Archiv


Reden und Schreiben unter Lebensgefahr

Vor 20 Jahren hat der damalige iranische Ayatollah Khomeini eine Todesdrohung an die Adresse des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie wegen seines Buches "Satanische Verse" ausgesprochen. Auch der italienische Autor Roberto Saviano weiß, was Morddrohungen sind: Mit seinem Buch "Gomorra" hat er die Mafia verärgert. Beide Autoren haben nun in Stockholm, auf Einladung der Nobelpreisakademie über Redefreiheit und Morddrohungen gesprochen.

Von Albrecht Breitschuh | 26.11.2008
    Eine Minute. Länger hatte es nicht gedauert, bis die 450 Eintrittkarten für den Besuch Salman Rushdies und Roberto Savianos in Stockholm vergriffen waren. "Das freie Wort und die gesetzlose Gewalt" war das Thema des Abends im Börsensaal der schwedischen Akademie, eines Abends mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Kleine Unannehmlichkeiten für das Publikum, aber kontrolliert wurde auch nicht intensiver als auf jedem Flughafen. Was es wirklich bedeutet, ein Leben auf höchster Sicherheitsstufe zu führen, schilderten die beiden Schriftsteller eindrucksvoll auf ihre Weise. Salman Rushdie hinterließ dabei fast schon den Eindruck, die Ende der 80er Jahre gegen ihn von Teilen der islamischen Welt ausgerufen Todesdrohungen hätten ihr Verfallsdatum überschritten, als er von den Einschränkungen im alltäglichen Leben berichtete:

    "Lassen Sie mich erst einmal sagen, dass es nie so etwas gab wie Sicherheitsgebäude der Regierungen. Die gibt es nur in den Romanen von John le Carré. Ich musste mir meine Wohnung selber suchen und auch dafür bezahlen und hatte immer meine Leibwächter dabei. Das war schwierig. Manchmal sogar sehr schwierig, weil sich Vermieter bei Wohnungsbesichtigungen immer fragten, was vier große und gut gebaute Männer gemeinsam in einem Appartement wollen."

    Dem gerade einmal 29 Jahre alte Roberto Saviano fehlte in seinem Vortrag diese Gelassenheit. Kein Wunder, die Todesdrohungen gegen ihn sind wesentlich aktuelleren Datums. Seit dem Erscheinen seines Romans "Gomorrha" steht er auf der Todesliste der italienischen Mafia:

    "Seit zwei Jahren habe ich umfangreichen Polizeischutz. Egal, wohin ich gehe, alles wird vorher abgesucht, ob auch nichts verdächtig ist. Wenn ich ins Ausland will, muss ich die Reise vorher ankündigen und vom jeweiligen Land genehmigen lassen. Es ist alles so kompliziert."

    Doch die Bekämpfung des freien Wortes mit gesetzloser Gewalt bringt nicht nur alltägliche Beschwernisse für den Autor, so Salman Rushdie, vor allem, dass er seinem Beruf nur noch sehr eingeschränkt nachgehen könne. Rushdie fasste den Kreis der Betroffenen sehr weit. Wir alle sind gemeint, wenn irgendwo auf der Welt wer auch immer bestimmt, welche Geschichten erzählt werden dürfen und welche nicht. Geschichten zu erzählen sei ein Grundbedürfnis der Menschheit:

    "Die Frage nach der Freiheit des Wortes und ihre Bedrohung geht meiner nach weit über die Freiheit des Autors zu schreiben oder des Lesers zu lesen hinaus. Es ist eine existentielle Frage. Und ein Verbrechen gegen diese Freiheit ist auch ein Verbrechen gegen die menschliche Natur. Es ist ein Verbrechen gegen uns, so wie wir sind."

    Der Westen, so Rushdie weiter, laufe Gefahr, dass Bewusstsein dafür zu verlieren, wie wichtig die Freiheit des Wortes sei. Was es ausrichten kann, zeige der Erfolg von Savianos Buch. Seine Leser, so der in der Nähe von Neapel geboren Schriftsteller, seien seine Verbündeten im Kampf gegen die Camorra geworden:
    "Was die Mafia stört, ist dass das Buch und auch der Film so erfolgreich sind und so viele Menschen erreicht haben. Die sind jetzt auf das Thema aufmerksam geworden. Die Mafia hat jetzt nicht nur vor mir, sondern auch vor meinen Lesern angst. Es ist so, als würde man im Dunkeln ein wildes Tier mit Licht aufschrecken."

    Und wir täten gut daran, ergänzte Rushdie, uns von diesem "Wilde Tier" bei aller Bedrohung nicht auch beherrschen zu lassen. Zwar stimmte er dem Gastgeber des Abends, dem Ständigen Sekretär der Schwedischen Akademie, Horace Engdahl, zu, dass es so etwas wie eine "Globalisierung der Furcht" gebe, schränkte aber ein:

    "Klar, ins Exil zu gehen funktioniert heute nicht mehr, weil sie dir folgen. Aber das bedeutet nicht, dass wir unseren Gegnern mehr Macht geben sollten, als sie möglicherweise besitzen. Ich weiß nicht, wie weit der Arm der Camorra reicht. Aber ich bin sicher, dass er nicht jeden Winkel der Welt kommt."

    Schon gar nicht in den Börsensaal der Schwedischen Akademie, den Rushdie in einem leisen Anflug von Ironie den sichersten Platz der Welt für Literatur nannte. Möglicherweise ein kleiner Seitenhieb auf die nicht immer tatkräftige Unterstützung aus Stockholm, als er unter größerer Gefahr lebte. Während Rushdie Stockholm am Morgen danach wohl eskortiert wieder verließ, bleibt Saviano noch zwei Tag länger, um den Film "Gomorrha" vorzustellen. Die weiteren Veranstaltungen mit ihm waren fast ebenso schnell ausverkauft.