder der Rote Bernie ... Leiden Ihre Landsleute unter gesteigerter Paranoia?
Kiedis: Der Song ist ein Blick auf Amerika. Und rot ist eine Metapher mit mehr als einer Facette. Also, da ist der sozialistische Aspekt, aber es steht auch für Blut. Und für ein Land, das immer von Kriegen profitiert hat – also vom Verlust von Menschenleben und verflossenem Blut. Gleichzeitig ist es für viele Leute auch der Ort ihrer Träume. Was uns zu diesem zweiköpfigen Monster macht, wo die eine Hälfte extrem aggressiv und kriegstreibend ist, und die andere Gleichheit und unbegrenzte Möglichkeiten für Menschen aus aller Welt will, die nach Amerika fliehen, um Teil dieser verrückten Energie zu werden, die gleichermaßen wunderbar wie völlig korrupt ist.
Anders: Wie furchteinflößend ist die Vorstellung von Donald Trump als nächstem US-Präsidenten? Und wie schlimm kann das werden – für Amerika wie für die Welt?
"Präsidenten verändern die USA nicht"
Kiedis: Ich glaube nicht, dass sich dieses Land durch seine Präsidenten verändert. Es sind ja schon öfter schlimme Dinge passiert. Als Bush im Amt war, ist er zum Beispiel in den Irak einmarschiert – was niemandem etwas gebracht hat. Es erwies sich einfach als schlechte Idee. Was aber wirklich Angst einflößend ist, sind Präsidenten, die Kriege aus Profitsucht starten. Und ich weiß nicht, ob Trump der Typ ist. Er ist nicht besonders sympathisch, sondern eher wie ein Cartoon-Charakter. Er sagt sehr unrealistische Dinge über Muslime, die so gar keinen Sinn machen. Denn letztlich sind Menschen Menschen – und es gibt gute und schlechte in allen Rassen und Religionen. Leider ist Hillary nicht wirklich besser. Sie ist ein Tyrann und vielleicht sogar eine Faschistin. Womit ich nicht sage, dass Bernie Sanders perfekt wäre. Ich mag ihn, weil er ehrlich rüberkommt und bemüht scheint, seinem Land und seinen Menschen zu helfen. Aber was Trump betrifft, würde ich sagen: Er ist die Cartoon-Version einer egomanen Reality-Show-Schwuchtel, die die Welt sicher nicht verändern wird.
Anders: Und wie erklären Sie den hohen Anteil an Stücken auf dem Album, die von Herzschmerz und Trennungen handeln? Sind Sie ein Experte für gescheiterte Beziehungen oder komplett beziehungsunfähig?
Kiedis: Ich versuche, da nichts zu verbergen. Gleichzeitig mag ich es auch nicht, Gefühle zu sehr zu erklären. Dafür gibt es ja Popsongs, die sich primär mit schmerzhaften Emotionen befassen. Aber für die Red Hot Chili Peppers scheint es angebrachter, sich in abstrakten Bildern auszudrücken – und sie die Leute eher fühlen zu lassen. Aber es stimmt natürlich: Da ist eine Menge Herzschmerz. Und er rührt daher, dass ich zwei Jahre in einer schwierigen Beziehung war. Als sie zu Ende war, dachte ich: Warum ist das alles so schwierig? Warum tut das so weh? Ich liebe diese Person – warum funktioniert das nicht? Es hatte also ein bisschen davon, als hätte ich da zwei Jahre meines Lebens verschwendet. Bis ich anfing, dieses Album zu schreiben. Da meinte ein guter Freund von mir: Du hast nichts verschwendet, sondern ein Album gewonnen. Und das stimmt.
Anders: Hand aufs Herz: Was ist so faszinierend an Supermodels? Sind sie wie ein Jungbrunnen für Sie?
Kiedis: Es ist nicht so, als ob ich besonders an Models interessiert wäre. Ich mag einfach Menschen – besonders solche, die noch nicht übersättigt sind. Die vom Leben an sich fasziniert sind. Also Menschen, die nicht denken, ich habe schon alles gesehen und erlebt. Und es müssen auch keine sexuelle Beziehungen sein. Ich mag es einfach, Freunde zu haben, die gerne Neues entdecken – wie meinen Sohn. Er ist mein bester Freund und der Mensch, der mir so nahe ist, wie keiner zuvor. Das sorgt dafür, dass ich nicht selbstgefällig werde oder gelangweilt von Dingen bin, von denen ich glaube, dass ich sie kenne. Mit ihm erlebt ich alles noch einmal - und lerne dabei. Klar, fühle ich mich auch mal sexuell von jüngeren Menschen angezogen. Aber das ist meine Schwäche. Und sie hat Vor- und Nachteile. Ab und zu versuche ich, etwas daran zu ändern. Aber es klappt nicht. Und insofern soll es wohl so sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.