Dieser Mann hat abgestimmt, mit Nein, wie es vermutlich eine Mehrheit in großen Städten wie Ankara tun wird, aber vielleicht nicht im ganzen Land. Er gönnt sich einen Kaffee. "Wir haben bereits die Ein-Personen-Herrschaft, wie ich es immer bezeichne. Wenn sich Montagmorgen herausstellt, dass die Nein-Stimmen gesiegt haben, wird sich nichts ändern. Aber es würde zeigen, dass selbst er verlieren kann. Wenn er seine Rolle fortführen will, muss er zeigen, dass er unverletzlich ist."
Bis ganz zum Schluss zog der Präsident die nationalistische Karte. Auf fünf Wahlkampfveranstaltungen in Istanbul, wo allein schon 20 Prozent der Wähler leben, bezeichnete Recep Tayyip Erdogan das Referendum als entscheidendsten Tag in der türkischen Geschichte, denn es würde die größte Reform der Geschichte verwirklichen. Einzig Länder wie Deutschland, die Niederlande, Österreich, Belgien, Schweden und die Schweiz würden die Türkei daran hindern wollen.
Seit 2014 beansprucht Erdogan mehr Macht für sich
Erdogan und türkische Mitglieder der Regierung hatten in Europa Wahlkampf machen wollen, was laut türkischem Gesetz verboten ist und in einigen Städten nicht erlaubt worden war, nicht zuletzt wegen der harschen Rhetorik gegen die Gastländer. Erdogan zum Ende des Wahlkampfes: "Die Attacken auf unser Land in den vergangenen zwei Monaten zeigen, wie wichtig ein präsidiales System für die Türkei ist. Ihr habt gesehen, was die europäischen Länder getan haben, was die Europäischen Parlamente getan haben, für ein Nein. Sie werden die Antwort meiner Nation bekommen, niemand kann Fesseln an unseren Willen anlegen."
Seitdem Erdogan 2014 in einer Direktwahl zum Präsidenten gewählt wurde, beansprucht er mehr Macht für sich. Nach dem versuchten Putsch am 15. Juli 2016 steuerte er direkt darauf zu, die rechtsnationalistische Partei MHP unterstützte ihn, was nun ausreichen könnte, um den Wechsel herbeizuführen. Der Kampf für die Verfassung sei einer gegen den Terrorismus, wurde Erdogan nicht müde zu wiederholen, was allen Kritikern unlautere Absichten unterstellte.
Versöhnung ist in weite Ferne gerückt
Hikmet Cetin, ehemaliger Außenminister und Parlamentssprecher von der sozialdemokratisch säkular ausgerichteten CHP stammt aus Diabakyr im Südosten der Türkei. Dort werden die überwiegend kurdischen Wähler zu 65 bis 70 Prozent mit Nein stimmen, vermutet er. Unter den konservativen religiösen Kurden hatten zwar bei den vergangenen Wahlen viele für die AKP von Präsident Erdogan votiert, auch wegen des einst von Erdogan angestoßenen Aussöhnungsprozess mit der kurdischen Terrororganisation PKK.
Doch seitdem Abbruch der Gespräche 2015 ist Versöhnung in weite Ferne gerückt. Ex-Außenminister Hikmet Cetin von der CHP hegt eine leise Hoffnung, das die Aussöhnung mit den Kurden noch kommt. "Vielleicht. Wenn er denkt, dass jetzt alles unter seiner Kontrolle ist. Aber er macht aus allem eine Privatangelegenheit. Der Friedensprozess war eine exzellente Idee von ihm. Aber er hat ihn nicht mit den anderen Parteien abgestimmt. Die Nationalisten von der MHP hätten vermutlich abgelehnt, aber unsere CHP hatte mitgemacht. Dann hätte das ganze ins Parlament eingebracht werden müssen, um den Prozess gesetzlich und verfassungsmäßig zu untermauern."
Vergleich mit den USA
Hikmet Cetin hat zusammen mit Vertretern anderer Parteien in einem offenen Brief die Abgeordneten aufgefordert, nicht ihrer eigenen Entmachtung zuzustimmen. Auch wenn die Zahl der Parlamentarier mit der neuen Verfassung von 550 auf 600 steigt, wird das Parlament bedeutungslos sein, sagt Professor Huseyin Bagci von der METU-Universität in Ankara, für den der dann neue entmachtete Parlamentarismus nichts weiter wäre als eine: "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, 50 Leute weniger arbeitslos und gut bezahlt."
Faruk Logolu vergleicht als ehemaliger Botschafter unter anderem in den USA die geplante türkische Verfassung mit anderen präsidialen Systemen und kann nur warnen. "Er wird die Macht haben, Vizepräsidenten und Minister zu ernennen, Richter, hohe Beamte, er hat die Macht, per Dekret zu regieren. Und er wird den Haushalt vorbereiten, ohne jede Rechenschaftspflicht. Der US-Präsident ist ein starker Mann, aber über das Geld wacht der Kongress."