Was waren die wichtigsten Themen in von der Leyens Rede zur Union?
Klimapolitik: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen überraschte mit der Forderung, den
CO2-Ausstoß ab 2030 um 55 Prozent zu reduzieren
. Bisher sind lediglich 40 Prozent geplant. Der Vorschlag soll auch in das neue EU-Klimagesetz einfließen.
Gesundheitspolitik: Hier plädierte die Ratspräsidentin für eine stärkere Zusammenarbeit in der EU. Sie kündigte eine Debatte darüber an, wer in Europa zukünftig die Kompetenzen in Gesundheitsfragen haben soll. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, welche Schwächen die europäische Gesundheitspolitik habe.
Mindestlohn: Lohn-Dumping erteilte von der Leyen eine klare Absage und wies darauf hin, dass die EU-Kommission einen Vorschlag für einen europäischen Mindestlohn-Rahmen vorlegen werde.
Digitalisierung: Europa hat Schwächen auszugleichen. Darum sollen acht Milliarden Euro in die nächste Generation von Supercomputern investiert werden. Wichtig sei auch das Thema europäischen Datenidentität um beim Datenschutz besser aufgestellt zu sein
Entscheidungsfindung: Sie rief unter anderem dazu auf, bei den Entscheidungen im Rat zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit zu kommen, um Europa handlungsfähiger zu machen
Migrations- und Asylpolitik: Migration habe Europa über Jahrhunderte geprägt, sagte von der Leyen und kündigte den neuen Vorschlag für eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik in Europa an. Zudem forderte sie alle Länder auf, ihren Beitrag dazu zu leisten. Deutliche Worte fand sie gegen Rassismus: "Kampf gegen Rassismus wird in dieser Union niemals optional sein."
Außenpolitik
Russland: Hier sprach von der Leyen Belarus ihre Solidarität aus. Außerdem verurteilte sie den Angriff auf den Oppositionellen Alexej Nawalny und gab indirekt zu verstehen, dass das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 an ihrer kritischen Haltung gegenüber Russland nichts ändern könne.
Brexit: Deutliche Worte fand sie auch gegenüber Großbritannien und der eigenmächtigen Entscheidung zum EU-Austritt: "Unsere Vereinbarung kann nicht einseitig geändert oder missachtet werden. Es ist ein Frage des Rechts und des Vertrauens."
Was ist besonders an der diesjährigen Rede?
Mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält erstmals eine Frau eine Rede zur Lage der Union. Seit nicht einmal einem Jahr ist sie im Amt. Und muss die Kommission durch eine Zeit führen, in der sich die Krisen häufen wie nie in der Geschichte der EU zuvor.
Die Coronakrise und ihre wirtschaftlichen Folgen, die Klimakrise, die Migrationskrise, der Brexit, dazu sucht die EU eine neue Rolle als globaler Akteur. Und dann die großen Weichenstellungen, die sie zum Amtsantritt angekündigt hat: Europa soll bis 2050 klimaneutral werden. Die Digitalisierung, bei der die EU eine globale Führungsposition übernehmen soll. Die entscheidenden, ersten Schritte Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung wird von der Leyen heute glaubhaft erläutern müssen, sagt Philipp Lambertz, Fraktionschef der Grünen im Europaparlament:
"Wenn ich mir die Absichten dieser Kommission anschaue, dann sehe ich viele positive Dinge. Jetzt muss das alles aber Realität werden. Und Ursula von der Leyen muss zeigen, dass sie nicht nur Visionen hat, sondern auch den Mumm, sie umzusetzen."
Welche Bedeutung hat die "Rede zur Lage der Union"?
"Die Rede zur Lage der Union ist ein wichtiger Meilenstein in der Europapolitik", sagt Sophie Pornschlegel vom Brüsseler Thinktank "European Policy Center". Ein fester Termin im politischen Kalender, an dem die Kommission Rechenschaft ablegt über das, was sie getan hat, an dem sie vor allem erläutert, was sie in den kommenden 12 Monaten erreichen will. Es ist aber auch ein wichtiger Termin für das Europaparlament. Dessen Fraktionen nutzen die Aussprache, um klar zu machen, welche Politik sie von der Kommission verlangen, wenn die ihre Unterstützung dafür erhalten will. Und das alles bei größtmöglicher Öffentlichkeit, sichtbar für alle Europäer, die es sehen wollen. Sophie Pornschlegel: "Es fördert also die demokratische Debatte in Europa und erhöht auch die Sichtbarkeit der Europapolitik, nicht nur in Brüssel, aber eben auch in den Mitgliedsstaaten."
Was waren die Hintergründe der ersten Rede 2010?
José Manuel Barroso, der portugiesische Kommissionspräsident, war der erste, der eine Rede zur Lage der Union hielt. Das war im Herbst 2010. Damals steckte die EU mitten in der Finanzkrise. Der Schock darüber, dass der Plan einer europäischen EU-Verfassung ein paar Jahre zuvor bei zwei Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war, der steckte den EU-Politikern noch in den Knochen. Dazu die permanenten Diskussionen darüber, dass "die da in Brüssel" sowieso in ihrer Bubble abgehoben seien. Immer mehr rechtspopulistische Parteien erzielten Wahlerfolge mit ihrem Anti-EU-Kurs. Die Europapolitiker fürchteten, die Bindung an die Bürger Europas zu verlieren. Deshalb die "State of the Union".
Was wollen EU-Kommission und EU-Parlament?
Seit Wochen rühren die Kommission und das Parlament die Werbetrommel für den heutigen Tag. Videos wurden produziert, in denen auf die Bedeutung der "State of the Union" hingewiesen wurde. Das Parlament veranstaltete Online-Diskussionen, bei denen Bürger Fragen stellen konnten. Und in allen EU-Hauptstädten gab es Veranstaltungen, die sich um diese Rede drehten. All diese Aktionen hatten dasselbe Ziel: Sie sollten dafür sorgen, dass die Menschen in Europa zuhören und zuschauen, wenn heute in Brüssel die Zukunft der EU verhandelt wird. Denn wie sagte es Ex-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner letzten "State of the Union": "Wir alle sind dafür verantwortlich, wie Europa ist. Und auch dafür, wie Europa wird."
(Mit Beiträgen von Peter Kapern, Bettina Klein)