In einem Gedenkgottesdienst in Berlin hat Bundespräsident Joachim Gauck die Massaker an mehreren hunderttausend Armeniern im Ersten Weltkrieg erstmals klar als Genozid bezeichnet. Zugleich räumte Gauck am Donnerstag ein, dass Deutschland eine Mitverantwortung dafür trage. Das Staatsoberhaupt setzte sich damit über Bedenken hinweg, dass die Wahl des Begriffs "Völkermord" die Beziehungen zur Türkei beschädigen könnte.
Um die Bezeichnung des Geschehens als "Völkermord" hatte es in den vergangenen Tagen zwischen Bundesregierung, Koalitionsparteien und Präsidialamt Auseinandersetzungen gegeben. Die Bundesregierung wollte den Begriff vermeiden. Gauck benutzte nun in der Rede nahezu wortgleich die Formulierung, auf die man sich schließlich für die Erklärung im Bundestag geeinigt hatte.
Der Bundespräsident sagte: "Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist." Und weiter: "In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung - unter Umständen sogar Mitschuld - am Völkermord an den Armeniern geht."
Bundestag diskutiert am Freitag über Resolution
Weiter sagte der Bundespräsident: "Besonders freue ich mich über jedes ermutigende Zeichen der Verständigung und des Aufeinanderzugehens zwischen Türken und Armeniern. Niemand braucht Angst zu haben vor der Wahrheit. Nur gemeinsam können wir überwinden, was uns getrennt hat und was uns trennt."
Im Ersten Weltkrieg waren Armenier im Osmanischen Reich als vermeintliche Kollaborateure mit dem Kriegsfeind Russland systematisch vertrieben und umgebracht worden. Nach Schätzungen kamen dabei zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Bezeichnung "Völkermord" vehement ab.
Der Bundestag will am Freitag erstmals über die geplante Erklärung beraten. Anschließend geht sie an die zuständigen Ausschüsse. Sie soll dann vor der Sommerpause endgültig verabschiedet werden. Der Opposition aus Grünen und Linkspartei geht der Text nicht weit genug. Grünen-Chef Cem Özdemir warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) übertriebene Rücksicht auf die Türkei vor.
(tön/wes)