Es beginnt im Schatten. Schummrige Beleuchtung, die Wände in ein samtiges Dunkellila getaucht. Hier hängen sie, die Monster und Fabelwesen, die Hybride und Albtraumgestalten, die "Noirs", die Odilon Redon in seiner frühen Phase in schwarzer Fettkreide zu Papier gebracht hat, sarkastisch lächelnde Spinnenwesen mit Affenkopf, Drachen, ein Ertrunkener unter der Sintflut, ein in einen schwebenden Würfel gesperrtes Auge, bleiche Märtyrerköpfe ohne Ohren, weil die wahre Welt ja nur innen ist, Bäume und Pflanzen, aus denen menschliche Antlitze hinauswachsen.
Man mag sich schon fragen, wie es in diesem Mann ausgesehen hat, der 20 Jahre lang, von 1870 bis etwa 1890, fast nur in Schwarz gearbeitet hat. Der Begriff Décadence greift da ein bisschen kurz, das war nur die Zeitstimmung, ein Gefühl des nahenden Endes der bürgerlichen Welt, das ja dann auch tatsächlich bevorstand – im Wertezerfall, im proletarischen Aufstand, auch in der rassistischen Barbarei. Aber die schwarzen Träume des Odilon Redon ("Le Rêve" heißt der berühmte Lithografie-Zyklus, der im zweiten Saal gezeigt wird) sind nicht nur von Baudelaire und Edgar Allen Poe inspiriert, sie nehmen nicht nur surrealistische Bildfindungen vorweg – sie müssen auch auf einem persönlichen Trauma basiert haben. Der 1840 in Bordeaux geborene, schwächliche, später epileptische Redon wurde von den reichen Eltern einer Amme übergeben und wuchs sehr einsam bei einem Onkel auf einem Weingut auf. Auch sein virtuos-dunkles druckgrafisches Werk besteht aus Angstfantasien: schwebende Köpfe im Weltall, Zwerge, Gesichter mit Fledermausflügeln, Zyklopen, Gestirne in Augenform.
Virtuos-dunkles druckgrafisches Werk
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler macht dann, ebenso wie der Künstler, eine abrupte Wendung: in einem nur noch halbdunklen Übergangssaal operiert der Kurator Raphael Bouvier vor allem mit dem Motiv der geschlossenen Augen, die dann das Licht erblicken sollen, und mit einem Bild aus dem Musée d'Orsay, dem Hauptleihgeber, wo aus einem steinernen, zeichnerisch verdunkelten Kirchenschiff ein buntes Fenster erstrahlt – und so der Übergang von der Kohle zum Öl in einem Bild präsent ist.
Dann treten wir ins Licht: hinter der Fensterfront befinden sich die Seerosenteiche des Parks der Fondation, und an den nunmehr gelben Wänden hängen Odilon Redons Luft- und Unterwasserfantasien in den erstaunlichsten Farben, der Wagen des Apoll rast durch den Weltenraum: eine Apotheose der Helligkeit. Bei den kleinen Wesen, die bei Redon als verformte Fische und Amöben durchs Wasser gleiten, mag man schon an die abstrakten Räume von Kandinsky und Miró denken, bei manchen sternenhellen Landschaften überwältigt uns ein intensives Märchenblau, das eines Yves Klein würdig wäre.
Oft arbeitet Redon auch mit Pastell auf Leinwand, er berauscht sich an unglücklichen Frauenfiguren – seine im Wasser treibende Ophelia ist eine schon vom Jugendstil inspirierte Darstellung der idealen, aber vom Leben vernachlässigten Frau.
Berauscht an unglücklichen Frauenfiguren
Es bleibt rätselhaft, wie ein Maler mit einem so depressiven Frühwerk nun auf einmal leichthändig Schmetterlinge und Blumensträuße malt, letztere reine Fantasie-Arrangements, die uns in ihren Farbwucherungen fast wollüstig ihre Blüten entgegenrecken und trotzdem etwas Dekoratives bewahren. Das rein Ornamentale löst sich bei Redon aber nun immer mehr in eine abstrahierende Formensprache auf, er arbeitet mit leuchtend starken Farben und grellen Kontrasten, bisweilen aber auch mit fahler Farbgebung. Das Andächtige und Unwirkliche, das sich daraus ergibt, zeigt sich am schönsten in jenen religiösen Bildern, wo Marienfiguren aus dem Nichts aufscheinen oder ein Christus in absurder Höhe am Kreuz hängt. Und dass die Schwermut auch den farbigen Odilon Redon nicht ganz verlassen hat, zeigt die Ausstellung mit einem grandiosen letzten Saal: lauter Schiffe, Nachen, Barken, unglaubliche Himmel mit Rotfärbung und gelbleuchtende Segel – Symbole des Übergangs in eine andere Welt.